“BDSM” und “Soziale Kompetenz für Verfahrenstechniker”: Perlen deutscher Vorlesungsverzeichnisse

Foto: Grey Hutton

Vorlesungsverzeichnisse lesen sich häufig so spannend wie Telefonbücher: “Statistik”, “Didaktik”, “externes Rechnungswesen”. Aber manchmal stolpert man über ein paar Titel und bleibt dran hängen (so ähnlich, als hätte man im Telefonbuch jemanden mit dem Familiennamen Fettasch entdeckt). Nur dass man nie weiß: Hat der Professor dem Seminar einen reißerischen Titel gegeben, um ein paar ahnungslose Erstis in seinen Vorlesungssaal zu locken und sie dann doch mit Statistik und Kulturtheorie zu quälen? Oder wird es wirklich ein Seminar, in dem man nicht den größten Teil seiner kognitiven Energie damit verbringt, sein Gähnen zu unterdrücken?

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Leider ist es wie beim Tinder-Date: Wie es wirklich ist, weiß man erst, wenn man sich gegenüber sitzt und für die nächsten anderthalb Stunden nicht weg kann. Wir haben für euch die Vorlesungsverzeichnisse für dieses Semester durchgeblättert und die vielversprechendsten Seminare rausgesucht.

BDSM – Theorie und Praxis konsensual gelebter sexueller Vorlieben

Ach, was wurde alles über die Einführung des Studiengangs “Angewandte Sexualwissenschaft” geschrieben und gekichert. Das Vorlesungsverzeichnis liest sich dann aber doch nicht wie das Kamasutra oder der Orion-Katalog, sondern bietet eher Seminare wie “Rechtliche Grundlagen sexueller Bildung und Beratung”. Meistens geht es ehr um klassisch sozial- und erziehungswissenschaftliche Themen als darum, ähm, selbst Hand anzulegen. Etwas praktischer geht es beim BDSM-Seminar von Kirsten Linnemann zu, die als Pionierin in der Erforschung des BDSM gilt. Neben dem theoretischen Teil zur Geschichte und Formen von BDSM gibt es auch einen ominösen “praktischen Teil”, in dem die Studenten sich “mit Themen wie Fesseln, Lustschmerz, Herrschaft und Unterwerfung auseinandersetzen”. Dazu ist ein “Unkostenbeitrag” von 15 Euro zu leisten. Wir hoffen, dass es keine Kinokarte für Fifty Shades of Grey ist, sondern ein paar Seile und Haken.
Hier kann man das studieren: Universität Merseburg
Und so viele ECTS gibt es dafür: ein Punkt bei zwei Blockseminar-Tagen

Erfolgsfaktor Soziale Kompetenz (für Verfahrenstechniker)

Wie man ein gesellschaftsverträglicher Mensch wird, lernt man eher im echten Leben als an der Uni, meint man. Aber das Institut für Strömungstechnik und Thermodynamik der Uni Magdeburg sieht Handlungsbedarf. Weil man erkannt hat, dass “persönlicher Erfolg ohne soziale Kompetenz” schwer möglich ist, gibt es im nächsten Semester einen zweitägigen Kurs, in dem “Tipps und Tools für die persönliche Effektivität, den gewinnenden Auftritt und das Meistern kritischer Situationen” vermittelt werden. Ein Kurs also, in dem man lernt, wie man aufhört, ein asozialer Rüpel zu sein. Endlich ist Schluss mit den Sheldon-Cooper’schen Fachdiskussionen über den perfekten Belag für die Lieferpizza und darüber, wer das bessere Klingonisch kann.
Hier kann man das studieren: Universität Magdeburg
Und so viele ECTS gibt es dafür: einen bei zwei Semesterwochenstunden

Wie schwäbisch sind die Schwaben?

Wenn man bei Google “Schwaben sind” eingibt, schlägt einem die Suchmaschine folgende Ergänzungen vor: “geizig”, “dumm” und “unfreundlich”. Und wer in Berlin lebt, hat ohnehin qua Wohnsitz einen Doktortitel im Schwaben-Bashing erworben, da sie für die Gentrifizierung und Verspießerung der Hauptstadt verantwortlich gemacht werden. Der berühmte Dialektforscher und Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Hubert Klausmann gibt seinen Studenten trotzdem eine Einführung ins Schwäbische: zuerst theoretisch und dann per Exkursionen. Wo genau die Feldforschung stattfinden soll, verrät das Vorlesungsverzeichnis nicht. Wir empfehlen den Prenzlauer Berg.
Hier kann man das studieren: Universität Tübingen
Und so viele ECTS gibt es dafür: sechs bei zwei Semesterwochenstunden und zwei Exkursionstagen

Ich versteh dich nicht mehr! Ich versteh mich nicht mehr!

Psychologie zu studieren, um sich selbst zu therapieren, ist eine eher schlechte Idee. Vor allem wenn man Mitte 20 ist und Liebeskummer hat. Perfekt also, dass dieses Seminar “Einblicke in die Praxis der Paar- und Einzelberatung” gewährt und die ganz großen Fragen aufrollt: Was ist mit “Lieben” gemeint, und was tun, wenn Krankheit, Berufs- oder Sexprobleme sie bedrohen? Auch wenn man danach die eigenen Beziehungskisten immer noch nicht entwirren kann: Spaßiger als Statistik II ist das Ganze mit Sicherheit.
Hier kann man das studieren: Universität Münster
Und so viele ECTS gibt es dafür: keine Angabe

Singles in der Antike

All the single ladies, all the single ladies, hört hin. Anstatt sich über die Datinghölle der modernen Zeit zu beschweren, denkt mal lieber darüber nach: “Die Freiheit, dass eine Frau in Deutschland und Europa im 21. Jahrhundert ein Single-Dasein führen kann, ist ein mitunter hart erkämpftes Gut.” So zumindest beginnt die Beschreibung des Seminars “Singles in der Antike”. Vor 2.000 Jahren war “put a ring on it” keine Wahl, sondern die gesellschaftliche Standardeinstellung, egal ob man Bock auf ein Leben als ergebene Ehefrau hatte oder nicht. Das Seminar geht der Frage nach, wie es Frauen im antiken Patriarchat erging. “Keine Lust auf Sex” war früher noch keine Option. Tja, da soll sich nochmal einer über Tinder beschweren.
Hier kann man das studieren: Humboldt-Universität Berlin
Und so viele ECTS gibt es dafür: drei

Das Abenteuer

Die Herzen aller Fans von Die drei ??? und Stranger Things dürften bei diesem Titel in die Höhe schlagen. Leider geht’s hier aber nicht um das Lösen von Mysterien oder das Packen des perfekten Backpacks. Wer “Das Abenteuer” im Rahmen des Masterstudiengangs “Abenteuer- und Erlebnispädagogik” belegt, lernt im Wesentlichen, warum Kinder und Jugendliche Abenteuer begehen und warum es für ihre Entwicklung wichtig ist. Klassische Erziehungswissenschaft und Sozialpsychologie also und weniger Nervenkitzel.
Hier kann man das studieren: Universität Marburg
Und so viele ECTS gibt es dafür: drei bei zwei Semesterwochenstunden

Zuhause

Eine Matratze auf dem Boden, eine Glühbirne als Deckenlampe, vielleicht noch eine Kleiderstange. Was mancher Student sein Heim nennt, löst bei vielen (Eltern) Entsetzen aus. Was macht ein Zuhause aus, unsere so genannte “dritte Haut”? In diesem Seminar geht es um historische Wohnformen, aber auch um aktuelle Fragen: Wie gibt man Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf, und warum fetischisieren wir plötzlich Retromöbel und Antikstücke? Die Hoffnung: Mit dem erworbenen theoretischen Gequassel können all die Menschen abgewimmelt werden, die versuchen, einen am Sonntag nach dem Saufen zum Flohmarkt zu schleppen.
Hier kann man das studieren: Universität Jena
Und so viele ECTS gibt es dafür: keine Angabe bei zwei Semesterwochenstunden

Yoga im Westen

Es ist wirklich hart, ein Millenial zu sein. Vor allem die Arbeit soll alles zusammen sein: fancy, sinnstiftend, gut bezahlt und anspruchsvoll. Dass dabei tausend Überstunden gemacht werden müssen—geschenkt. Es gibt schließlich Yoga. Ein paar Asanas und der 14-Stunden-Tag ist sofort vergessen. Manchmal hat man das Gefühl, dass in deutschen Großstädten mehr Yoga-Kurse angeboten werden als in Indien. “Besonders das neoliberale Wirtschaftsmilieu scheint ein Kontext zu sein, in dem Yoga eine Strategie der Bewältigung von erhöhtem Stress darstellt”, heißt es in der Beschreibung dieses Seminars für angehende Gesellschaftswissenschaftler und Philosophen. Da könnte was dran sein.
Hier kann man das studieren: Universität Marburg
Und so viele ECTS gibt es dafür: sechs bei zwei Semesterwochenstunden

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