Dunkelbraun angestrichene Körper und ausgemergelte Gesichter. Extrem durchtrainiert sehen die Athleten beim internationalen Österreichischen CUP für Fitness und Bodybuilding aus und doch irgendwie ausgelaugt. Es ist Wettkampftag. Bodybuilder, die überwältigende Mehrheit der Teilnehmenden stammt jedoch aus Österreich.
Unter ihnen ist auch Caroline Dolak. Die 29-Jährige tritt in der sogenannten Bikini-Fitness-Klasse an, einer Mischung aus Bodybuilding und Miss-Wahl. Diese spezielle Unterkategorie richtet sich bewusst an Frauen, die große Muskelberge eher abschrecken—und fügt sich perfekt in den aktuellen Trend ein, auf Social-Media-Plattformen wie Instagram nicht nur Fotos von perfekt geschminkten Gesichtern, sondern auch straff trainierten Körperteilen zu teilen.
Videos by VICE
Mehr lesen: Wenn Minderjährige an der Stange tanzen
Aus taktischen Gründen ist Dolaks Team als erstes am Veranstaltungsort, genauer gesagt um 9.00 Uhr früh, fünf Stunden vor Wettbewerbsbeginn. Sie wollen die besten Plätze im improvisierten Backstage-Bereich des Veranstaltungszentrums in St. Pölten ergattern. Über eine halbe Stunde stehen wir gemeinsam vor verschlossener Tür. Ein Vorgeschmack auf den restlichen Tag, der zu großen Teilen aus Warten bestehen wird. Sobald wir drin sind, hasten sie in den abgesperrten Bereich, der dank Maschendrahtzaun einem Gehege gleicht. Routiniert packen alle ihre Handtücher und Isomatten aus, setzten sich hin und beginnen, Reiswaffeln mit Honig zu essen. Ein Picknick auf Beton. Wasser trinken ist verboten, das zerstöre die straffe Form. Nur Reiswaffeln sind erlaubt, andere Nahrungsmittel könnten aufblähen und den flachen Bauch gefährden, erfahre ich.
Der internationale Österreich CUP wird von dem österreichischen Ableger der IFBB (International Federation of Bodybuilding and Fitness) veranstaltet, die in 192 Ländern vertreten ist.
Für jede Kategorie gibt es eigene Regeln, die das Styling und Posieren betreffen: Bei der Bikini-Fitness geht es um einen fettfreien, wohlproportionierten Körper. Außerdem muss das Gesicht schön sein, das Make-up passen, der Bikini glitzern, der Gang auf den High Heels grazil, sexy sein. „Und am allerwichtigsten ist das Lächeln”, meint Caroline. Sie wird eine Stunde lang professionell geschminkt, ihre schwarz gefärbten Haare in Locken gedreht. Ihr Bikini ist lachsfarben und glitzert. Carolines Persönlichkeit steht im Kontrast zu den falschen Wimpern und den Gel-Nägeln. Sie sieht den Wettbewerb nüchtern: „Ich bin nicht so eine Tussi. Aber auf der Bühne kann ich die Tussi spielen.” Auch wenn die Glitzerwelt nicht ihre ist, das ist der Preis für die Anerkennung ihres harten Trainings. Wer sich gut verkauft, bekommt am Ende vielleicht einen Sponsoring-Deal mit einer Fitness-Marke.
Folgt Broadly bei Facebook, Twitter und Instagram.
Bikini Fitness ist eine Fitness-Kategorie, in der „Weiblichkeit” explizit erwünscht ist. „Eine Frau braucht schon Rundungen. Manche haben so ein kantiges Gesicht, das ist schon zu viel”, meint Caroline. Sie selbst kennt die abwertenden Kommentare, die ihr das Frausein absprechen wollen, weil sie Muskeln hat. Einerseits ärgert sie das, andererseits zieht sie selbst eine Grenze für Weiblichkeit, die viele Frauen ausschließt. Als Frauen anfingen, an Bodybuilding-Wettbewerben teilzunehmen, war das auch eine Rebellion gegen gängige Weiblichkeitsklischees und Schönheitsideale. Bikini Fitness wirkt wie eine Rückbesinnung auf traditionellere Femininität. Sanduhr-Proportionen, ein schönes Dekolleté und bunte, knappe Bikinis versprechen Chancen auf eine gute Platzierung. „Mädchen müssen halt schön sein”, sagt Dolak dazu.
Dolak trainiert seit über drei Jahren professionell. Um für den heutigen Wettbewerb so gut wie möglich auszusehen, isst sie seit drei Monaten ausschließlich Fisch und Brokkoli—vier Mal pro Tag. Die Ernährung wird an die Zyklen der Vorbereitung angepasst. Während des Muskelaufbaus ist viel erlaubt, die Diätphase ist dafür umso strikter. Ihre Muskeln geben ihrem Körper eine scharfe Kontur. Sie sieht aus, als könnte sie Bäume ausreißen, soll die Zeit vor ihrem Auftritt aber liegend verbringen, vielleicht ein Nickerchen einlegen. Es ist paradox, dass gerade diejenigen mit den voluminösesten Muskeln nicht einmal spazieren gehen sollen.
Die falsche Bräune ist für die Athletinnen und Athleten wichtig, damit die Muskulatur besser zu sehen ist. Dafür stellen sie sich in Sprühkabinen, tragen die Farbe mit Rollen auf oder lassen sich einschmieren. Muskulöse Männer in winzigen Slips malen einander die Pobacken braun an, der Körperkult um Muskeln ist komplett entsexualisiert. Obwohl alle leicht bekleidet herumlaufen oder liegen, sich vor allen anderen umziehen, entsteht in keiner Sekunde sexuelle Spannung. Neben gelegentlichen Plaudereien ist man hier vor allem auf sich selbst konzentriert. Viele üben ihre Posen, bessern ihre Bräune nach und versuchen zu entspannen.
Um 12.00 Uhr steht Caroline fertig geschminkt, angezogen und gebräunt in der Schlange, um sich anzumelden und abgemessen zu werden. Seit der erstmaligen Einführung der Bikini-Klasse im Jahr 2011 erfreut sie sich stets wachsender Beliebtheit.
Caroline verbringt den Großteil ihrer begrenzten Freizeit im Fitnessstudio. Sie ist alleinerziehende Mutter mit Vollzeitjob in einem Kiosk, das ihrer Familie gehört. „Manchmal stehe ich um 4.00 Uhr auf, nur um den Haushalt zu machen”, erzählt sie. Aber Caroline beschwert sich nicht. Sie hat Disziplin und einen Plan. Ihre Tochter ist fünf Jahre alt und würde am liebsten überallhin mit kommen. Ihre Eltern sind wegen des Zeit- und Geldaufwands nicht unbedingt begeistert von Carolines Leidenschaft, kommen aber trotzdem zu ihren Auftritten. Das Training veränderte ihren Lebensstil komplett. Mit Freundinnen mal auf einen Cocktail, ein romantisches Dinner zum Jahrestag—das geht aufgrund des strengen Trainingsplans nicht mehr. „So habe ich Freunde verloren, aber auch gewonnen. Ich habe gemerkt, wer hinter mir steht.”
Aussehen war für die 29-Jährige immer schon ein Thema, doch das Training gibt ihr mehr als bloß einen Sixpack: „Ich bin offener geworden und traue mir mehr zu. In der Arbeit, zu Hause, bei der Erziehung.” Was auf den ersten Blick oberflächlich aussieht, hat maßgeblich zu ihrer Persönlichkeitsentwicklung beigetragen.
Um 14.00 Uhr beginnt endlich der Wettbewerb. Zuerst sind die Männer an der Reihe. Die Bodybuilder präsentieren eingeteilt in Gewichtsklassen ihre Muskeln, spannen den ganzen Körper an und versuchen, dabei noch freundlich zu lächeln. Eine Stunde später darf Caroline—nach sechs Stunden—endlich zum ersten Mal auf die Bühne. Neben anderen stark geschminkten, jungen Frauen zeigt sie ihren Körper in einstudierten Vierteldrehungen. Der Auftritt dauert nicht länger als zehn Minuten. Als sie von der Bühne kommt, meint sie nur nüchtern: „Ich hätte mehr herausholen können.” Dann heißt es wieder warten. Nachdem alle Klassen ihren Auftritt hatten, beginnt die Pause. Die Jury entscheidet, wer ins Finale kommt. In der Halle gibt es Stände, an denen neben Sportkleidung vor allem Protein angeboten wird: Proteinkekse, Proteinbrot und sogar Proteineis, eine zähe, weiße Masse. Das Publikum besteht aus Fitnessbegeisterten und Angehörigen, von denen manche sogar selbstgemachte T-Shirts tragen. „Team Thomas” steht da etwa.
„Danke ans Publikum, dass Sie bei 30 Grad nicht am Badestrand liegen, aber ich kann Ihnen versichern: Hier sehen Sie die schöneren Körper!”, verkündet der Moderator augenzwinkernd. Seit Mittag dröhnt durchgehend laute Musik durch die Hallen, die irgendwo zwischen Rummelattraktion und Großraumdisco angesiedelt ist. Als Showeinlage zwischen den Wettbewerben tritt der österreichische IFFB-Präsident Dr. Wolfgang Schober auf. Auch der 54-Jährige trägt nur einen Minislip, als er zu One Republics „Apologize” posiert. Als die Musik rockig wird, fängt Schober an, Luftgitarre zu spielen. Das Publikum johlt.
Caroline Dolak schafft es ins Finale und darf alleine auf der Bühne ihre Kür vortragen. Viereinhalb Stunden liegen zwischen ihren beiden Auftritten. Ihre Locken sind schlaff. Sie hat noch immer keinen Schluck Wasser getrunken, doch das sieht man ihr nicht an. Im Backstage-Bereich ist die Stimmung träge und auch die Euphorie des immer leiser werdenden Publikums lässt stetig nach. Nach 12 Stunden in der trostlosen VAZ-Halle ist es endlich soweit: Die Siegerehrung beginnt. Dolak wird entgegen ihrer pessimistischen Prognose Dritte in ihrer Klasse und ist sehr zufrieden. Als Preis für das monatelange Training, all die Anstrengungen, das Styling und ihre Kür bekommt sie einen Pokal—aus Plastik. Jetzt geht es erst einmal zu McDonalds.