Mein Kumpel Kentai sollte endlich heiraten. Aus diesem Anlass war ich nach Kenia gekommen, wo ich südlich vom Nairobi National Park auf dem Land seiner Eltern untergebracht war. Am Ende des Parks sah man die Skyline von Nairobi. Hier aber lockte noch offenes Land (und ein paar vereinzelte Akazienbäume), das den Rinderherden der Massai als Weideland dient, so wie schon vor Hunderten von Jahren. Der Stammes-Schöpfungsmythos besagt, dass Gott das Eigentum an allen Rindern dieser Welt an die Viehhüter übertragen habe, und bis heute pflegen die Massai eine äußerst enge Beziehung zu den Tieren. Denn Rinder dienen ihnen nicht nur als Haupteinnahmequelle, sondern haben bei wichtigen Zeremonien zudem einen hohen rituellen Stellenwert. So musste auch an dieser Hochzeit ein armer Ochse (für alle Stadtkinder: ein Bulle, der um seine Männlichkeit gebracht wurde) dran glauben, um die geladene Gesellschaft satt zu machen.
Als ich an diesem Morgen aufwachte, sah ich aus der Ferne einen Mann, der seine liebe Mühe hatte, einen Ochsen mithilfe eines Seils bewegungsunfähig zu machen. Im Stile eines Wrestlers rang er das Tier zu Boden. Der Ochse sollte scheinbar geschlachtet werden. Dieses Event wollte ich aus nächster Nähe erleben. Als ich ankam, zückte der Mann ein großes Messer und würde damit, so dachte ich zumindest, dem armen Tier die Kehle aufschlitzen. Doch stattdessen rammte er die Klinge in die obere Wirbelsäule, gleich unterhalb des Kopfes, um auf diese Weise die dort verlaufenden Nervenbahnen zu durchtrennen. Der Ochse zuckte und stöhnte.
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Als der schier endlose Todeskampf endlich beendet war und die letzten Reflexe verschwanden, kniete sich der Massai-Mann nieder, schnitt ein großes Loch in den Hals des Tieres und drückte sofort seinen Mund auf die klaffende Wunde, um das Blut, das aus der Halsschlagader geschossen kam, trinken zu können. Nachdem sein Blutdurst scheinbar gestillt war, hielt er einen Becher unter die Wunde, der im Nu voll war, und reichte diesen seinem Assistenten. Gleichzeitig stellten sie eine große Schüssel daneben, um darin die fortwährend üppige Blutfontäne aufzufangen. Schließlich sollten ja auch noch die anderen Massai-Männer ihren Spaß haben. Die Schlange, die sich in der Zwischenzeit neben dem toten Ochsen gebildet hatte, war lang. Und ich stand an ihrem Kopf. Alle blickten auf mich.
Das Blut schmeckte süß und war deutlich dickflüssiger, als ich gedacht hätte. Und obwohl es erst vor wenigen Sekunden aus dem Hals des Ochsen geschossen kam, hatte sich in meinem Becher schon eine Schicht gebildet. Ich habe das Ganze in einem Zug runtergewürgt, um die buchstäblich blutrünstigen Massai-Männer hinter mir nicht länger als nötig aufzuhalten. Da ich mich aber mit nüchternem Magen in das blutige Geschmacksabenteuer stürzte, musste ich mich fast übergeben. Ich hielt dennoch alle Luken dicht, um mich nicht vor versammelter Mannschaft zu blamieren.
Nach dem mehr oder weniger kulinarischen Blutbad ging es ans Häuten und Zerlegen. Dazu schnitten sie mit scharfen Messern zwischen Tierhaut und Fettschicht, wobei sie das Fell intakt ließen. Nachdem der Bauch aufgeschnitten worden war, griff der Hüter beherzt in den geöffneten Kadaver, zog die Nieren heraus und schnitt sie in kleine Stücke, die wir dann an Ort und Stelle, das heißt roh, verzehrten. Dann schnitt er am Hinterteil herum und entfernte die Gedärme, die sich immer höher auftürmten und, noch gefüllt mit Fäkalien, bedrohlich pulsierten. Die Gallenblase wurde zur Seite geschmissen. Anschließend waren Leber und Herz an der Reihe, die wir auf den Grill legten. Zum Abschluss gesellten sich noch Lunge und Magen dazu.
Die Männer begannen damit, große Fleischstücke herauszuschneiden, die dann in große Kessel mit kochendem Wasser geworfen wurden. Dabei wurde nicht darauf geachtet, ob es sich um T-Bone, Flank-Steaks oder Rib-Eye-Stücke handelte. Alles wurde querbeet kleingehackt und zu einem Eintopf zubereitet. Neben dem Eintopf haben wir uns zwischendurch noch Fleisch direkt vom Knochen gegönnt. Es war zäh und fest, aber dafür äußerst geschmacksintensiv.
Schon bald waren wir von ein paar hungrigen Hunden umgeben, die hofften, auch ein paar Happen abzukriegen. Und über unseren Köpfen drehten Vögel ihre Runden und warteten auf den richtigen Moment, um sich mit einem saftigen Stück Fleisch aus dem Staub zu machen.
Auch ein paar Ziegen wurden geschlachtet. Ich bot mich an, beim Ausnehmen zu helfen. Dabei wurde mir die Ehre zuteil, die Gedärme zu entleeren. Meine Finger kneteten den Darm und schoben seine Füllung gen Rektum. Anfangs purzelten noch kugelförmige, feste Köttel heraus, aber im Laufe der Zeit wurde die Angelegenheit zunehmend weicher. Anschließend wurden die Gedärme gebraten und gegessen. Aber nicht von mir. Ich lehnte dankend ab, weil ich mir äußerst sicher war, dass der Darm—trotz meiner Bemühungen—alles andere als „clean” war.
Zurück am Haus waren die Frauen fleißig am Gemüseschälen, um den vegetarischen und somit hoffentlich darm- und blutfreien Teil des Festmahls vorzubereiten. Immer wieder stießen auch Männer dazu, die sich kurz zu den Frauen gesellten, um ein paar Mohrrüben zu stibitzen. Einige trugen westliche Kleidung, während andere traditionelle Gewänder bevorzugten. Wir tauschten uns aus, schnitten noch mehr Fleisch in mundfertige Stücke und tranken ein Gebräu aus Fleischbrühe und Kräutern der Region, der gut für die Verdauung sein soll.
Am Nachmittag fand dann die Hochzeit statt. Kreppbänder und Kunstblumen schmückten das Gelände. Und im Hintergrund sorgte ein DJ mit neuen wie alten kenianischen Hits für Stimmung, die aus seiner generatorbetriebenen Musikanlage dröhnten. Hunderte Gäste saßen auf Plastikstühlen unter gemieteten Zelten und schossen mit ihren Handys Erinnerungsfotos. Der Pfarrer predigte schon über Hölle und Erlösung, als auch die letzten Gäste in staubigen SUVs die holprige Schotterpiste entlangkamen, um sich der Hochzeitsgesellschaft anzuschließen. Die Braut war ganz in Weiß gekleidet und gelobte, ihren Mann zu lieben und ihm zu gehorchen, während er im Gegenzug versprach, stets für sie zu sorgen und sie vor allen Gefahren zu schützen. Dann küssten sich beide auf den Mund.
Nach der Zeremonie füllten die Gäste ihre Teller mit Reis, Fleischeintopf und Gemüse. Außerdem wurde fleißig Coke getrunken und mit Zahnstochern für ein einwandfreies Lächeln gesorgt.
Fazit: Die Hochzeit hat mir eindeutig gezeigt, dass sogar Massai-Trauungen nicht mehr bar westlicher Einflüsse sind. Gleichzeitig wurde ein Ochse geschlachtet, seine Organe zum Teil roh gegessen und Blut aus Bechern getrunken—ganz so, wie es die Massai schon seit Ewigkeiten praktizieren. Manche Sachen scheinen sich eben nie zu ändern. Und das ist auch gut so.