FYI.

This story is over 5 years old.

Cop Watch

Oury Jalloh: Ermittler gehen von Mord aus

Obwohl sich Experten einig sind, dass Jalloh in seiner Gefängniszelle angezündet wurde, will die Staatsanwaltschaft den Fall einstellen.

Oury Jalloh starb 2005 in einer Polizeizelle in Dessau, die Umstände sind bis heute nicht geklärt. Klar ist nur: Polizeibeamte hatten den Mann aus Sierra Leone in die Zelle gebracht und dort mit den Händen und Füßen an eine Liege fixiert. In der Zelle brach irgendwann ein Feuer aus, der gefesselte Oury Jalloh verbrannte auf seiner Liege. Den Feueralarm wollen die diensthabenden Polizisten nicht gehört haben.

Anzeige

Für die Ermittler des Falls lag die Erklärung, wie ein gefesselter Mann in einer Polizeizelle plötzlich Feuer fangen und verbrennen kann, lange auf der Hand: Der Mann müsse sich irgendwie selbst angezündet haben. Dass nie ein Feuerzeug gefunden wurde, schien die Ermittler nicht zu stören. Genau so wenig wie die Tatsache, dass Jalloh selbst höchstens einen Schwelbrand an seiner eigenen Matratze hätte auslösen können. Und dieser einen Menschen nie so gründlich verbrennen könnte, wie es Jalloh war: Der Körper war bis in die tiefen Muskelschichten verbrannt, an der linken Hand fehlten ganze Finger, die Matratze war fast vollständig zerstört. Ein unabhängiges Gutachten kam zu dem Schluss, dass der Brand nur mithilfe von Brandbeschleuniger – Benzin zum Beispiel – so stark werden konnte.

Die Ermittler haben einen weiteren Grund, eine Selbstanzündung von Oury Jalloh auszuschließen

Erst 2016 begann die ermittelnde Staatsanwaltschaft Dessau, die Theorie von der Selbstanzündung ernsthaft in Frage zu stellen, und führte im August vergangenen Jahres einen eigenen Brandversuch durch. Erst danach kamen die Ermittler offenbar zu dem Schluss, dass der Brand sich "nicht ohne Einsatz geringer Mengen von Brandbeschleuniger wie etwa Leichtbenzin erklären lasse", berichtet das ARD-Magazin Monitor. Es gebe auch andere Hinweise, die es wahrscheinlich machen, dass der Brand von dritter Hand gelegt wurde. Aus den Akten, die Monitor vorliegen, geht außerdem hervor, dass die Ermittler einen weiteren Grund haben, eine Selbstanzündung des Mannes auszuschließen: Oury Jalloh sei bei Beginn des Brandes vermutlich bereits "komplett handlungsunfähig" gewesen – vielleicht sogar tot.

Anzeige

Auch der Ermittler der Staatsanwaltschaft Dessau, Folker Bittmann, hat seine Meinung mittlerweile offenbar geändert. Jahrelang hatte er die Theorie vertreten, dass Jalloh sich mit dem Feuer selbst getötet habe. Wie Monitor berichtet, geht Bittmann in einem Schreiben vom April mittlerweile von einem begründeten Mordverdacht aus. Der Oberstaatsanwalt Bittmann benennt in dem Brief sogar konkrete Verdächtige unter den Dessauer Polizeibeamten.

Das Problem: Bittmann leitet die Ermittlungen im Fall Jalloh nicht mehr. Im August hatte die Generalstaatsanwaltschaft die Zuständigkeit für den Fall von Dessau nach Halle übergeben. Und die neuen Ermittler in Halle haben offenbar relativ schnell beschlossen, dass es trotz der neuen Einschätzungen nichts mehr zu ermitteln gibt: Laut einer Erklärung vom 12. Oktober 2017 will sie das Verfahren einstellen, weil sich "keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Beteiligung Dritter an der Brandlegung" ergeben hätten. Weitere Ergebnisse seien auch nicht zu erwarten.

Henriette Quade von der Linken in Sachsen-Anhalt fordert jetzt einen Sonderermittler

"Angesichts der neuen Erkenntnisse ist die drohende Einstellung des Verfahrens ein Skandal", sagte die Anwältin der Familie Jalloh, Gabriele Heinecke, gegenüber Monitor. Sie hat gegen die Einstellung Beschwerde eingelegt und will anhand der neuen Erkenntnisse Strafanzeige stellen. Mittlerweile ist das Misstrauen in die Behörden Sachsen-Anhalts bei manchen Beobachtern massiv erschüttert. Henriette Quade von der Linken in Sachsen-Anhalt, fordert jetzt einen Sonderermittler wie im Fall des NSU. "Er sollte von außerhalb von Sachsen-Anhalt kommen", sagte sie gegenüber Monitor, "denn in Magdeburg ist von Seiten des Justizministeriums kein Aufklärungswille zu erkennen."

Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.