Am Sonntag schließt die nächste Institution: die Neue Heimat. Wieder gab es eine Anzeige, wieder Brandschutz, wieder Einordnung als Vergnügungsstätte als Reaktion—statt Hilfe bei den Umbaumaßnahmen. Weitere Clubs auf dem RAW-Gelände seien seitens der Stadt nicht erwünscht, zitiert BLN.FM den Neue-Heimat-Betreiber Sebastian Baier. Zu den Hintergründen in der Berliner Kulturpolitik, lest hier unsere Geschichte zum Stattbad, same shit, different club.
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Als ich zum ersten Mal durch die Katakomben des Stattbads lief, fühlte sich das an wie in einem dieser frühen Action-Adventure-Spiele. Die Munition ist alle, überall Gänge und Nischen … aber ganz hinten links wird es irgendwann endlich hell, Ammo-Kisten in Form von Gastro-Kühlschränken erleuchteten den Raum mit kaltem, unwirklichem Licht. Ziel erreicht, alles gut.
Die Leute hinter den Stattbad-Veranstaltungen lesen das sicher nicht gern, aber diese nur schwer definierbare Stimmung bei der Club-Begehung machte ohne Frage immer einen Teil des Stattbad-Zaubers aus, und sie hat vor ein paar Wochen scheinbar auch die Beamten der Baubehörde ergriffen. Das Blöde ist: Wenn der deutsche Beamte etwas nicht definieren kann, ist das erst einmal ein Problem—und eine anonyme Anzeige, die sämtliche Brandschutz-Schwachstellen auflistet, trägt zur Erhaltung eines Kulturzentrums genausowenig bei wie dessen Einordnung als Vergnügungs- und nicht als Kulturstätte.
Den Stattbad-Leuten geht es deshalb gerade ein bisschen scheiße, sie hatten nicht einmal Zeit, sich von ihren Plänen und Investitionen ordentlich zu verabschieden—mit der Anzeige wurde das alles ziemlich humorlos wegrasiert. Und das ist nicht nur traurig für diese nette Crew, es betrifft auch die gesamte Stadt Berlin. Bisher dachten nämlich noch ein paar Naive unter uns, die Stadt sei so stolz auf ihre Clubkultur, dass sie bei behördlichen Krimskrams auch mal ein Auge zudrückt. Vielleicht lag das auch an den Geschichten der alten Techno-Helden, die unsere Haupstadt wie eine stadtgewordene sturmfreie Bude erscheinen lassen. Als zum Beispiel der Club Planet 1991 an der Köpenicker Straße eröffnete, klauten die Veranstalter einfach den Strom. Heute reicht die Anzeige eines feindseligen Unbekannten, einen der renommiertesten Clubs und Kulturzentren in Deutschland wegzublasen—keine Feuerleiter, kein Stattbad, zack. Das mit dem zugedrückten Auge klappt also scheinbar nicht mehr so richtig. Wowereits Werbeclaim „arm, aber sexy” wirkt heute so überholt wie eine HB-Männchen-Fernsehwerbung. „Touristisch, aber unflexibel” trifft es vielleicht heute besser. Denn in diese Stadt fließt zwar jede Menge Clubtourismus-Geld, aber es wird konsequent an den falschen Ecken wieder investiert.
Immerhin ist Berlin nicht so dumm, ihre gesamte „Kreativwirtschaft” zu ignorieren, deren Keimzellen in unseren düsteren, feuchten Clubs ihre Wurzeln schlagen. So ähnlich formuliert es zumindest der Jahresbericht des Musicboards Berlin. Inzwischen 1,75 Millionen Euro (!) kann das Musicboard pro Jahr für die Förderung von Musikprojekten jenseits klassischer Musik in die Hand nehmen. Das ist zwar immer noch ein Witz im Vergleich zum gesamten Kulturhaushalt von über 400 Millionen Euro, es ist aber eine Summe, mit der man sehr viel Neues bewegen und gutes Bestehendes erhalten könnte.
Und das Stattbad war ziemlich gut, solange es noch bestand. Ateliers in den Umkleidekabinen, Keinemusik und andere Kulturschaffende in den Büros, leckere Säfte an der Bar, Wahnsinns-Booking im Club, wäre ganz schön beschützenswert gewesen, oder? Aber die Politik handelte ja auch. Der Bezirksrat stimmte ab, dass er gegen die Schließung des Stattbads ist, was im Ergebnis ungefähr so viel bringt, als hätten sie sich gegen schlechtes Wetter ausgesprochen. Das Musicboard hat angeboten, zusammen mit dem Stattbad-Eigentümer und Kulturstaatssekretär Tim Renner einen runden Tisch zu veranstalten. Geld für die Sprinkleranlage und die Feuerleiter? Daran dachte überhaupt niemand. Dafür gibt es ja auch überhaupt keinen Topf, und die Jahresbudgets (wir erinnern uns: 1,75 Mio) sind schon so gut wie verplant; aber man kann ja vielleicht in Zukunft mal was zusammen machen mit lokalen Musikern für Pop im Kiez oder so, dazu müssten die verschuldeten Veranstalter natürlich das Stattbad erst einmal irgendwie auf eigene Kasse retten oder sich mit dem Eigentümer einigen.
Als ich das alles hörte, war ich erst einmal ziemlich angepisst. Eigentlich sollte dieser Artikel hier so etwas wie ein super-pathetischer Stattbad-Abschiedsbrief werden, ich hatte schon sehr schön traurige Zitate von Michail Stangl (Boiler Room), Tommy FourSeven, Hugo Capablanca und Reznik gesammelt. Aber traurig passt hier nicht. Wenn Berlin für die Sanierung der Staatsoper mal locker 300 Millionen raushaut und beim Stattbad, das nicht nur dank Boiler Room international bekannter ist, freundlich aber bestimmt mit den Achseln zuckt; wenn der Kultursenator nicht einmal einen Halbsatz zu diesem Thema übrig hat, ist Trauer die falsche Emotion.
Kann es sein, dass diejenigen, die auf eigenes Risiko für wirklich zeitgenössische Kultur einsetzen, nach einer Brandschutzbeschwerde im Zweifel dichtmachen müssen? Je länger ich mich mit dem Thema beschäftige, desto klarer wird: Ja, genau so ist es. Die Stadt packt ihre Clubkultur auf sämtliche Touri-Prospekte, verdient sehr viel Geld damit, aber wenn es ein bisschen komplizierter wird, sind die Veranstalter selbst Schuld, hätten sich ja informieren können, hätten ja Anträge stellen können, hätten ja reich sein können. Das Stattbad ist natürlich nicht der erste Club, der wegen einer überraschenden Anordnung des Bauamtes oder ähnlichen Maßnahmen schließen muss, und wenn du dir anschaust, wer alles hier in Berlin investiert, und welche Kanzleien für diese Investoren arbeiten, wird es sicher auch nicht der letzte sein.
Ja, es stimmt, liebe Stadt. Die privaten Investoren mit ihren Gewinnplänen sind die Bösen und sie drängen mit fiesen Tricks und den wildesten Maschen in eine Stadt, deren Raum langsam knapp wird. Willkommen im Kapitalismus. Und genau deshalb ist es die verdammte Pflicht der öffentlichen Hand, Kulturschaffende wie die Stattbad-Crew jetzt endlich ernsthaft und effektiv zu schützen. Nicht ganz unkompliziert? Willkommen im Rechtsstaat. Bei Icon und Klub der Republik waren es unbedachte behördliche Genehmigungen für die Nachbarn, beim Stattbad der Brandschutz, der nächste Einschlag kommt bestimmt. Keine der bisherigen Maßnahmen zeigt nur im Ansatz, dass ihr verstanden habt, dass Berliner Clubs die größte und wichtigste Attraktion der Stadt sind und dass sich Veranstalter mit Qualitätsbooking nicht die Taschen voll machen, sondern wegen popeliger behördlicher Maßnahmen dichtmachen müssen, weil das Geld für Umbauten und Anwälte fehlt. Wann checkt ihr endlich, dass unsere weltberühmte Clubkultur strauchelt und dass Easyjet-Tickets schneller umgebucht sind, als ihr Clubcommission sagen könnt?
Du merkst, liebes Berlin, das regt mich richtig auf. Weil das Geld ist da und es wird tatsächlich durch unsere Clubs selbst erwirtschaftet. Zehntausendende Touristen strömen jedes Wochenende in die Stadt und füllen damit die Steuerkassen. Die City Tax war eine großartige Erfindung: Touris zahlen für jede Übernachtung ein paar Euro extra für unsere Kultur. 29 Millionen sind so 2014 reingekommen, die „neue Initiativen anstoßen und den Kulturstandort sichern, nicht etwa Haushaltslöcher stopfen” sollten. War natürlich gelogen. Also natürlich bekommt auch die Kultur was davon, sie muss es sich aber mit Sport und Tourismus teilen, und von den 29 Millionen sickert ein lächerlicher „Sockelbetrag” von 25 Millionen in unsere schwarzen Haushaltslöcher. Je mehr ich über Versäumnisse bei Genehmigungen, Bebauungsplänen, verkauftem Gelände und dem ganzen Mist lese, desto frustrierter werde ich. Das wollt ihr alles gar nicht lesen. Deshalb hier nur noch die kurze Bitte an Senat, Kultursenator aka Bürgermeister, Kulturstaatssekretär und alle, die so stolz auf „ihre” Clubkultur sind:
Was, Berlin, kann für den Kultur- und Wirtschaftsstandort dieser Stadt wichtiger sein, als Veranstaltungsorte für die freie Kunstszene vor ihrer Schließung zu bewahren, die auf eigenes Risiko jahrelang ihre sorgsam ausgewählten Künstler mit einer Menge Herzblut aufgenommen haben? Ihr wisst, wo die Probleme liegen und ihr wisst, was ihr dagegen tun könnt. Jede weitere „überraschende” Schließung eines funktionierenden Clubs geht auch auf eure Kappe. Fangt endlich an, eure Clubs ernst zu nehmen, danke.