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Politik

Die "Identitären" sind laut Innenministerium eine Gefährdung für das friedliche Zusammenleben

Zum ersten Mal widmet sich der Nachrichtendienst des Innenministeriums ausführlicher den Aktionen der sogenannten "Identitären" – und sieht Parallelen zur Rassenhygiene.
Foto: Verfassungsschutzbericht 2016 | bmi.gv.at

Die Gefährlichkeit der sogenannten "Identitären Bewegung" wurde in letzter Zeit oft negiert. Das sei bloß eine kleine Gruppe frustrierter, unwichtiger Jugendlicher, hieß es in vielen Beiträgen. Die Presse, die einen Bericht der APA übernahm, verzichtete vor Kurzem zum Beispiel darauf, die Gruppe als "extrem" oder "radikal" zu bezeichnen. Und oe24.at lud sogar den Chef der "Identitären" ein, um zu diskutieren, "wie gefährlich Rechtsextreme sind" (Spoiler: laut dem Rechtsextremen-Anführer gar nicht).

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Eine ganz andere Sprache spricht im Vergleich dazu der gerade erst präsentierte Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2016. Das österreichische Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) geht darin erstmals näher auf die Gruppierung ein. Und das obwohl der Inlands-Nachrichtendienst die "Identitären" seit Jahren überwacht.

"Dies impliziert wohl nicht zufällig sowohl in Diktion als auch im Geist Anklänge an die nationalsozialistische 'Rassenhygiene'" – Verfassungsschutzbericht 2016

2012 wurden die "Identitären" in einem Satz indirekt erwähnt, 2013 wurde auf ihren Internetauftritt verwiesen. 2014 hieß es relativ deutlich: "Die beschriebene, für eine 'Erhaltung der eigenen Identität' werbende Bewegung fungierte im Jahr 2013 als eine Art Sammelbecken für Aktivistinnen und Aktivisten aus unterschiedlichen Bereichen, die Affinitäten zum Rechtsextremismus aufweisen." Im 2016er-Bericht wird den "Identitären", die sie – anders als in vergangenen Jahren – wörtlich erwähnen, ein vierseitiger Fachbeitrag gewidmet. Nachfolgend fassen wir die wichtigsten Erkenntnisse der Verfassungsschützer zusammen:

Die Strategie der "Identitären Bewegung"

"Durch ihre öffentliche Inszenierung als vermeintlich harmlose 'Jugendbewegung' sind ihre rechtsextremen Einstellungsmuster für nur peripher informierte Sympathisanten nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen. Diese dienen jedoch gezielt als Codes und Signale für Anhänger rechtsextremen Gedankenguts, Milieus und Szenen, die in den letzten Jahren aufgrund ihrer gewaltaffinen Erscheinung und offen nationalsozialistischen Verherrlichung zunehmend gesellschaftlich geächtet wurden und daher kaum noch Nachwuchs generieren können."

"Die offensichtlichste Strategie derartiger Bewegungen und Netzwerke liegt einerseits im Versuch, rechtsextreme Einstellungsmuster in der Öffentlichkeit 'salonfähig' zu machen und andererseits im Bemühen, klassische rechtsextreme Szenestrukturen aufzubrechen und sich als junge popkulturelle Avantgarde zu stilisieren. Es ist erkennbar, dass diese Abgrenzungsversuche strategischen Hintergrund haben, um die weitere Ausbreitung derartiger Netzwerke nicht zu gefährden."

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"Sprach man in ihren Anfängen noch von einem 'Bloc identitaire', 'Jeunesses Identitaires' und später von der 'Génération Identitaire', stellte man dies in einigen Ländern strategisch auf den zum Mitmachen geeigneteren Bewegungszusatz um. Zentrales Merkmal der Kommunikationsstrategie der Identitären ist die Uniformierung eines gemeinsamen Erscheinungsbildes (gemeinsames Lambda-Symbol und die Schriftzüge in den Farben schwarz-gelb) als Wiedererkennungswert. Die gemeinsame Corporate Identity und synchronisierte Kampagnenarbeit lässt Rückschlüsse darauf zu, dass die Vernetzung zentral organisiert und von Netzwerkknotenpunkten gesteuert und koordiniert wird. Dieser auffallend professionelle Organisationsgrad und die ressourcenintensive Kampagnenarbeit heben sich daher schon per Definition von klassischen Bewegungstypologien ab."

Die Ideologie der "Identitären Bewegung"

"Mit dem überhöhten Bezug auf die zu bewahrende 'Nation', als ein diffuses kulturvölkisches 'Wir', wird seitens der Ideologieproduzenten der Neuen Rechten gegen jegliche Form der auf Pluralismus und internationalen Menschenrechten beruhenden demokratischen Gesellschaftsordnung argumentiert und mobilisiert."

"Als maßgebliches Ideologiefundament beziehen sich die Identitären auf eine ethnopluralistische Weltanschauung. Mit dem Begriff 'Ethnopluralismus' wird ein Theoriekonzept bezeichnet, welches den für Rechtsextreme typischen Rassismus neu und weniger angreifbar begründen soll. Wie 'klassische Rassisten' behaupten auch Ethnopluralisten, es gebe grundsätzliche und unveränderliche Eigenschaften von Menschengruppen und jede Gruppe sei umso besser und stärker, je ähnlicher sich ihre jeweiligen Angehörigen seien. Welche 'Ethnie' dieser Ansicht nach der 'besseren' identitären 'Leitkultur' entspricht und welche nicht, wird von den Ethnopluralisten selbst vorgegeben und dient in einem nächsten Schritt der Stigmatisierung, Ausgrenzung und Abwertung ganzer Bevölkerungsgruppen und im Inneren gegen alle, die nicht ihre Weltanschauung teilen."

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"Die Identitären in Europa versuchen in den letzten Jahren mit islam- und aktuell mit asylfeindlichen Kampagnen und Aktionen Ängste und Ressentiments gegen Asylwerber, gegen politische Entscheidungsträger und Parteien sowie gegen Unterstützer von Pro-Asylkampagnen zu schüren und diese einzuschüchtern. Mit ihrer Leitkampagne 'Der große Austausch' verbreiten sie verschwörungstheoretische Argumente, in denen unterstellt wird, dass die Regierungen Europas durch Masseneinwanderung und 'Multikulti' die Bevölkerung Europas 'austauschen' wollen und somit der 'Volkstod' drohe. Dies impliziert wohl nicht zufällig sowohl in Diktion als auch im Geist Anklänge an die nationalsozialistische 'Rassenhygiene'.

Der Einfluss der "Identitären Bewegung"

"Vor diesem Hintergrund (bezieht sich auf obigen Absatz, Anm.) werden klassische rechtsextreme Praktiken der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit und Abwertungshandlungen (wie sie aktuell für Asyl- und Flüchtlingsfeindlichkeit konstitutiv sind) kommunikativ anschlussfähig gemacht und für Protestmobilisierungen sowie für Kampagnentätigkeiten instrumentalisiert. Ein weiteres strategisches Ziel dieser aktuellen Entwicklung ist es, mit islam- und asylfeindlichen Themensetzungen den öffentlichen Meinungsdiskurs auf der Grundlage von Angstkonstruktionen und der Heraufbeschwörung von Schreckensszenarien zu beeinflussen. So sollen auch rechtskonservativ Gesinnte (meist junge Männer) der 'gesellschaftlichen Mitte' erreicht und zum Mitmachen bewegt werden."

"(…) ihre tatsächlichen Mobilisierungserfolge sind bei (Straßen-) Protesten aufgrund geringer Teilnehmerzahlen europaweit bescheiden geblieben. Dieser Mangel an nachhaltig mobilisierbarer Masse wird durch aufsehenerregende Aktionen von kleinen Gruppen oder Einzelpersonen kompensiert und in ihren eigenen Medienportalen als 'Heldentaten' gefeiert."

"Derartige gesellschaftszersetzende Kommunikationsstrategien (gemeint sind die Aktionen der Organisation, Anm.) und das öffentliche Auftreten rechtsextremer Ideologieträger bei identitären Splittergruppen führen zunehmend zu einer Polarisierung und Spaltung in der Öffentlichkeit und gefährden das friedliche Zusammenleben liberaler Demokratien."

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