Ein Gemälde mit nackten Frauen, die einem bewaffneten Heer gegenüberstehen, so könnte eine matriarchale Gesellschaft aussehen
Amazonen und Skythen von Otto Van Veen | Foto: Alamy
Popkultur

Warum ein Matriarchat besseren Sex und eine bessere Gesellschaft bedeutet

Falls du dich immer schon gefragt hast, wie die Welt auch aussehen könnte.

Dieser Artikel ist ein Beitrag von Dr. Kate Lister von der Leeds Trinity University.


In der griechischen Mythologie sind die Amazonen ein Volk von Kriegerinnen, die sich weigern, mit Männern zusammenzuleben. Um nicht auszusterben, treffen sie sich einmal im Jahr mit dem benachbarten Stamm der Gargarier für Sex.

Sobald die Amazonen bekommen haben, was sie wollen, lassen sie die Typen wie ein benutztes Taschentuch liegen und kehren nach Hause zurück – hoffentlich schwanger. Wenn sie dann neun Monate später die Kinder zur Welt bringen, behalten sie die Mädchen. Die Jungs bringen sie entweder zurück zu ihren Vätern oder setzen sie an einem Berghang aus und überlassen sie ihrem Schicksal. 

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So ähnlich wie die Sperma-stehlenden, Speer-werfenden und Männer-verkloppenden Amazonen stellen sich wahrscheinlich viele eine matriarchale Gesellschaft vor. Anthropologinnen und Anthropologen betonen allerdings, dass ein Matriarchat nicht das Gegenteil vom Patriarchat ist. Es ist keine Gesellschaft, in der Frauen über Männer herrschen.

Ein Schwarz-Weiß-Gemälde mit jagenden Frauen, die einen Bär mit Hunden und Pfeil und Bogen angreifen

In der griechischen Mythologie sind die Amazonen ein Stamm von Frauen, die jagen und Krieg führen | Foto: Alamy

Einfach gesagt: Eine matriarchale Gesellschaft ist eine, in der Frauen nicht aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt sind; in der die Macht zwischen den Geschlechtern aufgeteilt ist und in deren Kultur Mütter im Mittelpunkt stehen. Ob du es glaubst oder nicht, es gibt auch heute noch eine Reihe matriarchaler Gesellschaften.

Für die Gründerin der Internationalen Akademie für Moderne Matriarchatsforschung und Matriarchale Spiritualität, Heide Göttner-Abendroth, operiert eine matriarchale Gesellschaft auf vier Ebenen: ökonomisch, gesellschaftlich, politisch und kulturell.

Ökonomisch wird der Wohlstand in matriarchalen Gesellschaften nicht über die väterliche Linie weitergegeben, stattdessen wird er geteilt. Die Verteilung im Klan übernimmt die Matriarchin der Gruppe. Gesellschaftlich steht die Mutterschaft im Zentrum – auch die Männer schätzen wert, was es bedeutet, eine Mutter zu sein. Kinder werden in matriarchalen Gruppen gemeinsam aufgezogen, alle sind ihre Mutter.

Mädchen und junge Frauen in traditionellen Gewändern mit orangenen Umhängen, großen Kugelketten und metallischen Kopfbedeckungen mit Blumenschmuck

Eine matrilineare Gesellschaft in Shillong im indischen Bundesstaat Meghalaya | Foto: Getty

Frauen werden in matriarchalen Gesellschaften nicht von der Politik ausgeschlossen. Stattdessen treffen sie mit den Männern gemeinsam Entscheidungen, die die Gruppe betreffen. Kulturell verehren sie weibliche Gottheiten und sehen die natürliche Welt als weiblich. 

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Aber was ist mit Sex? Schön, dass du fragst. In patriarchalen Gesellschaften wurde der Wohlstand historisch über die väterliche Linie weitergegeben. Um sicherzustellen, dass Macht und Wohlstand direkt vom Vater an den Sohn gehen, wird die Sexualität und die Fortpflanzung von Frauen streng kontrolliert. Auf diese Weise sollen legitime Nachkommen sichergestellt werden. Die weibliche Sexualität wird als etwas Schlechtes verurteilt.

In einer matriarchalen Gesellschaft gibt es keine väterliche Linie. Da die Kinder gemeinschaftlich großgezogen werden, ist es egal, wer der biologische Vater ist. Wie du dir vorstellen kannst, ist der Sex und die Einstellung gegenüber Frauen, die Sex genießen, ganz anders als unsere.

Eine Gruppe Frauen in traditionellen Gewändern bei einer Aufführung

Die Mosuo in China sind auch bekannt als das "Reich der Frauen" | Foto: Alamy

Die Mosuo sind ein indigenes Volk, das in den Provinzen Yunnan und Sichuan im Südwesten Chinas lebt. Sie werden oft als Chinas letzte matrilineare Gesellschaft bezeichnet – das heißt, bei der Familienzugehörigkeit spielt die mütterliche Linie die entscheidende Rolle. Die frühsten bekannten Erwähnungen der Mosuo reichen zurück bis 750 Jahre vor unserer Zeitrechnung. In chinesischen Chroniken wird ihre Heimat "nu kuo" genannt, "das Reich der Frauen".

Mosuo-Frauen heiraten nicht und haben so viele Liebhaber, wie sie wollen. In ihrer Sprache gibt es kein Wort für Vater oder Ehemann. Liebende leben nicht zusammen. Stattdessen laden die Frauen abends die Männer in ihren Schlafraum ein. Dieses Besuchsehe genannte Arrangement geht bei den Mosuo niemanden etwas an außer das Paar selbst. Diese Verbindungen können für viele Jahre bestehen oder nur eine Nacht. Allerdings würde niemand erwarten, im ganzen Leben nur eine solche Beziehung zu haben.

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Trennungen sind ähnlich unkompliziert. Entweder hört die Frau auf, den Mann einzuladen, oder er hört auf, sie zu besuchen. Ein wichtiger Initiationsritus der Mosuo ist die Übergabe des Schlüssels für die eigene Schlafkammer von der Mutter an die Tochter, damit diese anfangen kann, Männer zu sich einzuladen – was etwas besser ist, als ein Aufklärungsbuch in die Hand gedrückt zu bekommen und den Eltern dabei zuzuschauen, wie sie mit hochrotem Kopf und zitternden Händen ein Kondom über eine Banane streifen.

Die Khasi leben im Nordosten Indiens. Über 1,4 Millionen Menschen werden zu ihnen gezählt. "Kha-si" bedeutet "Von der Mutter geboren" und seit Jahrtausenden gilt bei ihnen das Matriarchat. Das Eigentum einer Familie wird von der Mutter an die Tochter weitergegeben, Kinder nehmen den Namen der Mutter an und ein verheirateter Mann lebt entweder mit seiner Frau im Haus ihrer Mutter oder besucht sie nur abends für Sex. Scheidungen sind simpel, beide Personen geben einfach an, dass sie nicht mehr zusammenbleiben wollen. Auf diese Weise kommen die Frauen der Khasi im Laufe ihres Lebens zu einer ganzen Reihe Männer.

Alte und junge Frauen beim Sortieren von roten Beeren an einem Tisch

Einwohnerinnen des Dorfes Noiva do Cordeiro | Foto mit freundlicher Genehmigung von Noiva do Cordeiro

Viele matriarchale Gesellschaften sind schon sehr alt, aber es gibt auch moderne Beispiele. Im Südosten Brasiliens gibt es zum Beispiel das Dorf Noiva do Cordeiro. 300 Menschen leben dort und die Frauen haben das Sagen. Gegründet wurde es 1891 von Maria Senhorinha de Lima, nachdem sie von ihrem Zuhause und der Kirche verstoßen worden war, weil sie ihren Mann für einen Liebhaber verlassen hatte. Als Flittchen und Ehebrecherin gebrandmarkt gründete Maria eine Frauengemeinschaft mit den örtlichen Sexarbeiterinnen, die ähnlich wie sie von der Kirche geächtet wurden. Heute leben die Frauen immer noch als Kommune und verkaufen Gemüse und Handwerkskunst statt Sex. Einige sind zwar verheiratet, ihre Männer arbeiten allerdings außerhalb der Stadt.

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Eine Gruppe von alten und jungen Frauen sitzen um einen Tisch und führen in der Mitte die Hände zusammen

Einwohnerinnen des Alapine Village | Foto mit freundlicher Genehmigung von The Alapine Village

Das Alapine Village in Alabama, USA, ist eine rein weibliche Gemeinde, die 1997 als lesbische Kommune gegründete wurde. Alapine war eine von mehreren lesbischen Communitys, die in den 1970ern ins Leben gerufen wurden, als eine Gruppe revolutionärer Frauen ein Camp am Strand von St. Augustine, Florida, gründeten. Heute erstreckt sich Alapine Village über ein Gebiet von etwa 44 Hektar Land und wird dauerhaft von 17 Frauen bewohnt.

Die Bewohnerinnen bestellen tagsüber das Land und veranstalten regelmäßig gemeinschaftliche Aktivitäten wie Gedicht-Lesungen und "Vollmond-Kreise" bei Nacht. Falls jemand interessiert ist: Die Bewohnerinnen von Alapine Village freuen sich immer über neue Rekrutinnen – solange sie kein Y-Chromosom haben natürlich.

Beyoncé sang mal "Girls rule the world". Auch wenn das noch nicht ganz stimmt, zeigen uns diese matriarchalen Gemeinschaften, dass Frauen in manchen Teilen der Welt durchaus das Sagen haben. Es ist möglich, Gemeinden um mütterliche Werte herum aufzubauen, die sich an Bedürfnissen orientieren – nicht an Macht und Herrschaft. Außerdem zeigt es meiner Meinung nach: Wenn Frauen das Steuer in der Hand haben, haben alle ein besseres Leben – und natürlich auch besseren Sex.

Dr. Kate Lister ist eine Sex-Historikerin, Autorin und Dozentin an der Leeds Trinity University in Großbritannien. Sie betreibt den Blog The Whores of Yore und ist auf Twitter aktiv.

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