FYI.

This story is over 5 years old.

Verbrechen

Apotheker soll gestreckte Medikamente an 7.300 Krebspatienten geliefert haben

Um seinen Profit zu steigern, verkaufte er teilweise Placebos. Ein Großteil der Betroffenen wurde noch nicht informiert.
Foto: imago | photohek

Als Peter S. Ende November 2016 festgenommen wurde, waren die Anschuldigungen bereits gravierend: Er soll Krebspatienten absichtlich zu niedrig dosierte Medikamente gemischt und trotzdem Geld von den Krankenkassen eingestrichen haben. Mehr als 3.700 Krebspatienten haben allein in den letzten fünf Jahren ihre Medikamente aus dem Labor der Alten Apotheke bezogen. Das ergab eine erste Auswertung der Ermittler. Ältere Fälle sind strafrechtlich verjährt. Eine Recherche von Panorama und Correctiv fand nun aber heraus, dass noch sehr viel mehr Menschen betroffen sein könnten: Seit 2005 belieferte die Apotheke mehr als 7.300 Patienten mit Therapiemitteln. Der Großteil von ihnen wurde bis heute nicht über den Verdacht informiert.

Anzeige

Zwölf Jahre habe er in seinem Labor Medikamente aus der Chemo- und Antikörpertherapie gestreckt, bei manchen Arzneien habe es sich um reine Placebo-Präparate gehandelt, berichtet Correctiv. S. habe sie mit Glukose und Kochsalz angereichert. Einige der Patienten sind mittlerweile gestorben, auch bei anderen hat die Therapie nicht angeschlagen. Peter S. als eindeutigen Verursacher dafür festzumachen, ist rechtlich schwierig. Anfang Juli wurde er angeklagt. Er habe in fast 62.000 Fällen gegen das Arzneimittelgesetz verstoßen und etwa 50.000 Rezepte falsch abgerechnet, so die Essener Staatsanwaltschaft. Laut Krankenkassen hat er so einen Schaden von 56 Millionen Euro verursacht.


Auch bei VICE: Diese Faultiere können vielleicht dabei helfen, Krebs zu heilen


Die Behörden gingen davon aus, dass Ärzte und Krankenhäuser ihre Patienten über ihre manipulierte Behandlung in Kenntnis setzen würden. Im Dezember hatte das Bottroper Gesundheitsamt diesen aufgetragen, diese Aufgabe zu übernehmen. Der ARD gegenüber erklärten einige der Ärzte nun aber, dass sie selbst keine ausreichenden Informationen erhalten hätten. Am Ende bleiben die besorgten Patienten zurück: Haben sie die ganze Zeit mit Glukose und Kochsalz gestreckte Medikamente eingenommen? Hat der Krebs deswegen möglicherweise gestreut?

Gesundheitsminister will die betroffenen Patienten informieren

Auch der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sagt, dass ihm die Dimensionen des Falles nicht bekannt gewesen seien. Im Interview mit Panorama gab er an, dass sich das Ministerium nun bemühe, an die Kontaktdaten der betreffenden Personen zu kommen. Die Verantwortung liegt seiner Meinung nach bei den Ärzten: "Wenn die Behörden die Ärzte und Krankenhäuser, die die Medikamente verabreichten, informiert haben, dann ist es auch deren Aufgabe, ihre Patientinnen und Patienten zu informieren." Insgesamt waren 37 Kliniken und Arztpraxen von der Apotheke beliefert worden.

Das Gesundheitsamt Bottrop hat im Mai eine Hotline für Patienten eingerichtet, die sich selbst informieren wollen. Eine Liste mit den 49 falsch dosierten Wirkstoffen wurde im Juni veröffentlicht. Das Gesundheitsamt betont aber, dass nicht alle Menschen, die mit diesen behandelt wurden, von den gestreckten Medikamenten betroffen seien.

Aktuell prüft das Landgericht Essen die 820 Seiten lange Anklageschrift gegen Peter S. Er soll neben den gestreckten Arzneien auch gegen Hygienevorschriften in seinem Labor verstoßen haben. Eine ehemalige Mitarbeiterin sagte gegenüber Correctiv, S. habe in Straßenkleidung das Reinraumlabor betreten und manchmal sogar seinen Golden Retriever mitgenommen. Dabei ist es für Krebspatienten überlebenswichtig, dass das Labor keimfrei ist: Ihr Immunsystem ist so schwach, dass Infektionen oder Krankheiten für sie tödlich sein könnten. Dem Apotheker war offensichtlich auch das egal.

Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.