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Popkultur

Bitte hört sofort auf, eure Facebook-Posts auf Farbverläufe zu packen

Sie lösen mit ihrer Grausamkeit das '!!!1!' als stillosen Schrei nach Aufmerksamkeit ab.

Screenshot: spontane Gefühlsregung eines Facebook-Freundes

Einige von euch müssen jetzt ganz stark sein. Sätze aus eurem Leben werden nicht spannender, weil ein blau-grüner Farbverlauf darunter liegt. "Heute einen schönen Tag in der Sonne gehabt", "Napoleon trug immer rote Kleidung, damit seine Soldaten nicht sahen, wenn er verwundet war. Die Nazis trugen braune Hosen, damit…", "Danke für all die Glückwünsche <3<3<3", "feeling sad today". Solche Posts können Nutzer der Android-Facebook-App seit Februar nicht nur auf weißem, sondern auch auf orange-gelbem oder türkis-blauem Farbverlauf posten, oder auch einfarbig, wenn eure Stimmung eher nach was Schlichtem verlangt. Sie erscheinen als blinkende Flächen in der Timeline und schreien: BEACHTE MICH BEACHTE MICH BEACHTE MICH!!!! Sie sind die Egozentriker unter den Posts, die neuen Ausrufezeichen, das WordArt des sozialen Netzwerks.

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Facebook hat gerade virtuelle Räume erschaffen, aber mal ehrlich: VR ist natürlich nichts gegen das Highlight der letzten Monate: die Farbverlauf-Hintergründe. So modern! So abwechslungsreich! So farbenfroh! Applaus für diese bahnbrechende neue Funktion.

Es ist jetzt da, du kannst es benutzen. Aber kaufst du dir ein glitzerndes Tüllkleid, nur weil es gerade der neue Sommertrend von H&M und Zara ist? Eben.

Was bei der Powerpoint-Präsentation als Hintergrund unnötig ist, ist es – Überraschung – auch, wenn du deinen Freunden zeigen willst, wie toll dein Leben ist. Nicht ohne Grund blinkt bei jedem Farbverlauf unweigerlich der platte Spruch eines Dozenten in meinem Hirn auf: "Hat der Grafiker nichts drauf, macht er einen Farbverlauf."

No, it's not | Screenshot: Facebook

Bislang konnte ich mich selbst entscheiden, welche Text-Posts ich lese. Den darüber, wie toll die spirituelle Erfahrung in Indien war (nie), wie rührend eine Situation in der U-Bahn war (manchmal) oder ein Update darüber, dass Menschen, die ich Jahre nicht gesehen habe, nun eine andere Band haben, plötzlich als Pfleger arbeiten oder in Alaska leben (immer). Bislang. Aber jetzt teilen bunte Posts in Knallfarben meinem Gehirn mit, dass ich sie lesen muss.

Es ist, als würdest du eine Bühne mit Lichtshow aufbauen, Tausende Stühle davor stellen und Werbung in der ganzen Stadt aufhängen. Und dann sitzen all die Menschen bei deinem Konzert, blicken nach vorne – und du schickst den schlechtesten Blockflötisten aus dem Freizeitorchester des Heimatdorfes deiner Großeltern raus. Weil er der erste Musiker war, der dir eingefallen ist und gerade Zeit hatte. Warum fragt sich niemand: Ist das, was ich der Welt aka meinen Facebook-Bekanntschaften gleich vor die Augen knallen werde, diesen Auftritt wirklich wert?

Spontane Gefühlsregung einer Facebook-Freundin, Nummer zwei. Schön für dich!

Wahrscheinlich ist Aufmerksamkeit für bunte Hintergründe zum Selbstzweck geworden. So wie Trostpreise an Losständen, deren einzige Funktion es ist, bunt zu sein und für Vergnügen zu stehen, wo eigentlich kein Vergnügen ist. Zurück bleiben Plastik-Schlüsselanhänger in Schlamper-Schubladen und Halbsätze über große Gefühle auf Türkis-Blau.

Nun gibt es natürlich auch diejenigen, die wissen, dass Farbverläufe als Hintergrund nur bei den No Angels Stil haben. Die niemals ernsthaft ihren Freunden auf einem blau-grünlichen Untergrund mit einer halbgaren Liebesbotschaft demonstrieren würden, wie viel Spaß sie zusammen hatten. Jene, die schon über Nachdenkliche Sprüche mit Bilder lachten, bevor es alle kannten. Dieser Typ Nutzer postet den Insider-Witz mit Hegel-Anspielung, der an dem lustigen Abend zusammen aufgekommen ist, natürlich nur ironisch. Das Ding ist: Er macht es trotzdem. Genauso wenig, wie man ironisch stundenlang Schlager hören kann, kann man ironisch auf farbigem Untergrund über ein lustiges Treffen posten. Du tust es auch. Steh dazu. Oder noch besser: Lass es einfach.

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