“Bitte, nehmen Sie im Warteraum Platz”, sagt der Mann zu mir und einer jungen Mutter, als wir vor der Tür warten, auf der die Anfangsbuchstaben unserer Nachnamen stehen. “Schon OK, wir können stehen”, nuscheln wir. Mir ist schon klar, dass ich mich hinsetzen darf.
Jemand, der selbst noch nie in dieser Situation war, kann das vielleicht schlecht nachvollziehen, aber wenn deine ganze Zukunft in einem fremden Land von einer einzigen Unterschrift abhängt, die dir die Person hinter dieser verdammten Tür gewährt – oder nicht –, willst du auf keinen Fall deinen Aufruf verpassen.
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Natürlich kann ich mir Schöneres vorstellen, als auf die tristen Wände und den deprimierend grauen Teppich zu starren, der auch schon mal bessere Zeiten gesehen hat.
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“Das war keine Frage. Gehen Sie in den Warteraum und setzen Sie sich.” Die Stimme des Mannes holt mich aus meinen Gedanken. “Sie machen unsere Wände dreckig!”, ruft er vom anderen Ende des Flurs.
“Die Wändeeeeee!” Aggressiv gestikuliert er mit den Händen über die Wand neben sich. “Wegen Ihnen sind die Wände jetzt dreckig”, wiederholt er. “Gucken Sie, was Sie gemacht haben.”
Ich breche in Tränen aus. Ich glaube, die Frau neben mir weint auch. Kurz überlege ich, einen bösen Spruch loszulassen. Irgendwas darüber, dass ich jüdisch bin und wir die ganze Scheiße schon mal durchgemacht haben. Aber ich kann nicht. Ich fühle mich so gedemütigt.
Katastrophe vorprogrammiert
Die meisten, die diesen Artikel lesen, dürften zumindest eine Person in ihrem Freundeskreis haben, die in regelmäßigen Abständen zu einer Ausländerbehörde muss. Und wie du bestimmt mitbekommen hast, kann diese Erfahrung ziemlich unangenehm sein, manchmal auch traumatisch.
Versteh’ mich nicht falsch. Vieles unterscheidet sich nicht großartig von dem, was jeder bei Behördengängen durchmachen muss: seitenweise Formulare, wirres Beamtendeutsch und auf keinen Fall lächeln.
Die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ausländeramt wollen niemandem was Böses. Aber wenn du in einem Land bist, dessen Sprache du kaum sprichst, und dich durch einen bürokratischen Wust kämpfen musst, den auch viele Deutsche nicht verstehen, dann ist die Katastrophe vorprogrammiert.
“Israel? Bitte kommen Sie nach vorne!”
Als Besucherin diverser Ausländerämter in Köln ist mir aufgefallen, dass es auch eine Rangordnung unter Ausländern gibt.
“Welcher Pass?”, fragt eine Frau eine verwirrte Gruppe Menschen. “Syrien!”, “Indien!”, “Kolumbien!”, Bangladesch!”, antworten Dutzende Stimmen aus der Schlange, die sich seit 7 Uhr morgens hier gebildet hat. “Israel!”, stimme ich von hinten in den Chor mit ein.
“Israel? Bitte kommen Sie nach vorne”, sagt die Frau. Vor mir stehen mindestens 30 Menschen. “Aber … da sind doch viele Leute vor mir …”, wende ich ein. “Diskutieren Sie nicht mit mir”, sagt die Frau unwirsch. “Nach vorne. Jetzt!”
Bis heute weiß ich nicht, warum sie meinen israelischen Pass bevorzugt hat. Aber jeder Einwanderer in diesem Land merkt schnell, dass nicht alle Pässe gleich sind.
Deutsch oder gar nicht
Es gibt gute Gründe, warum deine ausländischen Freunde die ganzen subtilen Anspielungen fallen lassen, dass du sie zum Ausländeramt begleitest. Ohne Hilfe von Einheimischen ist es nämlich fast unmöglich zu verstehen, was die Leute im Amt von dir wollen – und manchmal kann selbst die beste Begleitung nicht helfen.
“Nach ein oder zwei Jahren im Land wird man ja wohl erwarten können, dass du zumindest eine grundlegende Unterhaltung auf Deutsch führen kannst”, wirst du jetzt vielleicht einwenden. Schön und gut. Blöderweise steht so ein Amtsbesuch oft wenige Wochen nach deiner Ankunft im Land an, manchmal sogar innerhalb der ersten paar Tage.
“Manche halten uns für faul oder denken, wir wollen einfach kein Deutsch sprechen, aber in den allermeisten Fällen stimmt das nicht”, sagt ein Freund aus Delhi. “Ich habe vor Kurzem meinen B2-Kurs abgeschlossen, aber ich finde es etwas unfair, dass sie von mir in meinem ersten Monat hier erwarten, auf diesem Niveau zu sein.”
Ich hatte das Glück, in einem Austauschprogramm mit einer Gruppe junger Menschen nach Deutschland zu kommen, das sich anfangs um unsere Belange gekümmert hat. Aber an dem Tag, an dem wir zur Anmeldung aufs Amt mussten, waren die Leute, die sich um uns kümmern sollten, zu spät. Wir waren total aufgeschmissen.
Keiner von uns sprach ein Wort Deutsch, die Mitarbeitenden des Ausländeramts kein Englisch – oder taten zumindest so. Wir haben es nicht durch die zweite Tür des Gebäudes geschafft. Das war unser dritter Tag im Land.
“Das ist hier kein Zoo”
Ein Jahr nach der Geschichte mit den Wänden muss ich wieder ins Ausländeramt. Es ist ein früher Freitagmorgen und der wohl schlechteste Tag für einen Amtsbesuch. Der Warteraum ist brechend voll. Dieses Mal sind viele Familien mit kleinen Kindern da. Es stehen mehrere Kinderwagen rum.
Als ein Kleinkind zu schreien anfängt, weil es sich den Kopf gestoßen hat, wacht ein anderes Baby auf und bricht ebenfalls in Tränen aus. Dann stimmt ein weiteres Baby mit ein, wie Kinder das halt so tun. Die Sache eskaliert. Niemand hat Lust auf einen Chor schreiender Kleinkinder, aber plötzlich brüllt es vom Flur:
“Das ist hier kein Zoo! Das klingt wie eine Affenhorde! Haltet den Mund!”
Nicht alle verstehen, was die Frau uns gerade zugerufen hat, aber die anderen sind schockiert. Die Kinder, jetzt erst recht verängstigt, schreien noch lauter.
Begleite uns
Du fragst dich jetzt, wie du deine ausländischen Freundinnen und Freunde in solchen Situationen unterstützen kannst? Begleite sie aufs Amt, hilf ihnen mit Übersetzungen und beim Ausfüllen von Formularen. Zeig ihnen, dass sie nicht allein sind. Und auch wenn du dir nicht extra freinehmen kannst, biete ihnen Hilfe mit Verträgen, Rechnungen oder Bankauszügen an.
Sie werden diese kleinen Gesten nicht vergessen. Da bin ich mir ganz sicher.
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