Bekenntnisse eines Kreisklasse-Schiedsrichters

Amateur-Schiedsrichter sind manchmal bequem, häufig egoistisch und zu einem gewissen Maße lebensmüde. Immer wieder hört man von Übergriffen auf Schiedsrichter in Amateur-Ligen. Wir wollten wissen, warum man sich das antut und fanden Daniel*. Er hat vier Jahre lang in den untersten Ligen der Region München gepfiffen–als dunkelhäutiger Bayer. Für uns arbeitete er seine Karriere nochmal auf und erklärte uns Dinge, die nur in der Parallelwelt Amateur-Fußball passieren.

Es begann damit, dass mir mein damaliger Fußballtrainer vorschwärmte, wie cool es sei, Schiedsrichter zu sein. Man könne entspannt sein Taschengeld aufbessern und noch wichtiger: gratis zu jedem Bundesligaspiel gehen. Die Ausbildung war ein Kinderspiel–zum Glück, denn ich war mit meinen 15 Jahren ja selbst noch ein Kind. Sie dauerte nur einen Monat. Zwei Mal die Woche zwei Stunden Theorie, anschließend die Regelprüfung. Es wurde auch getestet, ob ich überhaupt geradeaus laufen kann.

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Eingestiegen bin ich in der A-Klasse, nach einem halben Jahr ging’s dann direkt in die Kreisklasse und mit 16 habe ich schon bei den Herren gepfiffen. Für die Spiele gab es 40 Euro, bei Jugendspielen nur 15. In den vier Jahren habe ich bestimmt an die 300 Partien geleitet. Allein in meiner letzten Saison waren es 54 Spiele. Es kam also durchaus vor, dass ich am Tag drei Spiele hatte. Klar ist die Aufmerksamkeit da dann nicht mehr ganz so groß. Vor allem, wenn man einen miesen Kater hat. Besoffen war ich allerdings nie bei einem Spiel, versprochen! Trotzdem, wenn du super fertig bist und auch keine Assistenten hast, ist es logisch, dass dir Fehler unterlaufen. Ich habe also ziemlich schnell angefangen, die Körpersprache und Gesichter der Spieler lesen zu lernen. Bei kniffligen Entscheidungen verraten sie dir alles, was du wissen musst. Wer den Ball als Letzter berührt hat? Oft dreht sich derjenige vom Ball weg, der ihn ins Aus gespielt hat, oder in seinem Gesicht ist Ärger und Frust über die missratene Aktion zu erkennen. Foul oder Ball gespielt? Schon etwas kniffliger, aber manchmal hilft es nachzufragen: „War es ein Foul?” Fußballer sind schlechte Lügner. Beteuert er zu überschwänglich seine Unschuld, habe ich immer auf Foul entschieden.

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Hier und da sind mir echt grobe Schnitzer unterlaufen. Das merkt man sogar häufig sofort nach dem Pfiff. Die Entscheidung im Nachhinein zu korrigieren, geht trotzdem überhaupt nicht klar. Du hättest sofort jegliche Autorität verspielt. Ich erinnere mich noch genau an eine bestimmte Situation: Ich habe einen Freistoß gegeben und war gerade dabei, die Mauer zu stellen. In diesem Fall muss der Schiedsrichter den Ball freigeben. Doch der Spieler lief an, bevor ich pfeifen konnte, und hämmerte das Ding direkt in den Kreuzwinkel. Ich war so perplex, dass ich nicht auf Wiederholung entschied. Mehrere Sekunden verstrichen und dann war es auf einmal zu spät. Einer bereits jubelnden Truppe erklären zu müssen, dass der Treffer nicht zählen würde, wäre um einiges kniffliger gewesen, als den anderen einfach zu widersprechen. Natürlich haben die lautstark protestiert, dass der Ball noch nicht frei gewesen wäre. Aber das waren alternative Fakten, wie Donald Trump sagen würde. Ich habe einfach behauptet, dass ich vor dem Anlauf gepfiffen hätte–obwohl jeder wusste, dass das nicht stimmte.

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Angst, dass es einmal eskalieren könnte, hatte ich nie, obwohl in der Kreisklasse natürlich richtige Testosteron-Proleten unterwegs waren. Ich habe immer versucht autoritär aufzutreten. Ich habe schnell gemerkt, dass ich mir nicht alles gefallen lassen muss und ruhig Kontra geben kann. Die Spieler respektieren das. Meistens jedenfalls, denn üble Beschimpfungen kamen regelmäßig vor. Einmal zum Beispiel, als der SV Dornach gegen eine Italo-Truppe spielte. Und das waren richtige Assis. Leider war das ausgerechnet das erste Spiel, bei dem mein Papa an der Seitenlinie stand…

Einer der Italiener hatte seinen Gegenspieler an der Eckfahne ohne Grund richtig mies von hinten umgetreten. Ich habe noch kurz überlegt, ob ich es bei Dunkelgelb belassen soll, aber als ich gesehen habe, wie der auf dem Boden liegende Spieler auch noch angeschrien und beleidigt wurde, wusste ich, dass eine Rote Karte mehr als angebracht war. Nur der Übeltäter selbst hat das natürlich ganz anders gesehen und mich vor versammelter Truppe als „Scheiß Neger” beschimpft. Als dann auch noch der Torwart angerannt kam und mich netterweise nur als „Arschloch” bezeichnete, wurde es kurz kritisch. Die waren alle um die 30 Jahre alt, ich erst 16. Den Keeper habe ich dann auch direkt zum Duschen geschickt. Ich will nicht wissen, was mein Vater dachte, als er diese Szenen mitansehen musste. Das war schon heftig, aber es hat mich auch irgendwie gereizt. Sich als Jugendlicher gegen Erwachsene durchzusetzen und sich nicht unterkriegen zu lassen, war schon sehr fördernd für meine Entwicklung.

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Generell habe ich versucht, immer sehr sparsam mit Karten umzugehen. Die bedeuten nämlich nur zusätzliche Arbeit. Im Falle einer Roten Karte musste man nämlich einen gesonderten Spielbericht schreiben. Mein Rekord an Roten Karten lag trotzdem bei vier. Oft kam es vor, dass die Spieler dann nach dem Spiel bei mir angekrochen kamen und darum gebettelt haben, dass ich die Rote Karte in eine Gelb-Rote umschreibe. Damit hätte sich ihre Sperre reduziert und ich mir einiges an Arbeit gespart. Dass sich manche Schiris dafür auch mal einen Schein haben zustecken lassen, ist klar, oder?

Meine Einsätze wurden relativ selten kontrolliert. In der A-Klasse überhaupt nicht und in der Kreisklasse kam höchstens jedes dritte oder vierte Spiel mal ein Schiedsrichterbeobachter vorbei. Zum Glück hat da meistens alles gepasst. Sonst kam es nämlich schon mal vor, dass es ein wenig, sagen wir mal, unprätentiös zuging. Ich vergaß zum Beispiel öfters, mit dem Anpfiff auch die Stoppuhr zu aktivieren. Ziemlich scheiße, aber nicht das einzige Mal, dass ich improvisieren musste. So zum Beispiel auch, als ich meine Uhr einmal komplett vergessen hatte. Da bin ich dann mit meinem Handy in der Hand über den Platz gelaufen. Das kam nicht ganz so geil an. Ebenso wenig wie exzentrische Schiri-Gesten. Am Anfang habe ich noch ganz brav bei jeder Aktion Handzeichen gegeben–und es dann ganz schnell sein lassen. Bei den Holzfällern, die da auf dem Platz stehen, willst du nicht den Besserwisser-Schiedsrichter raushängen lassen.

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Mein entspanntester Einsatz war ein Senioren-Kick. Ich hatte keine Ahnung, wie lange in dieser Klasse gespielt wird und habe mich dann kurzerhand für zwei Mal 40 Minuten entschieden. Ich glaube allerdings nicht, dass das richtig war. Beschwert hat sich zwar keiner, aber bei Schlusspfiff waren die Opas schon außergewöhnlich fertig.

Den kuriosesten Einsatz habe ich als erster Assistent für einen befreundeten Schiri erlebt. Es gab einen Austausch zwischen österreichischen und bayerischen Schiedsrichtern. In Österreich hatte kürzlich eine Liga-Reform stattgefunden und so kam es, dass wir ein Spiel pfeifen sollten, bei dem es zum ersten Mal seit 20 Jahren zu einem Derby zwischen zwei Nachbardörfern kam. Natürlich wussten wir von überhaupt nichts. Das war schon richtig krass. Das Spiel fand irgendwo im tiefsten Österreich statt, der Ball wurde von einem Paraglider ins Stadion geflogen und hatte einen extra Aufdruck. Mehrere tausend Zuschauer waren da und es war richtig laut im Stadion. Obwohl mein Kumpel und ich echt scheiße nervös waren, haben wir gut gepfiffen und wurden zur Belohnung nach dem Spiel mit Applaus verabschiedet–und zwar von beiden Fanlagern. Anschließend saßen wir mit dem Bürgermeister der Heimmannschaft im Vereinsheim und haben uns gnadenlos volllaufen lassen. Wir waren allesamt hackedicht, als der doch tatsächlich meinte, dass er für unseren nächsten Besuch Hotelzimmer und ein paar nette Mädels organisieren würde. Meine Fresse, war das abgefahren.

*Um sich ein mögliches Comeback auf Deutschlands Bolzern nicht zu versauen, haben wir für Daniel ein Pseudonym gewählt.