Am Ende einer feuchtfröhlichen Nacht pilgern die Nachtschwärmer in Florenz nicht etwa zu Dönerläden—wie vielerorts in Deutschland—sondern haben es auf deutlich süßere Hefesnacks abgesehen.
Jede Nacht, wenn die Menschen in Florenz die Nachttischlampe ausschalten, gehen zur gleichen Zeit die Lichter, und die Öfen, in den geheimen Backstuben der Stadt an. Die Existenz dieser Backstuben ist an sich kein Geheimnis—sie mischen und kneten Teig, glasieren und backen die ganze Nacht, um die Cafés und Restaurants am nächsten Morgen in aller Frühe mit ihren Köstlichkeiten zu beliefern—aber ihre nächtlichen, vor dem Fiskus versteckten Praktiken sind es durchaus. Sie sind also weniger geheim als vielmehr illegal.
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Bäcker dürfen ihre Backwaren eigentlich nicht direkt unter das Volk bringen, aber da die Bäckereien keine Namensschilder haben, können sie in den Morgenstunden mit hungrigen Feiernden ein dickes Geschäft machen. Du findest diese Läden nicht sofort—sie sind gewöhnlich in kleinen Seitenstraßen und Gassen versteckt—vor allem dann, wenn dein Sehvermögen eh noch leicht benebelt ist. Wenn du aber eine Nase für hervorragendes Hefegebäck hast, dann öffnet dir die geheime Backwarenunterwelt ihre Pforten.
Sobald du fündig geworden bist, geht alles ganz schnell. Diese Bäcker sind keine Anfänger. Du musst an ein Fenster klopfen und solange warten, bis jemand seinen Kopf herausstreckt. Gib der Person dann schnell einen Euro und nimm, was dir gegeben wird. So einfach ist das. Und auch wenn dich das Konsumieren von Gebäck nicht unbedingt wie einen harten Kerl aussehen lässt—wer kann schon von sich behaupten, Swag zu haben, wenn sein T-Shirt voll mit Blätterteig und Puderzucker ist?—fühlst du dich dennoch wie ein kleiner Croissant-Corleone. Es geht hier vielleicht nur um Kuchen, aber aufregend ist es allemal.
Sobald du fündig geworden bist, geht alles ganz schnell. Diese Bäcker sind keine Anfänger. Du musst an ein Fenster klopfen und solange warten, bis jemand seinen Kopf herausstreckt. Gib der Person dann schnell einen Euro und nimm, was dir gegeben wird.
Die Bäcker—die ihre Schürzen mit demselben Stolz und Draufgängertum tragen, den du sonst mit den Tattoos oder Goldzähnen von Gangmitgliedern assoziierst—verstehen null Spaß. N.U.L.L. Auch wenn ihre ofenfrischen Backwaren fast eine narkotische Wirkung entfalten können, erklärt das noch nicht, warum sie sich so geben, als würden sie nicht nur mit Teigprodukten handeln. Letzte Woche habe ich es endlich gewagt. Ich habe einen Bäcker durch den Fensterspalt gefragt, ob er es nicht schade finde, seinen Geschäften dermaßen verstohlen nachgehen zu müssen. „No”, meinte er. Dann wollte ich noch wissen, ob er jemals Probleme hatte. „No”, lautete erneut seine Antwort. Er schüttelte mit dem Kopf und musterte mich argwöhnisch. Ich griff schnell nach meinen Backwaren und nahm die Beine in die Hand. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass ich eines Tages so viel Panik vor einer Person haben könnte, die mit Kohlenhydratköstlichkeiten und Schokolade dealt.
Andere waren bei den Nachfragen einer jungen Engländerin etwas auskunftsfreudiger, aber alle haben mit einer ablehnenden Handbewegung jeglichen Fotos schnell einen Riegel vorgeschoben, fast so, als ob sie wie poliziotti den Verkehr anhalten wollten. Ein Bäcker, mit dem ich sprach (komplett hinter einer verschlossenen Tür verschleiert—meine Quelle war also eine Stimme ohne Gesicht), gab zu, dass ihm das zusätzlich verdiente Geld—bis zu 100 Euro pro Nacht— sehr entgegenkommen würde. Und das einzige Problem seien betrunkene Kunden (Razzien gegen diese Bäckereien sind laut meiner Quellen sehr selten—sie sind wohl äußerst geschickt darin, im Verborgenen zu bleiben).
Wenn es eine Regel dafür gibt, was du beim Kauf von illegalen Backwaren zu beachten hast, dann wohl die, dass du gefälligst deine betrunkene Klappe zu halten hast. Wenn du dich hingegen laut und störend verhältst, wird der Bäcker nicht nur dir und deinem alkoholinduzierten Heißhunger die rote Karte zeigen, sondern allen anderen in der Schlange auch. Ehe du dich versiehst, sind die Türen (oder Fenster) vor deinen Augen wieder versiegelt. Eine Freundin von mir stand letztes Wochenende schon 20 Minuten in der Schlange, in der Hoffnung auf ein paar leckere Teighappen aus dem warmen Ofen, als eine Gruppe von betrunkenen Touristen in der Schlange lautstark zu singen begann. Die Gesangseinlage führte dazu, dass alle wieder mit leeren Händen und gesenkten Köpfen abziehen mussten. Somit blieb meiner Freundin nichts anderes übrig, als sich mit einem profanen Döner zu begnügen. Die Arme.
Eine andere wichtige Grundregel besagt, dass du niemals das in Frage stellen solltest, was dir aus der verborgenen Backstube gereicht wird. Genauer gesagt sind Fragen im Allgemeinen—wie ich am eigenen Leib feststellen musste—nicht gerne gesehen. Sobald das Geld seinen Besitzer gewechselt hat, liegt dein kulinarisches Schicksal ganz in den Händen von diesen Mehlgangstern. Die Auswahl an Backwaren hängt von den Kunden der Bäckerei—also die Cafés und Restaurants in der Nachbarschaft—und deren Bestellungen ab. Dennoch kannst du ziemlich sicher sein, dass du ein cornette, das italienische Pendant zum Croissant, gefüllt mit Aprikosenmarmelade, Nutella oder Creme, und die großartig schmeckenden und donutähnlichen bombolones bekommen wirst. Ich habe auch mit einem amerikanischen Austauschstudenten gesprochen, dem einmal ein simpel daherkommendes Stück Apfelbirnentorte gereicht wurde, das ihn dennoch „total von den Socken holte.” Er meinte auch, dass er zu später Stunde Backwaren traditionelleren Saufsnacks vorziehen würde, da sie ihm die nötige Energie für den Heimweg geben würden. Die Sache klingt plausibel. Das einzige, was dir eine Portion Pommes Schranke nämlich geben kann, sind Verdauungsbeschwerden.
Für eine sichere, stressfreie Backwarentransaktion solltest du die Außenbezirke ansteuern. Ein solcher Geheimtipp befindet sich in der Gegend rund um den Campo di Marte, wo du besonders viele Jugendliche antreffen wirst. Anstatt auf Spielplätzen billigen Fusel wegzukippen, setzt sich die florentinische Jugend aber nur allzu gerne auf ihre motorini und klappert gemächlich die Nutella-Backstuben ihrer Heimatstadt ab. Sie wissen, wie man es macht. Ich habe mich auch mit einer Gruppe von italienischen Studenten unterhalten, die meinten, dass sie vor allem dann die Bäckereien aufsuchen würden—die fast jede Nacht bis fünf Uhr morgens geöffnet sind—wenn sie Nervennahrung für nächtliche Lernmarathons benötigen.
Backwaren Ritalin vorzuziehen kann keine schlechte Sache sein.
Oberstes Foto: Ruth Lawes