Bibbern und „Schieben“ am SVP-Jasscup

Auf dem Weg vom Bahnhof Herisau zum „Casino”, wo der SVP-Jasscup stattfindet, kommt uns Toni Bortoluzzi und so mancher andere SVP-Nationalrat entgegen. Wie jetzt? Waren die alle nur für „SVP bi de Lüt”, den Wahlkampfanlass vom Vorabend, in Herisau? Als wir im „Casino” dann neben diversen knorrligen Herren und mittelalten Töff-Fahrerinnen auch Bundesrat Ueli Maurer treffen, sind wir beruhigt: Dieser Anlass bietet den Mix aus Parteiprominenz und Basismitgliedern, die wir uns erhofft haben.

Bei der Anmeldung bestehe ich darauf, dass sich der Fotograf und ich bei den französischen Karten eintragen lassen. Wir sind ohnehin schlechte Jasser und die Reaktionszeit, die ich benötigt hätte, um die deutschen Karten zu entziffern, hätte für meine Mitspieler wohl den Unterschied zwischen „unnötigem Übel” und „untragbarem Spielpartner” gemacht.

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Alle Fotos von Evan Ruetsch

Dem Regel-Faltblatt entnehme ich, dass wir heute „Schieber mit ausgelostem Partner” spielen, dazu auch noch eine vereinfachte Variante ohne „Stöck” und „Weis”. Meine Initialpanik verfliegt. Nachdem der Turnierleiter die 340 Jasserinnen und Jasser begrüsst hat, hält Ueli Maurer seine Ansprache. Es sei das erste Mal, dass er nicht mitjasst. Ich fühle mich mit Bundesrat Maurer verbunden, als er sagt, dass er an den Jass-Cups „normalerweise keinen Preis nach Hause nehme”.

Die entstehende Sympathie verzieht sich als er über Politik spricht: „In der Politik spricht man manchmal von Brot und Spielen. Das ist das Spiel heute. Und daneben geht es immer wieder um sehr viel Ernsthaftes.” Nein, Ueli Maurer, mit der Parole „Brot und Spiele” hatte man im alten Rom das Volk ruhiggestellt, damit niemand etwas an den herrschenden Verhältnissen ändern wollte. Aber ja: Ueli Maurer wird wieder herzlich selbstironisch, als er erzählt, dass ihn gestern Leute gefragt haben, ob er seine Schweizer Kreuz-Krawatte für die Fasnacht trage.

In der ersten meiner vier Jassrunden zeigt sich, dass es vielen hier wirklich um das Spiel und nicht um Politik geht. Was mich freut, denn das letzte Mal mit SVPlern gejasst habe ich am 9. Februar 2014, da versaute mir das Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative die Lust am Spiel. Dieses Risiko gibt es am heutigen Tag nicht. „Schieber” spielt man in Zweier-Teams. Mein Mitspieler ist nicht hocherfreut, als er merkt, dass ich die Trümpfe unsicher bestimme und meine Karten ohne Konzept lege, aber er nimmt es mit Humor. Zwei von vier Jassern bemerken während dem Spiel, dass sie über miteinander verschwägert sind. Alles gmögige, mittelalte Gewerbler aus Agglogemeinden im Solothurn, Aargau und Zürcher Oberland. Ich fühle mich wohl (aber verliere selbstverständlich).

In der Pause nach der ersten Runde höre ich ulkige Dialoge mit: „Isch au nid grad rollstuhlgängig hie!”—„Old halt.” Hinter den beiden stolpert eine Frau über den Treppenabsatz. „Halt würkli nid rollstuehlgängig!”, kommentiert wieder der erste.

Die zweite Runde entwickelt sich dann aber zum Horrortrip: Meine Mitspielerin ist eine ältere Dame mit einem nervösen Pudel auf dem Schoss. Nach jeder Karte, die ich lege klopft sie auf den Tisch und flucht: „Gopferdammi!”—„Ou nei! I gläbs eifach nyt.”—„Wie kame nume?”—„Aso, ich verstoh nyt me. Gar nyt, sapperlott.”

Unsere Gegner sind SVP-Nationalrat Thomas de Courten, der ab dem Moment, in dem er erfahren hat, dass aus meinen Eindrücken ein Artikel entsteht, beschwichtigen will und einem glatzköpfigen Herrn, der in persönlichen Dingen wunderbar herzlich ist, aber wütet, sobald es um Politik geht: „Je nachdäm, wie das Wahljohr jtz usgoht, wandere ich us! Alles mache sie kaputt, alles, womr gha hend.”—„Jo, wohäre würsch den wölle uswandere?”—„Nach Thailand oder süscht neume here, s chunt gar nid so drufah. Alles mache sie do kaputt. Die Homoehe, i ha jo nüt gäge die Lüt, aber es sölls efach nid gäh.” Ich fühle mich unwohl und will einfach nur, dass es vorbei ist; meine Jass-Partnerin redet sich weiter in Rage, als unsere Niederlage endgültig ist, aber endlich kann ich weg.

Die dritte Runde beginne ich mit (doppelter) Schadenfreude: Mein Mitspieler hat in einer der Runden zuvor mit unserem Fotografen gespielt und ist frustriert. Ich erfahre, dass der Fotograf gezwungen worden ist, sich vom Turnier abzumelden. Eine Vertretung jasst jetzt in seinem Namen weiter. O-Ton: „Afänger händ do nüt verlore!” Ich nehme ihm die Hoffnung lieber im Vornherein und erkläre, dass ich auch kein guter Jasser sei: „Aber i probiers mit Schadensbegrenzig für din Turnierpunktestand.” Diese Runde ist wieder angenehmer und ich merke wie ich—verhältnismässig—sicherer spiele.

In der letzten Runde bin ich in einem wunderbaren Kreisli aus vier älteren Leuten, die alle ähnlich wenig Ambitionen wie ich haben. Die nach Glattbrugg ausgewanderte Bündnerin begrüsst mich überschwänglich: „Min Name isch Menga. Menga, scho en sehr spezielle Name.” Ihr Jass-Partner freut sich: „Ich ha jo zwöi Johr lang in St. Moritz Postauto gfahre.” Und als ich mal einen dummen Fehler mache, erklärt mir der liebevolle Grossvater, der mit mir zusammen spielen muss: „Dir hed das villicht no niemer gsäit, aber s Jasse ischs fairste Spiel vo de Wält. Wenn du de Trumpf nid hesch, so het en de Ander.”

Nach dem Spielende gehen der Fotograf und ich, denn mein Endpunktestand lässt mir keine Hoffnung auf einen Preis. Beim Ausgang ruft mir der Jass-Partner aus der ersten Runde nach: „Bernhard! (Damit bin ich gemeint.) Ischs no besser worde?” Ich lache und verneine. Im Anhang einer SVP-Medienmitteilung lese ich ein paar Stunden später, dass ich auf dem 314. von 350 Plätzen gelandet bin—besser als erwartet.

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