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Rechtspopulismus

"Vogelschiss" auf der Hundekrawatte: Jetzt hassen sogar Rechte Gauland

Die Äußerung des AfD-Chefs ging selbst der "Jungen Freiheit" zu weit. Und Roland Tichy. Und der "Achse des Guten".
Foto: imago | IPON

"Das wird man ja wohl noch sagen dürfen" – das war lange der Schlachtruf, der AfD, die Neue Rechte und die Ultra-Konservativen Deutschlands verband. Mit seiner neuesten Provokation ist es dem AfD-Chef Alexander Gauland aber offenbar gelungen, etwas zu sagen, das nicht mal seine Mitstreiter auf der Rechten sagbar finden. Auf dem Bundeskongress der Jungen Alternative (JA) am Samstag hatte der 77-Jährige Folgendes vom Stapel gelassen:

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"Ja, wir bekennen uns zu unserer Verantwortung für die zwölf Jahre. Aber, liebe Freunde, Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in unserer über 1.000-jährigen Geschichte."

Das ist nicht das erste Mal, dass Gauland mit Äußerungen über die NS-Zeit Empörung auslöst. Aber etwas ist diesmal anders: Zum ersten Mal sind es nicht nur die politischen Gegner, die über Gauland herfallen, sondern auch die eigene Seite.

Das ist bemerkenswert in einer Partei, die fast ausschließlich von Provokation lebt. Normalerweise gehört es zur Methode AfD, dass ihre Politiker Dinge sagen, die die Vertreter der anderen Parteien so richtig auf die Barrikaden treibt, ihnen Aufmerksamkeit in den Medien verschafft und sie im Gespräch hält. Was Gauland diesmal gesagt hat, ging aber offenbar selbst vielen aus der Partei zu weit: In einer Telefonkonferenz am Montagmorgen zwangen die anderen AfD-Vorstandsmitglieder Gauland, sich für die Äußerung zu entschuldigen. Echte Unterstützung bekam Gauland eigentlich nur von einem prominenten AfDler: Björn "Mahnmal der Schande" Höcke.

Gefährlicher als der Unmut von Parteikollegen ist für Gauland aber etwas anderes: dass er es mit seinem "Vogelschiss" offenbar geschafft hat, auch die wichtigsten Medien aus der Grauzone zwischen Ultra-Konservativen und Neurechten ernsthaft zu verschrecken.

Dieter Stein, Chefredakteur der rechtskonservativen Jungen Freiheit, warf Gauland zum Beispiel in einem Leitartikel eine "verstörende Entgleisung" vor. "Mit seiner jetzigen Rede führt Gauland die AfD in ein geschichtspolitisches Ghetto", schreibt Stein. "Einen Weg, den bereits der von ihm vehement verteidigte thüringische Landeschef Björn Höcke mit seiner Dresdner Rede vom Januar 2017 gewiesen hat."

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Das ist bemerkenswert, weil die Junge Freiheit, die von der Bundeszentrale für politische Bildung als "Sprachrohr einer radikal-nationalistischen Opposition" bewertet wird, die AfD praktisch seit ihren Anfängen begeistert unterstützt. "Wer die AfD verstehen will, muss die Junge Freiheit lesen", hatte Gauland selbst 2016 der Schweizer Medienwoche gesagt. Jetzt hat es Gauland offenbar geschafft, sogar das ehemalige AfD-Fanzine rechts zu überholen.

Genauso deutlich wird der konservative Blog Tichys Einblick. Auch hier hat der Namensgeber Roland Tichy einen emotionalen Leitartikel verfasst, in dem er Gaulands "Spiel mit Tabus" scharf angreift: "Auschwitz, Massenmord, Krieg und Verwüstung, auch die des eigenen Volkes und seiner Städte und Landschaften im totalen Krieg – unfassbar, dies als eine abwaschbare Kalamität zu bezeichnen." Für den nationalkonservativen Publizisten hat der AfD-Chef offenbar eine Linie überschritten: "Gauland zerstört bewusst den Konsens, dass Verbrechen nicht verharmlost werden, und dass nicht aufgerechnet wird", schreibt Tichy. "Warum? Wofür? Will er wirklich eine knallharte rechtsextreme Partei formieren? Mit aller Konsequenz? Es scheint so zu sein."

Nicht ganz so emotional, aber ebenfalls vernichtend fällt das Urteil der rechten, vor allem pro-israelisch und anti-islamisch geprägten Plattform Achse des Guten aus: "Gauland hat komplett seine Orientierung verloren", schreibt Ulli Kulke. "Sind die Millionen Juden durch einen Vogelschiss umgekommen?" Und: "Diese Sätze von AfD-Chef Alexander Gauland könnten den Anfang vom Ende des Höhenflugs seiner Partei einläuten".

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Gauland hat die Grenze endlich gefunden

Was bei allen drei Kommentaren mitschwingt, ist die Enttäuschung darüber, dass Gauland mit seiner Entgleisung "das konservative Projekt" in Gefahr bringt. Das kann man ungefähr so zusammenfassen: Die Merkel-CDU hat die Konservativen verraten, indem sie immer weiter nach links gerutscht ist. Die AfD ist dafür das Korrektiv, das original-konservative Positionen wieder stark macht. "[Die AfD-Abgeordneten] sind die Warnung an die CDU wie an die Restbestände der SPD", schreibt zum Beispiel Tichy in seinem typisch komplizierten Stil, "dass die Entfernung aus der Mitte der Gesellschaft diese zurücklässt und ihre Vertreter sich neue Parteien suchen können".

Gauland, der sich nach einer langen (aber nicht unfassbar erfolgreichen) CDU-Karriere der AfD zugewandt hatte, verkörperte diese Attraktion für Konservative wie kein Zweiter. Das hat er sich mit seiner Rede nun wohl gründlich verschissen. "Die AfD könnte mit Gauland an der Spitze Probleme bekommen, weiter in bürgerliche Wählermilieus einzudringen", schreibt die Publizistin und Konservatismus-Expertin Liane Bednarz auf Facebook, "und wohl auch bürgerliche Wähler, die aus Frust über die CDU zu ihr gewechselt sind, wieder verlieren."

In den letzten Jahren war es zunehmend schwieriger geworden, die Grenze zwischen der Mischung aus National-Konservativen, Neuen Rechten und echten Rechtsextremen überhaupt noch zu erkennen. Gauland hat es jetzt geschafft: Die Linie verläuft im Moment noch da, wo die Verbrechen des Nationalsozialismus offen verharmlost werden. Dumm nur, dass er selbst jetzt auf der falschen Seite steht.

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