In ihrem Buch Freiheit von der Pille beschreibt die Autorin Sabine Kray das Leben mit der Pille als Leben bei "19 Grad mit leichter Bewölkung" – es gebe weder Höhen noch Tiefen. Mit Selbstbestimmung will die Autorin die Pille nicht verbunden sehen, auch wenn das Medikament in den 60er-Jahren als Befreiungsschlag und sexuelle Revolution gefeiert wurde.Schließlich wüssten Frauen viel zu wenig über die Nebenwirkungen abseits von Thrombosen, die durch Skandalberichte omnipräsent sind. Da wären zum Beispiel der Verlust der Libido, Antriebs- und Lustlosigkeit, die auch durch Studien belegt ist, oder Depressionen. Die Pille bestimme über Frauen und Konsumentinnen würden laut Kray ein "chemisch manipuliertes" Leben führen. Auch in den Medien stehen die Vorteile, die das Absetzen der Pille mit sich bringt, derzeit im Fokus: In emotionalen Berichten schildern Frauen, wie gut es ihnen geht, und erklären aus ihrer subjektiven Sicht, warum die Pille ganz generell schlecht ist. In vielen Medienberichten zum Thema werden zum Beispiel die Vorteile der Pille – der größte davon die sehr zuverlässige Schwangerschaftsverhütung – nicht einmal erwähnt.
Die allgemeine Skepsis gegenüber hormonellen Verhütungsmitteln zeichnet sich auch in zahlreichen Berichten von Leserinnen ab, die wir auf einen Aufruf zum Thema erhalten haben. Der Großteil der Erfahrungen ist positiv und skeptisch der Pille gegenüber. Susanne* – eine Leserin, die anonym bleiben möchte – schreibt via Facebook:"Eigentlich bin ich jetzt zum ersten Mal seit so vielen Jahren vollständig ich selbst, ohne Hormone, die meine Empfindungen beeinflussen."
Ähnliches schildert Karin*:"Ich hab wie fast alle anderen mit 16 die Pille verschrieben bekommen und sie dann zehn Jahre lang durchgehend genommen. Durch eine Trennung habe ich beschlossen, eine Pause zu machen und ich fühle mich seitdem so viel besser. Nicht nur sind meine Kopfschmerzen fast vollständig verschwunden, auch meine Libido ist wieder zurückgekehrt. Außerdem habe ich das Gefühl, nicht ganz so emotional und unsicher zu sein. Eigentlich bin ich jetzt zum ersten Mal seit so vielen Jahren vollständig ich selbst, ohne Hormone, die meine Empfindungen beeinflussen."
“Ich habe die Pille abgesetzt, weil ich anscheinend durch das Reiferwerden ein besseres Körpergefühl entwickelt habe und mich in meiner Haut nicht wohl gefühlt habe. Mein Instinkt hat mir gesagt, dass es an der Pille liegt. Danach habe ich mit Absprache meines Freundes die Pille abgesetzt und ich habe mich bereits nach zwei Wochen wie ein neuer Mensch gefühlt. Meine Libido war zurück. Im Nachhinein betrachtet war mein Zyklus tot und ich mag es, dass ich mittlerweile spüre, wann ich meinen Eisprung habe und wenn ich meine Tage bekomme. Es ist einfach ein gutes Gefühl, zu wissen und zu spüren, dass meine Gebärmutter funktioniert und am Leben ist. Was meine Periode betrifft, diese ist nicht stärker, sie fühlt sich anders an. Ich weiß nicht wie ich das beschreiben soll, es fühlt sich an, als würde es tiefer gehen, als wäre es echter.“
Christian Fiala, der in Wien das weltweit einzige Museum für Schwangerschaftsabbruch und Verhütung betreibt, ist für seine starke Meinung zu den Themen Verhütung, Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbruch bekannt. Er gibt eine Studie namens "Verhütungsreport" heraus, laut dem die Pille mit 38 Prozent noch immer das beliebteste Verhütungsmittel der Österreicherinnen ist. In Deutschland sind es mit über 50 Prozent noch mehr Frauen, die die Pille nehmen.“Ich hatte keine Lust auf Sex, was sehr schädlich für eine Beziehung sein kann. Häufiger schlechte Laune, was schädlich für alles sein kann. Während ich die Pille genommen habe, haben sich meine Haare verändert. Ich hatte früher sehr starke Locken, aber seit der Pille wachsen sie nur noch gerade. Meine Frauenärztin hat jedoch abgestritten, dass es von der Pille kommt. Ich finde es jedoch einen sehr großen Zufall.“
Im Gespräch mit VICE versucht er, den aktuellen Trend zu erklären und äußert seine Besorgnis: "Die Einführung der Pille ist lange her. Unter den jungen Frauen gibt es fast niemanden mehr, der die Zeit der natürlichen Fruchtbarkeit selbst erlebt hat. Was ich damit meine: Als Ihre Mutter jung war, hatte sie wahrscheinlich noch Kontakt zu Frauen, die wussten, wie es ist, mit acht Geschwistern aufzuwachsen. Die wussten, dass sie schauen müssen, dass sie ihre Fruchtbarkeit kontrollieren."
Derzeit würde die Ärztin viele Kupferspiralen einsetzen – aber erst nach sehr ausführlicher Beratung. "Alle, die keine Hormone mehr wollen, kläre ich natürlich auch sehr exakt darüber auf, dass sie dann eine stärkere, schmerzhaftere Regel oder Hautprobleme bekommen können", sagt die Expertin."Auf mich wirkt die Debatte verklärt und nicht fair denen gegenüber, denen es mit der Pille gut geht."
Aus dem VICE-Netzwerk:
Wie man Frauen, die ihre Entscheidung getroffen haben, weiter informieren kann, ist eine Frage, über die sich Christian Fiala viele Gedanken macht. Denn bei den Frauen, die dem aktuellen Trend folgen, handle es sich überwiegend um solche mit hohem Bildungsniveau, die sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt hätten."Die einzelne Frau muss mehr bestärkt werden, das zu tun, was ihr gut tut. Frauen sollen alleine über ihre Fruchtbarkeit entscheiden und alle Möglichkeiten sollen ihnen offen stehen. 'Den Körper spüren' ist jedoch kein Zukunftskonzept für den Rest des fruchtbaren Lebens", so Fiala abschließend. Was in dieser ganzen Debatte viel zu häufig der Polarisierung zum Opfer fällt scheint zu sein, dass beide Seiten ihre Berechtigung haben. Frauen, die sich mit der Pille nicht wohl fühlen, sollen sie selbstverständlich absetzen – und von ihren Ärztinnen und Ärzten ausreichend über positive und negative Auswirkungen und wirksame Alternativen beraten werden.Damit ist die Beratung aber noch lange nicht erledigt: Schon junge Mädchen sollten ausführlich über die Pille und ihre Auswirkungen beraten werden, wenn sie ihnen verschrieben wird. Laut einiger Erfahrungsberichte unserer Leserinnen ist eben das nicht der Fall. "Ich finde es unverantwortlich, die Pille wie Zuckerl in so jungen Jahren zu verschreiben", schreibt eine Betroffene.Gleichzeitig sollten Frauen, die sich mit der Pille wohlfühlen, durch den emotionalisierten Diskurs aber auch nicht unter Druck gesetzt und verunsichert werden. Eine der für mich zentralsten Fragen in diesem Diskurs: Warum soll ich mein subjektives Wohlbefinden für ein hypothetisches Konstrukt aus vielen Was-wäre-wenns aufgeben?Der aktuelle Trend sollte nicht nur so weit gehen, die Pille einfach nur grundsätzlich anzuprangern, sondern sollte viel mehr Augenmerk darauf legen, Frauen klar zu machen, dass sie ihre Entscheidungen individuell, informiert, und für sich selbst treffen sollten. "Auf den eigenen Körper hören" sollte nicht bedeuten, nur dann auf ihn zu hören, wenn er uns sagt, die Pille tue ihm nicht gut. Man sollte den eigenen Körper auch hören dürfen, wenn er gut mit der Pille leben kann. Und so soll jede Frau für sich selbst entscheiden, was gut für sie ist.Verena auf Twitter: @verenabgnrFolge VICE auf Facebook, Instagram und Twitter.