Berliner Polizisten wissen von geplantem Mord im Rocker-Milieu – und lassen ihn geschehen

Es gibt Menschen, bei denen einige vielleicht sagen würden: Um den ist es nicht schade. Wenn ein Terrorist stirbt oder einer, der von der Polizei erschossen wird, nachdem er Amok gelaufen ist und Unschuldige getötet hat, trauern selbst viele Verfechter von Menschenrechten so jemandem kaum hinterher. Und es ist vor allem ein großer Unterschied, ob die Abscheu vor einem Menschen eine private Gefühlsregung bleibt, oder ob eine Amtsträgerin nach ihr handelt. In einem gerade vor dem Berliner Landgericht verhandelten Fall deutet alles darauf hin, dass drei Polizisten von einem geplanten Mord wussten – und diesen absichtlich nicht verhindert haben.

So mutmaßlich geschehen im Januar 2014. Damals stürmen 13 Männer ein Wettbüro in Berlin-Reinickendorf. Einige von ihnen sind maskiert, andere nicht. Sie dringen in den letzten Raum vor, wo einige Männer Karten spielen. Unter ihnen ist Tahir Ö., ein der Polizei als notorischer Krimineller bekannter 26-Jähriger. Einer der Männer schießt achtmal auf Tahir Ö., sechs Schüsse treffen ihn. Das Opfer stirbt noch am Tatort.

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Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Hells Angels um den 29-jährigen Kadir P. für den Mord verantwortlich sind. Sie sollen sich zuvor mit Tahir Ö. gestritten haben. Ein Mord im Rocker-Milieu ist nicht unbedingt ungewöhnlich, so beunruhigend das klingen mag. 2016 wurde beispielsweise der Boss der Gießener Hells Angels erschossen. Im selben Jahr wurde bei einer Schießerei unter Leipziger Rockern ein Mann getötet und zwei weitere schwer verletzt. In Nordrhein-Westfalen sind Gewaltverbrechen unter Rockern so häufig, dass eine von der Zeitung WAZ zusammengestellte Bilderstrecke zur “Chronik der Gewalt” bereits aus 124 Einträgen besteht. Auch wenn da teilweise mehrere Bilder zu einer Tat gelistet sind, ist das Ausmaß beträchtlich. Ziemlich ungewöhnlich dürfte es aber sein, dass die Polizei vorab vor einer Gewalttat weiß und nichts unternimmt.

Nun ist das Gerichtsverfahren noch nicht vorbei und nicht mit letzter Sicherheit geklärt, ob die Beamten des Landeskriminalamtes davon wussten, dass ein Racheakt geplant war. Allerdings wurde eben dies vom Gericht in einem sogenannten vorläufigen rechtlichen Hinweis festgestellt, womit diese Version der Ereignisse als sehr wahrscheinlich gilt. In einem solchen Hinweis gibt das Gericht seine Meinung zu einem wichtigen Sachverhalt wieder, wenn sich neue Erkenntnisse ergeben. Auch deshalb urteilt beispielsweise der Tagesspiegel: “Der Staat darf einen Mord nicht ermöglichen. Das gilt – erschreckend genug, dass man darauf hinweisen muss – für alle Menschen, unabhängig davon, ob sie selbst kriminell sein könnten.” Wie genau die LKA-Beamten davon erfahren haben sollen, dass Kadir P. einen Mord an Tahir Ö. plante, ist nicht bekannt. Er soll aber Todesdrohungen ausgestoßen haben, die auch die Polizei mitbekommen habe.

Zu verurteilen ist das Verhalten der drei Polizisten natürlich auch unabhängig davon, ob sie den Mord nur geschehen ließen, um die Täter anschließend zu überführen. Die Ich-lasse-die-bösen-Jungs-sich-gegenseitig-abknallen-und-verhafte-dann-die-letzten-Übriggebliebenen-Nummer ist der Polizei nunmal per Gesetz untersagt.

Die Berliner Polizei sowie das Landeskriminalamt der Hauptstadt stolpern ohnehin seit Jahren von einem Skandal in den nächsten. Vor allem die Fehler im Umgang mit dem späteren Attentäter Anis Amri, der in Berlin zwölf Menschen getötet hat, hängen den Behörden noch nach.

Besonders bitter an dem aktuellen Fall: Das Fehlverhalten der Polizei könnte den mutmaßlichen Tätern nun sogar zu einer geringeren Haftstrafe verhelfen. Das Gericht glaubt zwar nicht, dass die Polizei den Mord provoziert hätte. Aber es sieht in dem Verhalten der Beamten einen Verstoß gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens.

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