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Polizei startet bald Experiment mit Verhaltenserkennung an Berliner Bahnhof

Mit Einkaufsgutscheinen von Amazon warb die Bundespolizei letztes Jahr Freiwillige für einen Test am Berliner Bahnhof Südkreuz. Mit 300 Versuchspersonen wollte sie herausfinden, wie gut Gesichtserkennung unter realen Bedingungen funktioniert. Bald soll auch die zweite Projektphase starten, in der Überwachungskameras unter anderem Personen auf ihrem Weg durch den Bahnhof tracken und verlassene Koffer erkennen sollen. Ein ähnliches Projekt gibt es in Mannheim, dort sollen Kameras Schlägereien, herumstehende Koffer und regungslose Personen erkennen und dann Polizeibeamte alarmieren.

Ein Sprecher der Bundespolizei sagte Motherboard, der Start sei für den Sommer anvisiert, ein konkretes Datum stehe jedoch noch nicht fest. Die Deutsche Bahn, die zusammen mit Bundespolizei und Innenministerium für den Versuch verantwortlich ist, weiß nämlich noch nicht genau, welche Software sie einsetzen will. Laut einer aktuellen Antwort des Innenministeriums verschafft sich die Deutsche Bahn gerade einen Marktüberblick, um ein geeignetes Programm zu finden. Neben vereinsamten Koffern und Personentracking soll die Software auch erkennen können, ob sich Menschen in bestimmten Bereichen aufhalten, ob Menschen auf dem Boden liegen, wo sich größere Personenströme befinden und ob es irgendwo zu einer Überfüllung kommt.

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Das Experiment Südkreuz dauert länger als geplant

Mit einem Start im Sommer liegen die Projektpartner Bundespolizei, Bahn und Innenministerium hinter ihrem ursprünglichen Zeitplan. Laut einer früheren Auskunft sollte der Anbieter für die Verhaltens- und Situationserkennung schon Ende des Jahres 2017 feststehen.

Schon im August des letzten Jahres starteten die Experimente mit der Gesichtserkennung. Die Bundespolizei speichert Fotos der Freiwilligen und gleicht sie mit allen Gesichtern ab, die sie in markierten Bereichen des Bahnhofs erfasst. In einem realen Betrieb sollen keine Freiwilligen, sondern Personen aus Fahndungsdatenbanken erkannt werden. Das ist derzeit jedoch gesetzlich noch nicht erlaubt.


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Dieser Test sollte bis Januar dauern, doch der damalige Innenminister Thomas de Maizière kündigte im Dezember an, ihn um sechs Monate zu verlängern. Man wolle die Erkennung aufgrund schlechterer Fotos auf die Probe stellen, die näher an die Realität von Fahndungsfotos heranreichen. Für die Verlängerung des Experiments castete die Bundespolizei übrigens keine neuen Testpersonen. Eine Sprecherin der Bundespolizei sagte Motherboard, die ursprünglich angeworbenen Testpersonen hätten ihre Teilnahme verlängert. Einkaufsgutscheine gab es also nicht noch einmal zu gewinnen.

Die bisherigen Ergebnisse feierte de Maizière als Erfolg, es seien 70 Prozent der Gesuchten richtig erkannt worden. Bei unter einem Prozent seien Personen irrtümlich als eine der Freiwilligen identifiziert worden. Doch was würde diese Quote bedeuten, wenn aus dem Experiment ein regulärerer Betrieb werden würde? Dass in weniger als einem Prozent Fehlalarm ausgelöst wird, weil ein zufälliger Bahnhofsbesucher als mutmaßlicher Verbrecher erkannt wird, klingt zunächst nicht nach viel. Rechnet man das auf die täglich über 100.000 Reisenden an dem Verkehrsknotenpunkt hoch, ergeben sich jedoch 1.000 falsche Verdächtige. Tragen Personen Schals und Mützen, erschwert das die Erkennung zusätzlich.

Datenschützer und Bürgerrechtler üben seit Beginn der Experimente heftige Kritik. Die Berliner Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk kritisierte, die Gesichtserkennung verstoße gegen das Recht, sich unbeobachtet und anonym in der Öffentlichkeit zu bewegen. Die Verhaltenserkennung könne dazu führen, dass Menschen sich einem mutmaßlich unauffälligen, konformen Verhalten anpassen. Denn wer will schon, dass die Software Alarm schlägt, nur weil man gerade vor der Prüfung nervös am Bahnsteig auf- und abläuft oder weil die S-Bahn mal wieder zu spät kommt?

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