Berliner Polizisten sollen anonym Drohbriefe an Linksautonome verschickt haben

Niemand hatte damit gerechnet, dass Linksautonome und die Polizei zum Jahresende noch ihr Weihnachtswunder erfahren und sich versöhnen. Nachdem sie sich im Sommer in Hamburg eine regelrechte Schlacht geliefert hatten, verlagerte sich der Konflikt im Winter ins Internet: Mitte Dezember hatte die Hamburger Polizei Fotos von 104 Tatverdächtigen – darunter auch einer Minderjährigen – veröffentlicht, die bei G20-Ausschreitungen dabei gewesen sein sollen. Als Reaktion darauf hatten Linksautonome ihrerseits Fotos von 54 Beamten und Beamtinnen geteilt. Kurz vor Weihnachten traf dann ein Drohbrief in linken Zentren und Treffpunkten ein – mit höchst vertraulichen Inhalten.

Bereits am 22. Dezember sei der Brief in verschiedenen linksorientierten Lokalitäten eingegangen, heißt es in einem Beitrag auf indymedia. Dort wurden auch Auszüge des neunseitigen Schreiben geteilt, das von einem “Zentrum für politische Korrektheit” unterzeichnet wurde. Die Verfasser drohen damit, persönliche Daten der Aktivisten weiterzugeben. Denn die Linksautonomen hätten ja ebenfalls persönliche Daten verbreitet, als sie die Fotos der Polizeibeamten veröffentlichten: “Wir haben Euren Fahndungsaufruf sehr Aufmerksam verfolgt und wollen uns solidarisch zeigen. Also machen wir auch einfach einen Fahndungsaufruf den wir an beliebige Stellen verschicken wollen.” [sic]

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Mit einer Ninhydrin-Lösung haben die Aktivisten Fingerabdrücke der Verfasser festgestellt | Foto: indymedia | CC BY-SA 3.0 DE

Der Brief soll eine Liste enthalten, in der indymedia zufolge insgesamt 42 Personen aus dem Umfeld des Berliner Wohnprojekts Rigaer 94 mit ihren vollen Namen erwähnt werden. Entsprechende Passagen hat der Blog geschwärzt oder nicht abgebildet. Die Daten, drohen die Schreiber, wollen sie “an die Identitären, die AN’s [Anm. d. Red. Autonome Nationalisten] oder die Bullen oder wen auch immer” weiterleiten: “Eure Gesichter, Namen, Adressen, Fahrzeuge, Eltern, Geschwister sind sehr lange schon bekannt.”

Die Informationen aus den Briefen sollen aus Ermittlungsakten stammen

Allerdings soll der Brief noch viel besorgniserregendere Informationen enthalten, berichtet indymedia: Von 18 Personen gäbe es Dokumente, die aus Unterlagen des Staatsschutzes stammten. Dabei handele es sich um Fotos aus erkennungsdienstlichen Behandlungen des Berliner LKA und aus den Personalausweisen der Personen. Die Fotos enthielten zudem Kommentare aus der Datenspeicherung der Polizei. “Wir sind sicher, dass das Schreiben von der Berliner Polizei erstellt und verschickt wurde”, schreiben die Autoren des indymedia-Beitrags, “da niemand sonst Zugang zu entsprechenden Fotos von erkennungsdienstlichen Behandlungen und Ermittlungsakten haben dürfte.”

Personenbezogene Daten hat indymedia geschwärzt | Foto: indymedia | CC BY-SA 3.0 DE

Die Berliner Polizei hält sich VICE gegenüber bedeckt: “Ohne die Briefe können wir nicht beurteilen, was das für Bilder waren. Die Polizei ist darauf angewiesen, dass jemand Anzeige erstellt oder uns die originalen Briefe vorlegt – gerne auch anonym”, sagte ein Pressesprecher der Polizei am Nachmittag. Ohne den Anfangsverdacht einer Straftat könne die Sache auch nicht an den Staatsschutz weitergeleitet werden, so der Sprecher weiter.

Für die Verfasser des indymedia-Posts bestehen allerdings keine Zweifel: Berliner Polizisten haben die Daten selbst geleakt oder den Brief verfasst. Dafür würden neben den vertraulichen Informationen mehrere Indizien sprechen – unter anderem ein Poststempel aus dem Verteiler-Zentrum, das den Bezirk bearbeitet, in dem das Polizeipräsidium liegt. Tatsächlich wäre es nicht das erste Mal, dass sensible Daten der Polizei an die Öffentlichkeit gelangen. 2016 waren auf dem rechten Blog “Halle Leaks” Personendaten aufgetaucht, die aus Ermittlungsakten zu einer Auseinandersetzung zwischen Linken und Rechten stammten. Die Berliner Polizei hatte das damals bestätigt.

Am kommenden Montag sollen die Briefe in der Innenausschusssitzung des Berliner Abgeordnetenhauses besprochen werden. Die Linke hatte das Thema auf die Tagesordnung setzen lassen, um zu klären, wie die Daten nach außen gelangen konnten, so ein Sprecher der Linksfraktion. Auch, wer den Brief geschrieben hat, konnte bis jetzt noch nicht geklärt werden. Sollte die Berliner Polizei aber tatsächlich für das Datenleck oder die Drohbriefe verantwortlich sein, wäre das ein Skandal. Aber auch das wäre für die hauptstädtische Polizei nichts Neues mehr.

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