Eigentlich wollte Verena Bahlsen nur einen Witz machen. “Mir gehört ein Viertel von Bahlsen, da freu ich mich auch drüber, das soll mir auch weiterhin gehören”, erzählte die junge Frau am Mittwoch auf der Bühne bei der Digital-Konferenz “Online Marketing Rockstars” – und begründete damit, warum sie Kapitalistin sei: “Ich will Geld verdienen und mir Segeljachten kaufen von meiner Dividende!”
Obwohl es offensichtlich ironisch gemeint war, griff ein Reporter des Handelsblatts ausgerechnet diesen Satz auf – weshalb sich jetzt schon seit Tagen Menschen über Verena Bahlsen aufregen. “Erben ist kein Leistung, Püppchen”, schrieb einer, “von Beruf Tochter” lästerte das Lower Class Magazine und rief nach “mehr Neiddebatten”.
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Es ging, wie es so oft geht: Das aus dem Kontext gerissene Zitat verselbständigte sich, fast niemand machte sich die Mühe, im Video nachzuschauen, was Bahlsen eigentlich wirklich gesagt hatte. Und fast hätte die junge Frau, die eigentlich nur einen etwas naiven Vortrag über Sinn im Kapitalismus gehalten hatte, einem leid tun können.
Aber nur fast. Denn dann machte sie den Mund nochmal auf – und alles nur noch schlimmer.
In den Tagen nach ihrem Vortrag hatten nämlich ein paar Leute ausgegraben, dass der Erfolg der Firma Bahlsen auch auf einem Verbrechen gründete: In der NS-Zeit arbeiteten bei Bahlsen etwa 200 Zwangsarbeiterinnen, die aus Polen und der Ukraine verschleppt worden waren. Die Arbeiterinnen bekam Bahlsen zugeteilt, weil es als “kriegswichtig” eingestuft worden war und seit 1940 Verpflegung für Wehrmachtssoldaten herstellte. Das bedeutet: Bahlsen verdiente nicht nur Geld damit, Hitlers Kriegsmaschinerie am Laufen zu halten. Sondern die Firma benutzte dafür auch noch Zwangsarbeiter, deren Länder vorher von dieser Maschinerie überfallen worden waren.
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Plötzlich erhielt die Kritik an Bahlsens Prahlerei eine dunklere Note: Die Erbin, die so stolz auf die Geschichte des Familienunternehmens ist, verdanke ihr Vermögen auch der Ausbeutung von Opfern des NS-Regimes.
Als die Bild-Zeitung die Erbin darauf ansprach, reagierte sie maximal pampig. “Es ist nicht in Ordnung, meinen Vortrag damit in Verbindung zu bringen”, sagte sie – und damit hat sie vielleicht sogar ein bisschen recht: Es ist unfair, das jemandem an den Kopf zu werfen, der eigentlich nur darüber sprechen wollte, wie die Wirtschaft “ein Vehikel” sein kann, “um uns als Gesellschaft voranzubringen”.
Aber dann redete Bahlsen weiter. Und das klang so:
“Das war vor meiner Zeit und wir haben die Zwangsarbeiter genauso bezahlt wie die Deutschen und sie gut behandelt. Das Gericht hat die Klagen abgewiesen. Heute liegen keine Forderungen mehr gegen Bahlsen vor. Bahlsen hat sich nichts zuschulden kommen lassen.”
Und das war dann ein richtig Griff ins Klo, an dem Bahlsen sich diesmal wirklich nur selbst die Schuld geben kann. Ganz abgesehen davon …
- … dass die Firma die Arbeiter ja nicht so toll behandelt haben kann, wenn die danach geklagt haben, …
- … und dass es gewagt ist, zu behaupten, Bahlsen habe sich “nichts zuschulden kommen lassen”, nur weil ein Gericht die Firma wegen Verjährung ihrer Verbrechen nicht mehr verurteilen konnte, …
… ist es nicht einfach brutal geschmacklos, so mit der eigenen Vergangenheit umzugehen? Was hätte es Bahlsen gekostet, sich auch nur ein bisschen reuig zu zeigen? Stattdessen entschied sie sich dafür, die Zwangsarbeit im NS-Regime zu verharmlosen.
Denn natürlich war Bahlsen mit 200 Arbeiterinnen nicht der Hauptprofiteur der Zwangsarbeit im NS-Regime, in dem insgesamt zwölf Millionen Menschen aus ganz Europa zur Arbeit gezwungen wurden, von denen zweieinhalb Millionen ihr Leben verloren. Da gab es ganz andere: Alle deutschen Autohersteller, Flick, Krupp, oder I.G. Farben. Praktisch die gesamte deutsche Landwirtschaft funktionierte während der Kriegsjahre überhaupt nur noch, weil Zwangsarbeiter auf deutschen Höfen arbeiteten.
Aber auch wenn Bahlsen nur ein kleiner Teil der deutschen Ausbeutungs- und Vernichtungsmaschinerie war: Sich “nichts zuschulden kommen lassen” sieht anders aus.
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