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Bandenkriege, Drogen und Angela Merkel: Die No-Go-Area von Duisburg

Duisburg-Marxloh ist die neueste No-Go-Area der Republik. Heute kommt die Kanzlerin vorbei.
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Angela Merkel besucht am Dienstag Duisburg. Der Stadtteil Marxloh, in dem sie sich mit ausgewähltem Publikum zu Gesprächen trifft, soll laut Polizeipapieren und „besorgten Anwohnern" eine gefährliche „No-Go-Area sein" und reiht sich damit in die lange Liste der Duisburger Negativschlagzeilen ein. Schäbige Seiten hat die Ruhrgebiet-Stadt wahrlich genug.

Duisburg hat nicht den besten Ruf—weder im Ruhrgebiet noch im Rest der Republik. Berlin hat das Brandenburger Tor und „schwäbische Hipster", Frankfurt hat die Börse, Hochhäuser und Haftbefehl. Und Duisburg? Zumindest in den Schlagzeilen ist die Stadt in den letzten Jahren vor allem durch Mafiamorde, Rockerkriege und die Loveparade-Katastrophe aufgefallen—und neuerdings auch dadurch, dass sich in Stadtteilen wie Duisburg-Marxloh angeblich „No-Go-Areas" herausbilden, in denen Polizeibeamte bei jedem Einsatz um ihr Leben fürchten müssen. Das soll, so Spiegel Online vor einigen Wochen, aus einem vertraulichen Papier der Duisburger Polizei hervorgehen. In der vergangenen Woche legten dann auch noch besorgte Marxloher Anwohner nach und schrieben einen offenen Brief. Der Tenor: Alles ist ganz schlimm und schuld daran sind vor allem die Rumänen und Bulgaren, die das Viertel seit einiger Zeit in Beschlag genommen haben.

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Für Martin Dietzsch sind Warnungen, man könne in Marxloh nicht mehr über die Straße gehen, ohne Opfer einer Straftat zu werden, „völlig hanebüchen". „So extrem sind die Verhältnisse dort gar nicht, im Gegenteil: Ich würde Marxloh sogar als Vorbild sehen", sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung. „Gerade die Weseler Straße in Marxloh ist eine der wenigen Straßen in Duisburg, die ein bisschen weltstädtisches Niveau hat. Ich hatte Berliner zu Gast, die erst dachten, Duisburg sei ein Dorf. Die haben sich erst auf dieser Straße wie in einer Großstadt gefühlt."

An anderer Stelle wirkt Duisburg häufig provinziell. Deutlich wird das vor allem im Umgang einiger Duisburger mit Migration und sozialen Problemen. 2013 gab es schonmal einen Aufschrei „besorgter Bürger™"—damals im eher ruhigen Stadtteil Rheinhausen. Auf der linken Seite des Rheins und unweit der berühmten Brücke der Solidarität hatten Anwohner ein Problem mit ihren neuen Nachbarn. In einem Hochhaus lebten damals mehrere hundert Roma aus Rumänien.

Als Migrant aus Rumänien oder Bulgarien eine Wohnung zu bekommen, ist auf dem regulären Wohnungsmarkt nicht nur in Duisburg häufig kaum möglich. Die Alternative: Unseriöse Vermieter, die Wohnungen unsaniert, oft Matratzenweise und zu überhöhten Preisen vermieten. Wenn Häuser dabei noch überbelegt werden, entsteht neben einem Müllproblem auch jede Menge sozialer Sprengstoff. Im Duisburger Fall konzentrierte sich der Unmut der Nachbarn nicht auf den Vermieter, eine lokale Rotlichtgröße, sondern auf die Bewohner des Hauses. Aktivisten der rechten Kleinpartei „Pro NRW" und sich organisierende „Ureinwohner" des Stadtteils demonstrierten gegen die neuen Nachbarn. Nach einiger Zeit passierte das, was zwei Jahre später kaum noch zu einer Nachricht taugt: In den sozialen Netzwerken häuften sich Aufrufe, das Haus anzuzünden und die „Zigeuner" eigenhändig rauszuschmeißen.

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Als nicht nur die Drohungen im Netz, sondern auch rechte Schmierereien und Provokationen durch Neonazis vor dem Haus immer mehr wurden, organisierten antirassistische Aktivisten Nachtwachen im Stadtteil. „Es hieß, dass die Polizei gar nicht auftauchen würde, wenn die Bewohner des Hauses sie rufen würden. Darum haben wir uns nachts davor gestellt, um das im Zweifelsfall tun zu können", erzählt Philipp Küpperbusch, der die Nachtwachen mitorganisiert hat. Viel Unterstützung aus der Nachbarschaft gab es dabei nicht. Zwar erzählt Philipp Küpperbusch von einzelnen Nachbarn oder einem Pfarrer, die die Bewohner des Hauses unterstützt hätten, „großen Rückhalt hatten die aber auch nicht". Nachdem es nach einer Versammlung „besorgter Bürger" zu einer Schlägerei zwischen Neonazis und Linken kam, wurden die Nachtwachen 2013 abgebrochen. Die Polizei nahm den Vorfall damals zum Anlass, das nahegelegene Hochhaus zu stürmen—angeblich auf der Suche nach den Angreifern. Dabei traten die Polizisten Türen ein und sprühten Pfefferspray in die geschlossene Wohnung einer schwangeren Frau. Im Nachgang ermittelten Polizei und Staatsanwaltschaft auch gegen Philipp Küpperbusch. Obwohl er schnell das Gegenteil beweisen konnte, wurde ihm über Monate vorgeworfen, er wäre an der Schlägerei beteiligt gewesen. Wenige Tage nach dem Zwischenfall stand die Polizei sogar mit einem Durchsuchungsbeschluss vor seiner Haustür. In anderen Städten hätte all das zumindest für einen kleinen Polizeiskandal gereicht.

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Die Polizei sieht Martin Dietzsch auch für die anfängliche Eskalation der Stimmung in Rheinhausen in der Mitverantwortung: „Wie jetzt in Marxloh gab es damals ein seltsam lanciertes Papier der Polizei. Das tauchte im August 2013 plötzlich auf und behauptete völlig abenteuerliche Kriminalitätszahlen in dem Haus und im Stadtteil. Das wird in den Medien teilweise bis heute noch als Fakt behandelt, obwohl die spätere offizielle Kriminalstatistik dem widerspricht. Vor der Veröffentlichung des Polizeipapiers hatte sich die Situation rund um das Haus halbwegs beruhigt, danach eskalierte die Lage." „Etwas Ähnliches", sagt Dietzsch, „erleben wir jetzt in Marxloh."

Die Proteste gegen das „Problemhaus" in Duisburg-Rheinhausen nahmen mit dem Rausschmiss der Bewohner ein Ende. Mittlerweile gehört das Haus einem Investoren—das Gelände ist eine Baustelle und Plakate an der Hausfassade verkünden einen „Neustart".

In anderen Stadtteilen ging das Hetzen aber auch danach munter weiter. Als in Duisburg-Neumühl eine Flüchtlingsunterkunft in einem ehemaligen Krankenhaus eingerichtet werden soll, grassierten im vergangenen Jahr nicht nur Gerüchte über angebliche Kindesentführungen durch „Zigeuner". Auch die Aufrufe zu Selbstjustiz und Gewalt verbreiten sich erneut wie ein Lauffeuer in den sozialen Netzwerken. Auf einer Bürgerversammlung wird der Oberbürgermeister ausgebuht und beleidigt. Bei der Kommunalwahl 2014 hat die rechtsextreme Kleinpartei „PRO NRW" in Neumühl fast 10% der Stimmen erhalten.

Das neuste und erstaunlich beständige Phänomen des Duisburger Rassismus: Seit mittlerweile fast 30 Wochen demonstriert „Pegida NRW" jeden Montagabend in der Duisburger Innenstadt. Wo anfänglich noch mehr als 100 Rassisten gemeinsam mit gewalttätigen Hooligans und Neonazis marschierten, trifft sich mittlerweile nur noch ein bedeutend kleineres Häufchen Elend. Die selten mehr als 50 „stolzen Patrioten" sind ein Querschnitt der Abgehängten—gewissermaßen ein Sinnbild Duisburgs: Die Stadt ist ein Verlierer des Strukturwandels, noch schlechter als andere Städte im Ruhrgebiet hat Duisburg das Ende der großen Industrie verkraftet. Wo vor wenigen Jahrzehnten Industrie und Hafen für einen gewissen Wohlstand gesorgt haben, ist die Arbeitslosenquote heute das einzig Überdurchschnittliche. So richtig eingestehen will sich die Stadt das nicht. Martin Dietzsch sagt: „Duisburg hat ein Problem, mit seiner Armut umzugehen. Man schämt sich. Schon zu Industriezeiten hat man so getan, als wäre Duisburg ein Luftkurort oder das zweite Düsseldorf." Man wäre gerne Düsseldorf—ist aber eigentlich näher an Sachsen. Immerhin wird die Angela Merkel den Freitals, Heidenaus und Meißens dieses Landes bei ihrem Besuch so näher kommen, als ihr vermutlich lieb ist.