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diskriminierung

Der "Being fat is not beautiful"-Pulli zeigt, dass Firmen nichts gelernt haben

Es sollte eine Kampagne gegen Cybermobbing werden, am Ende tobt ein Shitstorm. Denn plakativ ist leider oft auch platt – und verletzend, findet unsere Autorin.
Foto: Revolve | Collage: VICE

Eine der ersten Sachen, die ich an diesem Morgen nach dem Aufwachen sehe, ist ein Pullover, der mich beleidigt: "Being fat is not beautiful. It’s an excuse" brüllt er mich an, als ich mit verschlafenen Augen meinen Feed durchscrolle. Das Foto wurde vom Plussize-Model Tess Holliday gepostet, die den Pulli bei der amerikanischen Marke " Revolve" entdeckt hat. Ich bin plötzlich so wach, als hätte mir jemand ins Gesicht geschlagen. Ich selbst trage einige Kilos mehr mit mir rum, als Modeindustrie und viele Mitmischen es für richtig halten und die Botschaft trifft mich. Ich klicke auf das Bild in der Hoffnung, dass es sich um einen schlechten Scherz handelt. Es ist aber kein Witz. Im Revolve Online-Shop wird der Pullover tatsächlich für 168 US-Dollar zum Verkauf angeboten. Ein junges Model, dick geschminkt aber mit dünnem Körper, präsentiert die Botschaft so selbstbewusst, als sei Diskriminierung der neue Herbsttrend. Bei Twitter tobt da schon ein Shitstorm, mich fröstelt es.

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Als ich genau hinschaue, entdecke ich unter dem fiesen Spruch noch etwas, das so klein geschrieben ist, dass ich meine Brille holen muss: "As said to @Palomija". Ich google den Account. Er gehört dem Plussize-Model Paloma Elsesser. Die Untermarke LPA, die bei Revolve ihre Sachen verkauft, hatte mit dem Slogan-Jumper wohl eigentlich etwas ganz anderes im Sinn. Der Pulli gehört zu einer Kampagne gegen Cybermobbing. Fünf prominente Frauen – neben Elsesser auch Lena Dunham, Cara Delevigne, Suki Waterhouse und Emily Ratajkowski – haben dafür die fiesesten Trollkommentare als Zitate für Mode freigegeben.

LPA versucht in den folgenden Stunden das Missverständnis zu erklären: "Das Ziel war zu betonen, wie schlimm Trolling ist. Der Erlös sollte wohltätigen Zwecken zugute kommen, also ist es im Grund das Gegenteil von dem, was es zu sein scheint." Zu Deutsch also: Sie hätten eigentlich das Gegenteil von dem bezwecken wollen, was sie losgetreten haben.

Der Erlös habe an die Non-Profit Organisation "Girls Write Now" gehen sollen. Die unterstützt benachteiligte Mädchen dabei, ihre Geschichten mithilfe professioneller Schreiberinnen zu erzählen. Kampagnen- und Verkaufsstart waren für Donnerstag geplant, aber der @Palomija-Pulli tauchte bereits am Mittwoch aus Versehen im Shop auf. Revolve hat das Kleidungsstück mittlerweile aus dem Handel genommen und den Verkauf der geplanten Kampagne gestoppt, Lena Dunham erklärte öffentlich, dass sie nicht mehr für die Kampagne einstehen wolle. In einer Mitteilung des Unternehmens entschuldigte sich Revolve dafür, dass der Pulli ohne Kontext aufgetaucht ist und verkündet zugleich stolz, dass sie jetzt aber 20.000 US-Dollar an "Girls Write Now" spenden wollten.

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Aber damit ist die Sache nicht durch. Zumindest nicht für mich und jeden, der durch diese Aktion verletzt wurde.

Die Kampagne ist eindeutig Kommerz

Grundsätzlich ist eine Kampagne gegen Cybermobbing eine gute Idee. Und meinetwegen kann so etwas auch über Kleidung transportiert werden, aber es gibt gleich mehrere Fallstricke – und über die hat sich Revolve ordentlich hingepackt. Zum einen: Die Kampagne ist eindeutig Kommerz. Ich meine, umgerechnet 145 Euro für ein Sweatshirt? Das hat weder etwas mit fairer Produktion zu tun, noch mit Charity. Vor allem, weil nicht klar ist, wie viel Geld von dieser überteuerten Summe wirklich gespendet wird.

Wenn Revolve wirklich gewollt hätte, dass die Botschaften irgendeine gesellschaftliche Wirkung entfalten, dann hätten die Designer sich mehr Gedanken gemacht, wie man die Hasskommentare klar als diese kennzeichnen kann – und die Preise lägen in einem Bereich, den sich auch nicht-prominente Menschen leisten können.

Zum anderen: Auf den Zug rund um "Diversity" und Toleranz aufzuspringen, ist für eine Marke interessant, weil es sich gut verkauft. Das bedeutet nicht automatisch, dass das Unternehmen auch wirklich hinter den Werten steht. Das Ganze hätte wirklich als Awareness-Kampagne funktioniert, wenn die betroffenen Stars ihre plakative Mode selbst angehabt hätten. Und die Pullis für einen reinen Spendenwert verkauft worden wären, bei dem auch Revolve und LPA keinen Gewinn mehr einfahren, und so zeigen, dass ihnen eine Aktion gegen Cybermobbing wirklich wichtig ist. Wenn sie einfach Hasskommentare abdrucken und verkaufen, können sie nicht kontrollieren, in welchem Kontext die Leute diese Botschaften tragen. Das ist das generelle Problem an Slogan-Shirts und -Pullis. Die, die sie machen denken nicht darüber nach, was sie darauf schreiben.

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So wie beispielsweise H&M Anfang des Jahres, als sie eine Rassismus-Debatte um das Schwarze Kind mit dem "Coolest Monkey in the Jungle"-Pullover auslösten. Und die, die diese Klamotten kaufen, denken nicht immer darüber nach, was da eigentlich drauf steht, wie jüngst Dieter Bohlen. Sein Pullover mit der Aufschrift "Be one with the ocean" ist am Strand oder in einem Surfcamp sicher unverfänglich, aber nicht bei einem Kommentar über den mutmaßlichen Suizid Daniel Küblböcks, der von einem Kreuzfahrtschiff in den Ozean gesprungen sein soll.

Es wäre also gut, erst zu denken und dann etwas anzuziehen. Und als Marke: Macht eine Kampagne weil ihr etwas bewegen, und nicht dafür bezahlt werden wollt.


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Don’t feed the Troll

Neben dem Fat-Shaming-Sweatshirt sollten auch die Trollkommentare "To boney to be boned" über Cara Delevigne, "If you translated a bum onto her face, she’d have a better face" über Suki Waterhouse und "Horrible Result of Modern Feminism" über Lena Dunham in den Handel kommen. Nur der über Emily Ratajkowski ist nicht bekannt. Egal, ob man dafür fertig gemacht wird, dass man dick, hässlich oder superdünn ist – ich würde mir gern "Don’t feed the troll" auf ein T-Shirt drucken lassen und damit vorm Revolve Headquarter demonstrieren.

Das eigentliche Ziel eines Trolls ist es, jemanden zu verletzen, zu provozieren oder zu beleidigen, und dadurch so viel Aufmerksamkeit zu bekommen, wie möglich. Wenn Revolve Hasskommentare auf Shirts druckt und sie global vertreibt, dann tut die Firma genau das. Sie verbreitet die Botschaft der Trolle völlig ungefiltert und verhilft ihnen zu überzogener Aufmerksamkeit. Sie verstärkt die Waffen der Hassenden und Hetzenden und verletzt damit Leute, die von diesen Shirts auf der Straße getroffen werden oder über Social Media in ihren eigenen Schlafzimmern. So wie ich. Er hat mich härter getroffen, als ich es gerne zugeben würde. Und ich bin kein Teenager mehr in einer Selbstfindungskrise, für die ist so etwas noch viel schlimmer.

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Cybermobbing betrifft nicht nur Stars

Wie Lena Dunham in ihrem Instagram-Statement schrieb, sollten die Zitate zeigen, wie die fünf prominenten Frauen Cybermobbing erfahren. Dabei kennen wohl alle, die Social Media noch nicht abgeschworen haben, Hate Speech, Anfeindungen und kollektives Beleidigen. Alle, die nicht so aussehen, wie die Norm, weil sie “zu dick”, sind oder “zu dünn”, weil sie Schwarz sind, weil sie im Rollstuhl sitzen, oder einfach weil die Pickel haben, kennen es wohl sogar aus der eigenen Erfahrung. Man muss nicht zwingend im Dschungelcamp gewesen sein, um danach online fertig gemacht zu werden. Das belegen immer wieder Umfragen, wie beispielsweise die des “Bündnis gegen Cybermobbings”, in denen, vom Schüler bis zum erwachsenen Arbeitnehmer, Menschen angeben von anderen gemobbt zu werden.

Ich liege also im Bett und frage mich, warum mich die Botschaft so hart trifft. Vermutlich weil sie alte Wunden aufreißt und mich an Kommentare erinnert, die ich unter Bildern von mir gelesen habe, weil mein Körper nicht dem idealen Body-Mass-Index entspricht. Eigentlich hatte ich beschlossen, sowas nicht mehr an mich rankommen zu lassen. Aber das funktioniert in der Theorie, nicht in der Praxis. Wenn ich daran denke, dass mir tatsächlich ein anderes Mädchen mit einem "Being fat is not beautiful"-Sweater in der Bahn gegenübersitzen könnte, bin ich dankbar für den Shitstorm und dafür, dass eine mutmaßlich gut gemeinte aber definitiv schlecht durchdachte Kampagne gestoppt wurde.

Ob Firmen daraus lernen werden? Die vielen schiefgelaufenen Kampagnen einiger Unternehmen des letzten Jahres (Stichwort Nivea, die Weißsein als "Reinheit" betitelt haben, oder Pepsi, die ausgerechnet Kendall Jenner Friedenstaube spielen ließen) lassen mich daran zweifeln.

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