Wie es war, seinen Mann fragen zu müssen, ob man arbeiten gehen darf
Magdalena in den 70ern | Foto bereitgestellt von der Autorin

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emanzipation

Wie es war, seinen Mann fragen zu müssen, ob man arbeiten gehen darf

Freie Liebe und Hippie-Romantik? Die Realität für viele Frauen in den 70ern, die nicht länger nur Hausfrau sein wollten, sah ganz anders aus.

Die 70er: eine Zeit, die unsere Generation vor allem mit den Hippies und ihrer freien Liebe verbindet, war für die weibliche Hälfte der Bevölkerung in Wahrheit gar nicht so blumig und erst recht nicht von freier Liebe geprägt. Die 70er waren in Deutschland nämlich vor allem „The Golden Age of Marriage and Family"—das Goldene Zeitalter der Ehe und Familie, in dem der Mann arbeitete und die Frau den Haushalt schmiss.

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Christine Wimbauer, Soziologie Professorin der HU Berlin erklärt mir, dass zu dieser Zeit circa 90 Prozent der Bevölkerung verheiratet und um die 80 Prozent im typischen „Ernährermodell" waren. Ein Modell, dass sich im Zuge des Wirtschaftsaufschwungs der 60er Jahre entwickelt hatte und in dem die Stabilität der Ehe die Grundvoraussetzung für eine verlässliche Lebensplanung bildete.

Mehr lesen: „Abtreibung war eine Schande"—die illegale Abtreibung meiner Oma

Die folgende Wirtschaftskrise 1974, der Wandel des Geschlechterbildes und die Bildungsexpansion kündigten zwar eine Bewegung hin zu einer emanzipierteren Position der Frau an, im Alltag kam dieser Wandel jedoch nicht so schnell an. Meine Oma Luise* kann ein Lied davon zu singen: Nach ihrer Ausbildung zur Modedesignerin heiratet sie 1956 den Architekten Georg*. Kurze Zeit später bekam sie einen Job in der Moderedaktion des Burda Verlags angeboten, doch ihr Mann sagte, „Ne, ne, ne, jetzt sind wir verheiratet, jetzt gehst du nicht mehr arbeiten!" Die strikte Trennung von Erwerbs- und häuslicher Ebene war noch genauso präsent wie die fehlende Gleichberechtigung der Ehepartner.

Im Familienrecht waren die Geschlechterrollen sogar festgeschrieben: § 1354 Absatz 1 BGB a.F. wies „[d]em Manne […] die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu". Selbst das Vermögen der Frau war, soweit es sich nicht um sogenanntes Vorbehaltsgut handelte, der Verwaltung und Nutzung ihres Ehemannes unterworfen (§ 1363 BGB a.F.). Diese Vorschriften wurden jedoch durch das Gleichberechtigungsgesetz 1957 gelockert: Frauen brauchten seitdem nicht mehr die Erlaubnis ihres Ehemannes, um einen Job anzunehmen. Arbeiten war jedoch weiterhin nur gestattet, wenn es mit den Pflichten als Haus- und Ehefrau vereinbar war (§ 1356 Absatz 1 BGB a.F.).

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Ich wollte ein freier Mensch sein, da wäre ich unter der Fuchtel gewesen.

Mein Opa Georg war offensichtlich der Meinung, dass dieser Job nicht mit den häuslichen Pflichten Luises vereinbar war. Wenn sie in seinem Büro ausgeholfen hätte, wäre das für Ihn in Ordnung gewesen, doch das wollte Luise nicht. „Nie im Leben hätte ich das gemacht, ich bin doch nicht verrückt! Ich wollte ein freier Mensch sein, da wäre ich unter der Fuchtel gewesen."

So blieb sie zu Hause, kümmerte sich um ihren Mann, bekam von ihm zwei Kinder und zog diese groß. Klamotten entwarf sie nur noch in ihrer Freizeit für sich und ihre Familie.

Dass Frauen daran gehindert wurden, selbst Karriere zu machen, bedeutete allerdings nicht, dass ihr Rat und ihre Erfahrung nicht geschätzt wurde. Magdalena*, meine Oma mütterlicherseits, wurde im Alter von 17 Jahren mit einem 20 Jahre älteren Mann verheiratet. Mit 18 bekam sie ihr erstes Kind und bald folgten drei weitere. Ihr Mann, der eigentlich eine Ausbildung zum Friseur gemacht hatte, gründete 1939 eine Pharmafirma. Bei Sitzungen wurde sie stets hinzugezogen, sollte aber nie etwas dazu sagen. Ihre Meinung wurde erst in den privaten vier Wänden eingeholt. „Wenn sich das, was ich vorgeschlagen habe, als richtig herausgestellt hat, hat er immer gesagt: Du kleine Hexe, woher wusstest du das?"

Dein Opa war auch ein bisschen cholerisch, da war es mit mir, glaube ich, sogar etwas harmonischer.

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„Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau"—diese starke Frau ließ man aber nicht in der großen Runde zu Wort kommen, sondern konsultierte sie wie einen Flaschengeist, heimlich im Kämmerlein, um ihre Ideen anschließend als die eigenen zu verkaufen. Wie fragwürdig diese Form von Vertrauen und Wertschätzung auch aus heutiger Sicht sein mag, sie rettete Magdalena den Hals. Denn ihr Mann und Vater der vier Kinder starb 1970 plötzlich an einem Herzinfarkt. Die 34-Jährige stand mit einer Hypothek auf dem Haus, den Kindern und einer verschuldeten Firma allein da. Die Leitung der Firma fällt plötzlich in Magdalenas Hände.

Als 20 Jahre jüngere Frau hatte sie wider alle Erwartungen keine Probleme, sich bei den Mitarbeitern als Chefin durchzusetzen. „Ich war ja auch schon vor seinem Tod bei Sitzungen dabei und arbeitete in der Firma mit. Und dein Opa war auch ein bisschen cholerisch, da war es mit mir, glaube ich, sogar etwas harmonischer."

Zu dieser Zeit als Frau in der Chefposition war Magdalena eine wahre Kuriosität, wie Christine Wimbauer bestätigt. Im Gespräch mit Broadly erzählt sie, dass Statistiken über Frauen in Führungspositionen aus den 70ern überhaupt nicht existieren. Die Älteste ist von 2006. Hier betrug der Anteil von Frauen in Führungspositionen ganze 1%, weshalb laut ihr davon auszugehen ist, dass er 1970 bei 0% lag. 2014 sind Frauen bereits mit unglaublichen 5% vertreten.

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Luise mit ihrer Tochter

1978 wendete sich das Arbeitsblatt auch für Luise. Die Kinder waren inzwischen 16 und 18 Jahre alt, hatten die Mittlere Reife hinter sich und gingen aufs Internat. Zu Hause gab es für Luise nicht mehr viel zu tun. Eines Abends begleitete sie ihren Mann auf eine Party und lernte Herrn Müller kennen, den Chef einer großen Modefirma. Sie kamen ins Gespräch, sie erzählte ihm von ihrer Ausbildung und er bot ihr einen Job an. Trotzdem bleibt die Familie für sie oberste Priorität. „Dann sagt der zu mir, ich soll am 22.02. zu ihm ins Büro kommen, da hab ich gesagt, da kann ich nicht, da hat mein Sohn Geburtstag!", erzählt sie. „Da hat der auch gedacht: Die hat einen Schuss!"

In der Studie Der unentdeckte Wandel von 1996, in der erwerbstätige Frauen aus dem Jahrgang 1929 bis 35 über ihr Leben bilanzieren, geben alle an, „Hausfrau und Mutter" gewesen zu sein, obwohl sie ihr Leben lang Teilzeit beschäftigt waren. In dieser Zeit blieb die Erwerbstätigkeit selbst für die Frauen, die sich aus der Rolle der Hausfrau emanzipieren konnten oder mussten, eine Abweichung von ihrer eigentlichen Bestimmung.

Luise konnte einen anderen Termin für das Bewerbungsgespräch arrangieren und bekam den Job. Zweimal im Jahr, zur Frühlings- und Herbstkollektion, arbeitete sie als beratende Assistentin im Design-Team. Sie war bei den Schauen in München, Paris und Florenz dabei und konnte sich alle Klamotten mit nach Hause nehmen, die ihr gefielen.

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Kannst du deine Familie nicht mehr ernähren, dass deine Frau arbeiten gehen muss?

Doch die neue Freiheit hatte auch ihren Preis. Ihr Mann Georg, nicht gerade glücklich mit der neuen Selbstständigkeit seiner Frau, stellte Bedingungen: Montags und Freitag durfte sie nicht arbeiten, da sei zu viel Verkehr auf den Straßen. In den Schulferien auch nicht, da waren die Kinder zu Hause. Und die Haushaltshilfe, die sie für die Zeit, in der sie arbeitete engagierte, musste sie von ihrem Gehalt bezahlen, sodass ihr als Lohn eigentlich nur noch die Gratiskleider blieben. Von einer finanziellen Unabhängigkeit konnte also keine Rede sein.

Seit den 70ern steigt die Erwerbstätigkeit von Frauen zwar kontinuierlich (laut dem Statistischen Bundesamt sind 2012 68 Prozent der deutschen Frauen erwerbstätig), finanzielle Unabhängigkeit oder Gleichberechtigung sind jedoch bis heute nicht wirklich gegeben. Das liegt laut Christine Wimbauer vor allem an zwei Faktoren. Einerseits gibt es nach wie vor eine sogenannte „Gender-Wage-Gap", also ein geschlechterspezifisches Lohngefälle, das zeigt, dass Frauen heute immer noch 22% weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Gleichzeitig sind Frauen überwiegend Teilzeit beschäftigt, Tendenz steigend. Nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung arbeiteten 2014 58 Prozent der Frauen nicht Vollzeit. Auch wenn also heute viel mehr Frauen arbeiten als damals, verdienen sie lange nicht so viel wie ihre männlichen Kollegen.

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So weit dachte Luise in den 70ern jedoch noch gar nicht. Für sie war es normal, ihren Mann um Geld zu bitten, wenn sie sich einen Pullover kaufen wollte. Wenn der ihr nichts gab, fragte sie ihre Eltern und wenn gar nichts half, wandte sie sich an die spendabelste ihrer Tanten. Eine Situation, die ich zuletzt mit 13 erlebt habe, als mein Taschengeld noch nicht ausgereicht hat, um mir davon Klamotten leisten zu können. Damals war diese Art von Abhängigkeit der Alltag einer erwachsenen Frau und Mutter. Auch Luises Mutter hatte für den Wunsch ihrer Tochter nach Selbstverwirklichung kein Verständnis. „Kannst du deine Familie nicht mehr ernähren, dass deine Frau arbeiten gehen muss?" lautete ihr Vorwurf an Georg.

Die Frauen waren eifersüchtig und die Männer hinter mir her wie Putzemanns Kater!

Christine Wimbauer kennt dieses Phänomen nur zu gut: „Natürlich waren Frauen in den 60ern, 70ern erwerbstätig, vor allem in den geringer qualifizierten Schichten, weil die Existenz der Familie sonst nicht gesichert werden konnte. Es war eher ein Mittelschichts- und natürlich ein Oberschichtsphänomen, ganz nach dem Motto: Wir können es uns leisten, dass meine Frau nicht arbeiten muss. Mit ihrem neuen Job brach Luise also mit der Etikette der Besserverdiener von damals und ihr Mann musste sich nicht nur mit den Sticheleien der Schwiegermutter herumschlagen, sondern auch auf einige Bequemlichkeiten verzichten. „Ich war einfach nicht präsent. Man hat ihm die Socken nicht raus gelegt, die er zu seinem Anzug anziehen sollte oder weiß der Kuckuck was."

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Trotz ehelicher Spannungen bereut Luise es nicht, sich gegen ein reines Leben als Hausfrau entschieden zu haben: „Ich war auf den ersten Blick gesehen nicht mehr abhängig von meinem Ehemann und ich habe das gemacht, was mir Spaß macht. Das war es auf jeden Fall wert."

Magdalena

Was Luise von ihrem Mann und ihrer Mutter bekommt, erfährt Magdalena von ihren Freunden. Auch wenn Sie in dieser Zeit beruflich Geschichte schreibt, lief es im Privatleben weniger harmonisch. Die Emanzipation war hier noch nicht angekommen, ganz im Gegenteil: Ihre Freundinnen sahen Magdalena als „die junge, attraktive Witwe", die ihnen gefährlich werden könnte. Deren Ehemänner hielten die plötzlich alleinstehende Frau für eine einfache Partie.

„Die Frauen waren eifersüchtig und die Männer hinter mir her wie Putzemanns Kater! Als ich verstanden habe, was da los ist, habe ich mich von allen abgewendet." Um dieser Situation zu entgehen, heiratete sie einen Mann, dessen Interesse an Magdalena auch mit ‚Putzemanns Kater' verglichen werden könnte, der jedoch keine eifersüchtige Ehefrau zu Hause sitzen hatte. Allerdings nicht aus Liebe. „Er war ein sympathischer Mann, aber ich hatte im Grunde genommen kein Interesse an ihm. Ich wollte einfach dieser schrecklichen Situation mit meinen Freunden entgehen und meinen Kindern eine Vaterfigur bieten." Auch wenn das typische Familienmodell in Magdalenas Fall nicht eintrat und sie Mutter und Ernährerin der Familie war, konnte sie sich nicht so weit von den gesellschaftlichen Normen lösen, dass sie alleinstehend blieb.

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Ich wollte keine Situation provozieren, die falsch interpretiert werden könnte.

Die Ungerechtigkeit, der eine Frau in den 70er Jahren ausgesetzt war, hörte lange nicht bei der Lohnungleichheit auf. Sie betraf gesellschaftliche Normen, innereheliche Machtverhältnisse und Etikette. Dinge, für die es vielleicht keine Statistiken gibt, die das Leben jedoch mindestens genau so sehr beeinflussten, wie die ungleiche Arbeitssituation. Mit dem neuen Ehemann war das Problem im Freundeskreis gebannt. Der Spagat zwischen Fulltimejob und vierfachem Muttersein blieb bestehen, doch er zahlte sich aus. Die Firma wurde so erfolgreich, dass Magdalena in den Vorstand des deutschen Chemieverbands gewählt wurde. Hier war sie viele Jahre lang die einzige Frau.

„Es hat sich nie jemand an mich rangemacht, aber ich war auch sehr distanziert. Tagsüber waren die Sitzungen, dann ein gemeinsames Abendessen und dann ist man an die Bar gegangen. Aber ich bin nicht ein einziges Mal mitgegangen, nach dem Essen bin ich in mein Zimmer. Oft genug dachte ich: Du blöde Kuh, sitzt so alleine in deinem Zimmer und die anderen amüsieren sich. Aber ich wollte keine Situation provozieren, die falsch interpretiert werden könnte." Schon in ihrem Freundeskreis musste Magdalena feststellen, dass verheiratete Männer nicht die Pflicht haben, sich zurückzunehmen, sondern dass es an den alleinstehenden Frauen ist, ihre Testosteron gesteuerten Artgenossen nicht mit ihrem Single-Dasein zu provozieren.

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Dass es in den Köpfen vieler auch heute noch Aufgabe der Frau zu sein scheint, gefälligst dafür zu sorgen, dass ihr niemand zu nahe kommt, zeigte die „Nein heißt Nein"-Debatte um die Verschärfung des Sexualstrafrechts. Trotzdem hat sich seit den 70ern viel geändert. Die Vorschrift, nur berufstätig sein zu können, wenn es mit den Pflichten als Hausfrau und Mutter vereinbar ist, ist heute unbegreiflich. Frauen studieren, gehen arbeiten, verdienen Geld und kümmern sich um die Erziehung ihrer Kinder. Bevorzugt mit einem Mann an ihrer Seite, zur Not jedoch auch ohne.

Neben all den Gesetzen hat sich vor allem die Einstellung der Frauen von heute gegenüber denen von damals verändert. Sie wissen, was ihnen zusteht und holen es sich auch. Dieser Wandel ist der Generation meiner Großmütter zu verdanken. Mein Freund sagte letztens zu mir: „Du brauchst einfach niemanden!" Was für ihn ein Grund war, sich Sorgen zu machen, war für mich das größte Kompliment.


*Namen geändert