Hamburg hat ein neues Wahrzeichen: die Doppelpudellampe! Langgezogen wie eine Bockwurst ist sie, gut drei Meter lang, vier kreisrunde Pfoten hängen an Metallstangen tief von ihr hinab und oben recken sich zwei Hundsköpfe, deren Ohren mit luftballonartigen Hauben überzogen sind. Darunter steht Charlotte und ruft mit ausgestreckten Armen: “Das macht so einen Spaß, hier zu arbeiten!”
Es gibt was zu feiern. Eine klaffende Wunde wird heute geschlossen, der Pudel, einer von Hamburgs bekanntesten Clubs, macht wieder auf – ziemlich genau anderthalb Jahre nachdem ein Feuer in der “Elbphilharmonie der Herzen” ausgebrochen war. Die Brandursache: bis heute ungeklärt. Monatelang hat das Betreiberkollektiv geschuftet, viele Arbeiten selbst übernommen. Das Wasser hatte Wände und Boden aufgeweicht, die Bar war zwar physisch intakt geblieben, aber dermaßen verraucht, dass sie ausgetauscht werden musste.
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Der Pudel war immer anders als andere Hamburger Clubs. Kein Dresscode, nicht sonderlich groß, nicht sonderlich schick. Dafür bot das Musikprogramm stets einer breiten Vielfalt Platz, die Hamburgerin Helena Hauff machte sich hier als Resident-DJ einen Namen und spielt heute auf den besten Festivals weltweit. Und im Pudel konnten alle immer am meisten über sich selbst lachen, auch wenn ein Eigentümerstreit in den letzten Jahren die heile Welt belastete.
Das Haus am Fischmarkt, das einst als Schmugglergefängnis errichtet wurde und in das der Pudel 1994 zog, war zwischen dem Club unten und einem Café oben gespalten. Eine Zwangsversteigerung wurde im vergangenen Jahr erst an- und dann ausgesetzt. Dazwischen brannte es, man ging zu Pro-Pudel-Demos und zu Gerichtsterminen. Am Ende konnte die Pudel-Seite der Café-Seite ihre Anteile abkaufen. Mit dem wiederöffneten Laden soll nun endlich Ruhe einkehren. Gut so, denn der Pudel wurde schmerzlich vermisst. Er war der kleine Hafen, für alle Nachtmenschen, die entweder eine entspannte Party suchten oder nicht genug kriegen konnten: “Wo soll ich Montags denn jetzt hin?”, war lange auf einem Graffiti neben der Baustelle zu lesen.
An diesem Donnerstag öffnet der Club bereits um 20 Uhr seine Holzlattenzauntür – erstmals seit der Sanierung und erstmals als “Nachbarschaftskneipe”. Der Fußboden glänzt noch, es gibt mehr Licht abseits der Tanzfläche und mehr Platz vor der Bar. Sie steht nun etwas weiter rechts vom Eingang, darüber hängt die besagte Doppelpudellampe. Gestaltet hat sie der Hausgrafiker und -illustrator Alex Solman, dessen schönste Pudel-Flyer zuletzt in einem Bildband veröffentlicht wurden. “Alex’ Denkmal” nennt Charlotte das Werk, kurz bevor der Andrang an der Theke so groß wird, dass die Barkräfte über Stunden kaum Zeit zum Plaudern haben.
Als Musik blubbert zwischenzeitlich knarziger Dub aus den Boxen, später Oldschool HipHop. Das DJ-Pult ist wie gehabt in der linken-hinteren Ecke des Clubraums, die Holzverkleidung hat die Anmutung eines chinesischen Restaurants und die neue Anlage ist direkt gut eingepegelt: Der Bass klingt warm, die Höhen und Mitten für einen kleinen Laden klar.
Alle sind sie gekommen, um zu hören und zu gucken: DJ Koze, Frank Spilker von den Sternen, Schorsch Kamerun mit Kind, die Pudel-Haus-und-Hoffotografin Katja Ruge, Carsten Meyer alias Erobique und die Sängerin und Musikerin Sophia Kennedy, deren Debütalbum vielleicht die beste Platte aus Hamburg in diesem Jahr ist. Albert, so ein typischer Pudelcharakter, treibt wieder seinen Schabernack mit den Leuten: Er ist Zauberer, grient unter seinem Schlapphut hervor und klopft mit seinem hölzernen Stab im Takt auf den Boden.
Dazwischen laufen Stella und Ralf und all die anderen vom Pudel-Betreiberkollektiv umher, saugen die Stimmung auf, drücken den nächsten Menschen, regeln die nächste Angelegenheit. Mittlerweile drängen sich die Leute drinnen und draußen, Engtanz auf der Tanzfläche, ein großes Hallo.
Ein Querschnitt der Nacht:
“Unglaublich, wie das hier aussieht.”
“Endlich wieder ein Ort zum Hingehen, wenn im Hafenklang schon Schicht ist.”
“Jetzt komm doch auch mal tanzen.”
“Willst du ein halbes Teil?”
“Hier, halt mal die Drinks, bin gleich zurück!”
Und dann stehst du da mit Frank, nach dessen Namen du erst fragst, als die Eiswürfel längst im noch vollen Gin Tonic zerlaufen sind. Denn Frank repariert heute Maschinen und Instrumente und erzählt gut gelaunt von den Katastrophen seines Lebens. Der Pudel, in dem er 1993 das erste Mal aufschlug, sei dabei irgendwie immer wieder Kulisse gewesen. Heute steht er hier, lächelt, weiß, was und wie viel er verträgt und dass die Antwort “Mehr als alle anderen!” eben richtig und falsch zugleich ist.
Raus an die Luft. Von außen ist der Pudel frisiert, Ober- und Dachgeschoss mit dem Café gibt es nicht mehr. Auf der neuen Fläche staut sich das Wasser. Die Hafenkräne leuchten trübe durch den Nieselregen.
Jonas, der Türsteher, blickt in die Menge: “Ich mag die Mischung, die wir hier im Pudel haben.” Menschen wie Demba. Er war vor vier Jahren das erste Mal im Pudel. Er kommt aus Gambia, lebt mittlerweile in Bremen, kommt aber noch regelmäßig am Wochenende nach Hamburg. “Der Club ist einer von zwei, drei Orten, an denen ich in Ruhe feiern kann.”
Der Pudel ist das Kontrastprogramm zu Elbphilharmonie und elitären Läden von Schickimicki-Hamburg. Hier wird Gegenkultur gemacht. Dementsprechend wenig will man mit Geld zu tun haben. Den Erhalt des Gebäudes hat man mit Hilfe von Stiftungen gesichert, den Wiederaufbau über Crowdfunding finanziert, da die Versicherung nur einen Teil übernahm. Die Preise an Tür und Bar sind weiterhin moderat bis niedrig: 2,20 Euro das lokale Pils, 6 Euro der Gin Tonic.
Ebenso ruhig sind die Pudelianer die Eröffnung angegangen. Dass man irgendwann wieder aufmachen würde, war klar, genauer wollte sich aber bis vor einer Woche vor der Party niemand äußern. Statt einer Facebook-Seite gibt es eine gemeinschaftliche Facebook-Gruppe, dazu eine klassische Webseite samt Newsletter. Und dann haben sie mit einem Update am letzten Montag gleich das Monatsprogramm für August und September rausgehauen. Kein Countdown, kein Onlinetrailer, nur ein paar Plakate in der Stadt.
Jetzt werden die ersten Zigaretten auf dem neuen Boden ausgetreten, Rotweingläser zerbrechen. Mindestens eine Brust wird an diesem Abend entblößt. “Du, ich muss gehen, das ist mir schon wieder zu viel Pudel!”, ruft eine Frau gegen 2 Uhr ihrer Freundin zu. Die Nacht geht ohne sie weiter bis fast 8 Uhr morgens.
Am nächsten Abend legen Pudel-Resident Nina und die Britin DJ Storm auf. Es läuft jetzt Drum & Bass. Wie erfolgreich der gestrige Start war, merkt man erst heute: Die Tanzfläche ist wieder gut gefüllt, aber jetzt bleibt mehr Platz zum Tanzen. Die Stimmung ist selig, es riecht kaum noch nach Sanierung. Den Samstag und Sonntag übernehmen mit Ratkat und MFOC zwei feste Bestandteile des alten Pudel-Programms. Business as usal statt großen Hypes. Als wäre der Pudel nie weg gewesen, als wäre der Doppelpudel einfach heimlich durch die Hintertür gestromert.