Bikinis, Bizeps und Boykott—auf einem Festival in Israel, das das neue Ibiza werden will

Gegen fünf Uhr morgens hebt sich die Sonne, scheint über den Horizont des Roten Meers zwischen Israel, Jordanien und Ägypten, scheint über die unzähligen Hoteltürme Eilats, über die sandfarbenen Minarette Akkabas und die Grenzposten zur ägyptischen Halbinsel Sinai. Sie wandert über die Gesichter verschlafener Soldaten, brennt sich in ihre grünen und weißen Uniformen und glänzt auf ihren blank polierten Gewehrläufen. Sie gleitet lautlos über die Schlafenden und Betrunkenen und Frühaufsteher im Coral Beach Hotel am Südende der Stadt, über Zigarettenstummel, leere Longdrinkgläser und hier und da einen herrenlosen Schuh. Um kurz nach sechs erreicht sie den türkis-blauen Pool, die Hausmädchen im Westflügel, die Frauen in kurzen Shorts und Männer mit prallen Bizeps. Es ist der Morgen nach dem ersten Tag des Grounded Festivals in Eilat.

Die ganze Nacht ist die Temperatur nicht unter 20 Grad gesunken. Eilat hat zehn Niederschlagstage im Jahr, Durchschnittstemperatur 29 Grad, Wassertemperatur 22 Grad. Dies scheinen drei der Gründe zu sein, warum das Grounded Festival am südlichsten Punkt Israels stattfindet: Alle Mädchen können die ganze Nacht im Bikini tanzen. Die Anzahl gutaussehender Menschen bei diesem Festival ist in der Tat überwältigend—alle sind gestählt, trainiert, rasiert, sauber, frisch. Vergeblich sucht man hier den Schlamm und Schweiß, den schlechten Atem und die verstopften Toiletten eines klassischen Zelt-Festivals.

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Grounded ist Luxus und Urlaub. Es ist Privatstrand, Frühstücksbuffet, gefaltetes Toilettenpapier, Handtuchschwäne.

Während auf der anderen Seite der Welt ein rotgesichtiger Immobilienhai die Macht an sich reißt, wird in Eilat gefeiert, gekokst, getrunken, gespeist. Hedonismus gegen Apokalypse. Israelis sind gut darin. Sie leben täglich im Gefühl, dem Untergang geweiht zu sein. In diesem Land wird selten gespart, auf Morgen verschoben, die Tugend des Maßhaltens gelehrt.

“Wir wollen einen Spielplatz für Erwachsene erschaffen. Mit dem besten Soundtrack und allem Komfort. Ein Zelt oder Wohnwagen ist nicht genug für uns”, erklärt Or Soker. Er ist einer der Organisatoren und Produzenten des Festivals. Grounded findet in diesem Jahr zum ersten Mal statt. Zur Feier des Tages trägt Or schwarze Adlerflügeln, einen endlosen Hipster-Bart, verspiegelte Sonnenbrille und einen Turnbeutel mit dem Logo des Events: ein ausgezehrter, weißer Greifvogel mit leuchtenden Augenhöhlen.

Musikalisch sei man konsequent der Tech-House Linie gefolgt, tagsüber dürfe es sogar ein bisschen loungig sein, erklärt Or. An seinen massiven Torso pressen sich drei Kellnerinnen aus Silikon und Botox. Spring Break hat es von Miami nach Eilat geschafft, Israel hat endlich sein eigenes Las Vegas inklusive Dekadenz und Flughafen mitten in der Stadt. Nur die Casinos fehlen, Glücksspiel ist im religiösen Israel illegal. Roulettesüchtige müssen über die 10 Minuten entfernte Grenze nach Ägypten fahren. “Wir sind dabei, ein Event zu kreieren, dass sich mit Ibiza messen kann. Eilat ist dafür der ideale Ort und liegt perfekt. Und die Szene in Israel verdient endlich ein anständiges Festival”.

Doch wird Israel jemals imstande sein, ein internationales Festival zu kreieren,​ dass auch vom Ausland als solches wahrgenommen wird? Kann trotz politischer Beschränkungen ein respektables Line-up mit Künstlern aus aller Welt zustande kommen?

Zu Grounded haben es Âme und Robag Wruhme​ aus Deutschland, Ivan Smagghe​ aus Frankreich und die Mitglieder des multinationalen All Day I Dream-Kollektivs her geschafft, inklusive Death on the Balcony, Lee Burridge, Lost Desert und Gorje Hewek & Izhevski. Für ein kleines Festival wie Grounded mit 1000 verkauften Tickets ist das kein schlechtes Ergebnis. Zumal die Boykott Kampagne gegen den israelischen Staat (BDS) viele Unterstützer hat, auch in der Kulturindustrie. Massive Attack, Pixies, Stevie Wonder oder Faithless haben in der Vergangenheit gegen die politischen Zustände in Israel und den palästinensischen Gebieten demonstriert—oder sahen sich gezwungen, Auftritte in Israel aufgrund öffentlichen Drucks abzusagen. Im Februar 2015 haben siebenhundert Künstler in einer Erklärung kundgegeben, dass sie nicht in dem Land auftreten oder Ehrungen annehmen werden bis die “kolonialistische Unterdrückung der Palästinenser” beendet sei. Unter ihnen: Ken Loach, Richard Ashcroft, Brian Eno und Roger Waters. Letzterer forderte die Chemical Brothers jüngst dazu auf, ihr Konzert in Tel Aviv abzusagen​—mehr als 7000 Menschen unterstützten seine Forderungen mit einer Petition. Die Chemical Brothers kamen trotzdem.

Diese Umstände machen es Promotern der israelischen Musikszene nicht einfach, einen künstlerischen Austausch mit dem Ausland herzustellen. “Wenn jemand aus ideologischen Gründen, nicht nach Israel kommen will, werde ich einen Teufel tun, ihn vom Gegenteil zu überzeugen”, sagt Ofir Toker, Booker aus Tel Aviv und Promoter für Ivan Smagghe beim Grounded Festival.

Smagghe lehnt sich, ganz in Schwarz, auf seiner Sonnenliege zurück und beobachtet, wie die Besucher über eine hölzerne Brücke zum Dancefloor am Strand pilgern. Er nimmt einen Schluck von seinem Wodka Soda und nickt Ofir zustimmend zu: “Ich spiele mehrmals im Jahr in Israel und mir ist das alles völlig egal. Mittlerweile will keiner mehr eine Diskussion mit mir darüber anfangen. Sogar die Grenzbeamten kennen mich schon und fragen, wo ich als nächstes spiele”. Ofir lacht und rückt seinen beigen Cowboyhut zurecht. Ivan sei eben Rock’n’Roll. Das könne man nicht vergleichen. “Der lässt es sich nicht vorschreiben, wo er spielt. Aber bei anderen Künstlern habe ich schon gesehen, dass sie dem Druck und den Einschüchterungen nicht standhalten konnten.”

Ein DJ, dessen Namen Ofir nicht öffentlich preisgeben möchte, sei für seine Auftritte in Israel bereits ernsthaft bedroht worden. “Er war davor viermal in Tel Aviv. Ein fünftes Mal ist er nicht mehr gekommen”. Einziger Lichtblick in dieser festgefahrenen Situation sei lediglich, so Ofir, dass die israelische Szene über die Jahre immer mehr an Wichtigkeit gewinnt. Das Duo Red Axes ist mittlerweile international bekannt; Clubs wie das Block in Tel Aviv werden für ihr beeindruckendes Soundsystem auf einen Rang mit dem Berghain gestellt. Israelische Live Acts und DJs wie Naduve, Uriah Klapter, Moscoman und Autarkic pflegen einen engen Austausch mit Berlin. Man müsse eben mehr auf Export als auf Import setzen, meint Ofir.

Mittlerweile ist es acht Uhr Abends und das Innere des Hotels beginnt, sich zu beleben. Frisch gekämmte Mädchen schieben sich vom Aufzug in Richtung Eventhalle, da scheint etwas los zu sein. Manche von ihnen werden jedoch durch den Geruch von Ente in Orangensoße von ihrem Kurs abgelenkt. Es ist Dinnertime. Menschen, die man vorher noch mit goldenen Stierhörnern, silbernen Badeanzügen und rot geschminkten Lippen um den Pool hat tanzen sehen, sitzen nun gesittet um Weinkaraffe und gedünsteten Lachs. Manche tragen jetzt sogar ihre Kippa—es ist immerhin Shabbat und der will mit “Gefilte Fisch”—eine graue Fischfrikadelle mit rosa Meerrettich—,Weißbrot, Salz und Rotwein eröffnet werden.

Auf der anderen Seite der Bucht rufen die Muezzine Akkabas ein letztes Mal zum Gebet. Obwohl die jordanische Stadt mit dem Auto nur 15 Minuten vom Coral Beach entfernt ist, könnte sie nicht weiter weg erscheinen. Nach arabischen Israelis, Jordaniern oder Ägyptern muss man hier gar nicht suchen. Denn so kurz die Luftlinie auch sein mag, so undurchdringbar sind die kulturellen und politischen Mauern an diesem Ort. Dabei herrscht zwischen Israel, Ägypten und Jordanien offiziell Frieden; die Grenzen sind offen. Trotz Warnungen von der Regierung reisen Israelis mittlerweile wieder an die Strände der Halbinsel Sinai drüben in Ägypten. Laut Camp David Peace Agreement dürfen sie bis zu zwei Wochen bleiben.

Auch für Ägypter gilt diese Regel. Theoretisch dürfen sie ohne Visa bis zu 200 km ins Landesinnere Israels einreisen. Dies bleibt jedoch meist Theorie.

“Ich habe einige Freunde in Kairo, die gerne mit mir zu diesem Festival gefahren wären. Aber man hätte sie an der Grenze abgewiesen”, erzählt Karim Alexander Molyneux-Berry. Er selbst ist Halb-Ägypter, Halb-Brite und kümmert sich um die Public Relations des Festivals. Obwohl er bei Reisen nach Israel immer lediglich seinen britischen Pass vorzeigt, wird er aufgrund seines arabischen Vornamens meist von den Sicherheitsbeamten festgehalten. So auch dieses Mal. Eineinhalb Stunden hat er auf den unbequemen Stühlen an der Grenze zwischen Eilat und Taba ausharren müssen. “Sogar den Namen meiner Großmutter wollten sie wissen. Sie ist adlig, das hat, glaube ich, geholfen”, sagt er und lacht. Alles an ihm scheint mitzulachen. Der Bauch vibriert, der schwarze Hut wackelt, die Bartstoppeln zittern.

Nebenan haben Niv Arzi und Dori Sadovnik von Red Axes ihr Set begonnen; die charakteristischen Gitarrenlicks dringen in die Hotellobby. “Wenn man völlig nüchtern ist, erinnert das da drin an eine Schulaula mit richtig guter Musik”, sagt ein blondes Mädchen mit leuchtendem Einhorn auf der Stirn. Auf dem dunkelblauen Teppichboden der Aula drehen sich eingeölte und eingeglitzerte Tänzer. Or, der Festivalorganisator,​ steht mit ausgebreiteten Adlerflügeln auf der Bühne, eine Konfettimaschine im Anschlag. Red Axes pusten verzweifelt die bunten Papierschnipsel von ihrem Mixer.

“Nächstes Jahr machen wir Grounded Gaza!”, ruft Or. Die Menge johlt, Fäuste schwingen in der Luft. Am nächsten Tag wird die Hälfte von ihnen auf zwei Jachten weiterfeiern. Aftershowparty auf hoher See. Die Müden hingegen fahren nach Sinai, um dort bei viel zu süßem Tee in der Gesellschaft von Beduinen ihren Rausch auszuschlafen. Eilat ist dafür der ideale Ort und liegt perfekt.

Das Grounded: ein “Spielplatz für Erwachsene” im Dreiländereck am Roten Meer. Alle Fotos von der Autorin. Dieser Artikel ist zuerst bei THUMP erschienen.

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