Sengende Hitze, im Schatten ein röchelnder Mann, aus allen Richtungen Gebrüll. Der Rasen, der sonst satt und grün leuchtet, ist plattgetreten und verbrannt. Seine einzige Wasserquelle ist der Schweiß, der den Besuchern von den Körpern tropft.
Eigentlich ist es hier, im Elbauenpark Magdeburg, sehr idyllisch. Eine weite Wiese, eine Bühne direkt am Wasser und ach wie nett, ein Schmetterlingshaus. An einem Samstag Mitte August wird der Veranstaltungspark aber umfunktioniert: Dann feiern um die 11.000 Menschen hier zum ersten Mal “Mega Malle – Das Mega Festival der Mallorca Stars”. Der Ballermann bleibt heute leer, denn alle wichtigen Malle-Sängerinnen und -Sänger sind hier in Magdeburg.
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Aber kann das Magdeburger Malle mit dem Malle in El Arenal mithalten? Sind der Strand, die spanische Sonne und Vodka Lemon aus Eimern für die ballermannsche Stimmung überhaupt notwendig? Reicht nicht vielleicht auch eine Wiese in Sachsen-Anhalt und Bier? Ich muss herausfinden, ob Mega Malle wirklich mega ist.
11 Uhr, 28 Grad
Als ich die Pforten des Elbauenparks passiere, sehe ich schon einige Sauftruppen in neonfarbenen Oberteilen, auf denen “Bierkönig” steht. Die Gruppen erkennen einander als ebenbürtig, zeigen auf ihre Artverwandten und schreien “EY GEIL”. Bei den meisten zeichnen sich jetzt schon dunkle Schweißflecken auf den bunten Tanktops ab. Auch mir ist wahnsinnig heiß und es ist gerade mal 11 Uhr morgens. Um irgendwie meinen Körper abzukühlen, halte ich meine Arme im Waschbereich einer öffentlichen Toilette unter kaltes Wasser.
Alle trinken Bier, also hole ich mir auch eins. Ein halber Liter kostet 6,50 Euro, ein ganzer Liter 12 Euro. “DAFÜR SPART MAN SICH DEN FLUG” donnert ein Mann dem Barkeeper zu, der müde nickt.
Vor der Bühne stehen um die Tausend Menschen. Die Meute hüpft zur Musik, verschüttet ihr Bier und wiederholt immer wieder denselben Text: “Heute bin ich wieder bumsbar. Geile Mädels, geile Jungs da.”
Auf der Bühne steht ein Mann in einem roten Trainingsanzug und einer schwarzen Perücke. Das ist Ikke Hüftgold, wie ich lerne. Gesehen hat man ihn natürlich schon mal irgendwo bei Taff oder bei VICE. Er zeigt immer wieder den Mittelfinger in die Menge und die Menge zeigt Ikke Hüftgold den Mittelfinger zurück. Das Fick-Dich ist aber total freundlich gemeint, wie ich an den lächelnden Gesichtern im Publikum erkenne, die sich nur zum Grölen zu bösen Grimassen verziehen.
Plötzlich fragt Ikke Hüftgold: “Wer von euch ist Fan von Bayern München?” Die Menge buht empört. “Und wer ist Fan von Hertha?” Erneute Buhrufe. “Und wer von euch ist Fan von Freibier?” Damit kriegt er sie. Alle reißen euphorisch ihre Arme in die Luft, verkippen einen Großteil ihres wahnsinnig teueren Überhaupt-nicht-Freibiers und fallen einander in die Arme. Hier ticken alle gleich. Alle wissen, wann sie was sagen, singen oder machen sollen. Das alles fühlt sich langsam an wie ein Sozialexperiment, bei dem alle eingeweiht sind, außer mir. Ich muss die Texte, Gesten und Reizwörter lernen, dann bin ich Teil von Mega Malle, denke ich.
13 Uhr, 31 Grad
Die Feuerwehr ist angerückt und bespritzt die Menschen von der Bühne aus mit Wasser. Einem Ikke-Hüftgold-Double rinnen Schweißperlen aus der Perücke und laufen über die Schläfen. Er rät mir, mich hart zu besaufen. Wir stoßen an.
Hitzeflimmern liegt über der weitläufigen Veranstaltungswiese, Hydranten spenden Trinkwasser. Menschengruppen tummeln sich darum wie Gnus um ein Wasserloch. Manche fallen in den Schlamm, weil sie wohl betrunken sind. Je später die Uhrzeit, desto schlammiger die Besucher. Ein vielleicht 18-Jähriger fragt mich, ob ich seine Schmutzbeine waschen kann. Ich verneine freundlich.
15:42 Uhr, 32 Grad
Der erste Megamallianer dreht durch. Hitze, Bier und Wut haben sein Gesicht tomatenrot verfärbt. Der vielleicht fünfzig Jahre alte Mann versucht, einen großen, metallenen Müllcontainer in ein Cateringzelt zu treten. Bei jedem Tritt scheppert die Tonne bedrohlich. Der Mann verliert dabei immer wieder das Gleichgewicht und klammert sich hilfesuchend an die Mülltonne, nur um sie wieder zu treten. Drei weniger schwankende Männer ziehen den Treter vom Container weg und eskortieren ihn zu einem schattigen Plätzchen. Dort beruhigt er sich langsam und wird wieder rosa.
Ich hätte das Farbspektakel im Gesicht des Mülltonnentreters gerne noch länger beobachtet, als Sprechchöre von der Bühne zu mir herüber wehen und meine Aufmerksamkeit fordern. Hunderte Menschen rufen immer wieder “Ostdeutschland” und boxen mit dem rechten Arm im Rhythmus in die Luft. Mir wird dabei etwas mulmig und ich trinke mehr Bier. Aber leider schlägt es nicht an, weil ich es sofort wieder ausschwitze. Bierschweiß, lecker.
Nun betritt der Sänger Rick Arena die Bühne und ich muss schmunzeln. Die Leute singen nicht mehr “Ostdeutschland” sondern “A, e, i, o, u – du gehörst dazu”. Auf die fünf Vokale können wir uns alle einigen, auch ich als Westdeutsche fühle mich willkommen. Rick Arena zwingt uns in das Gefühl der Zusammengehörigkeit, als er in die Menge brüllt: “WER VON EUCH HAT HEUTE SCHON ALKOHOL GETRUNKEN?” Die Menge tobt. Vokale und Vollsuff – das ist Deutschland.
16:30 Uhr, 31 Grad
Auf der Suche nach Schatten treffe ich auf eine große Gruppe von Anfang Zwanzigjährigen. Sie haben total viel Spaß und das wünsche ich mir auch für mich.
“Du musst einfach eskalieren”, rät man mir.
“Wie?”, frage ich.
“Richtig eskalieren, kein Problem. Zuerst musst du dafür aus Ostdeutschland kommen. Wessis können nicht richtig saufen.”
Ein Freund mischt sich ein: “Hey, ich komme aus Westdeutschland, du Penner.”
“Ja, und saufen kannst du nicht.”
Der Mann aus Ostdeutschland flüstert mir zu: “Er ist Schalker.” Und ich weiß, dass das eine Erklärung sein soll. Ich nicke einfach mal verständnisvoll. Man will als Wessi ja nicht auffallen.
Jetzt betritt die Sängerin Mia Julia die Bühne und ich passe wieder nicht rein. Sie fragt ihre Zuschauer, wer Dorfkind ist und alle jubeln. Ich muss still bleiben, weil ich in der Stadt groß geworden bin. Im Hintergrund baut sich ihr Song “Dorfkind” auf und Mia Julia sagt: “Also, ich mag Stadtkinder auch, aber mit Dorfkindern versteht man sich einfach anders. Wer von euch hat in der Jugend auch immer auf dem Sportplatz gesoffen?” Jubel. Ich habe noch nie auf dem Sportplatz gesoffen.
18 Uhr, 30 Grad
Ich will jetzt endlich dieses Zusammengehörigkeitsgefühl erleben und suche meine nächste potenzielle Freundesgruppe. Die Freundesgruppe von Jan sieht nett aus. Ich setze mich neben den 19-jährigen, der ein Deutschlandtrikot trägt. Die Gruppe trinkt seit dem Vortag, weil da Fußball lief. Heute dann Mega Malle und später noch in den Studentenclub “Baracke” – da bekomme jeder mal auf die Fresse, erklärt Jan. Am Sonntag werde man wahrscheinlich weitersaufen, weil bestimmt wieder irgendwo Fußball läuft. Ich sage, dass ich aus Berlin komme und noch nie zuvor in Magdeburg war.
“West- oder Ostberlin?” fragt Jan.
“Westberlin. Findet ihr den Westen blöd?”
“Nee, nee, das ist schon OK. Hier ist halt Ostdeutschland.”
Das stimmt. Ganz offensichtlich. In der Ferne rufen Grölmänner es wieder: “Ostdeutschland, Ostdeutschland, Ostdeutschland.”
20 Uhr, 28 Grad
Langsam geht über dem Elbauenpark die Sonne unter. Die Megamallianer versorgen sich gegenseitig und klopfen einander den getrockneten Schlamm von den sonnenverbrannten Körpern. Wieder erklingt das Lied “Bumsbar”. Das kenne ich jetzt. “Geile Mädels, geile Jungs da” murmele ich und nippe an meinem Bier. Plötzlich boxt meine rechte Faust aus Versehen rhythmisch in die Luft. Huch. Ist das da Malle-Stimmung in meinem Arm? Ich weiß es nicht, aber plötzlich schließe ich mich einer Polonaise an. Das ist eigentlich nicht so meine Art. Ein kugelbäuchiger Mann in Kapitänsmütze kippt sich sein 12-Euro-Bier über den Körper und für eine Minute singen wir gemeinsam.
Als sich das Lied ändert, stehe ich wieder ein bisschen verloren auf der schlammigen Wiese. An den Seiten des Geländes retten Menschen ihre Freunde mit Bratwürsten vor Alkoholvergiftungen. Genug für heute. Ich verlasse Mega Malle und mache mich auf den Weg nach Hause. In der Bahn brüllen Menschen “Ostdeutschland” und wedeln mit Poolnudeln. Den Gesang kenne ich ja schon, aber woher kommen plötzlich die Poolnudeln? Haben die Wedler sie den ganzen Tag mit sich rumgeschleppt? Aber warum? Vielleicht ist das wieder ein Ostdeutschland-Insider, den ich als Wessi nicht verstehe. Heute werde ich auf jeden Fall kein Teil mehr von Malle. Aber wenn ich mich anstrengen, und die Lieder und Gesten lernen würde, dann könnte ich es schaffen. Vielleicht nächstes Jahr.
Malle ist nicht Strand, Vodka Lemon und die spanische Sonne. Malle ist egal wo. Hauptsache, Ostdeutschland. Am Ende sprechen wir ja immerhin alle dieselbe Sprache: A, e, i, o, u.
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