Damals, als Die Ärzte die "meistindizierte Band der westlichen Welt" waren
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Damals, als Die Ärzte die "meistindizierte Band der westlichen Welt" waren

Nachdem ein Song der Ärzte in den 80ern wegen "sexualethischer Desorientierung" auf dem Index landete, setzen die Berliner alles daran, die Behörden weiter zu provozieren.

Die Ärzte haben geschafft, dass sich nach 35 Jahren Bandgeschichte inzwischen drei Generationen vor ihren Bühnen versammeln. Schon kurz nach ihrer Gründung tauchten sie in der Bravo auf, verkündeten, dass sie Popstars werden wollten und ebneten so ihren Weg, eine der erfolgreichsten Bands des Landes zu werden. Doch gerade die Bundesregierung und ihre Sittenwächter von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS – heute wurde das "Schriften" durch "Medien" ersetzt, daher: BPjM) hatten vor allem in den 80ern so ihre Probleme mit den Punkern. Und so kam es, dass Die Ärzte Ende der 80er laut Farin Urlaubs Aussage die meistindizierte Band der westlichen Welt waren.

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Eine Indizierung hat zur Folge, dass betroffene Medien – in diesem Fall Songs, Booklets oder Videos – nicht öffentlich vorgeführt oder beworben werden dürfen. Außerdem ist der Verkauf an Minderjährige ausdrücklich verboten. Gerade bevor es das Internet gab, hatten Indizierungen starke Auswirkungen auf den wirtschaftlichen Erfolg. Denn da Plattenläden im Gegensatz zu Videotheken kein gesondertes Kabuff zur Ausstellung von Pornos und anderen indizierten Medien haben, wurden betroffene Platten dort schlicht nicht mehr verkauft. Zwar gab es schon lange vor Pirate Bay und Co. Schwarzkopien, die auf Schulhöfen kursierten, doch davon konnten sich Bands damals wie heute keine fett belegten Pizzen mit extra Käserand leisten, geschweige denn die Miete, wie die Ärzte deutlich zu spüren bekamen.


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Der Begriff "Zensur" für indizierte Musik ist dennoch umstritten. Denn rein juristisch gesehen ist eine Indizierung nach deutschem Recht keine Zensur, die nach Artikel 5 des Grundgesetzes ("Eine Zensur findet nicht statt.") verboten wäre. Das Instrument dient ausschließlich zum Jugendschutz, soll also besonders gewalttätige Filme, Nazirock und Co. von Minderjährigen fernhalten. Da der eigentliche Verkauf nicht verboten ist, wird das Recht der freien Meinungsäußerung nicht eingeschränkt. Da das Werbeverbot allerdings sogar die öffentliche Ausstellung der Medien verbietet, werden betroffene Platten bei großen Ketten meist nicht in das Sortiment aufgenommen, was eine kommerziell erfolgreiche Veröffentlichung meist unmöglich macht. Deshalb kommt nicht nur von Betroffenen, sondern auch von Seiten der Medien regelmäßig die Frage auf, ob es sich bei Indizierungen nicht doch um eine Form der Zensur handelt.

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Soweit der Exkurs, zurück zu den Ärzten:

Flachwitze übers Flachlegen

Während Lieder für eine Indizierung heutzutage schon mindestens von der Liebe zu Adolf Hitler oder extremer Gewaltverherrlichung handeln müssen, agierten die Sittenwächter der Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Medien damals noch um einiges aggressiver. Los ging die große Indizierungswelle bei den Ärzten 1987 mit dem Lied "Geschwisterliebe". Laut der Bandbiographie Ein überdimensionales Meerschwein frisst die Erde auf fand Farin Urlaub das Wort "flachlegen" witzig und wollte es durchdeklinieren. Heute lockt man mit dem Humor eines 15-Jährigen, der Witze über Doktorspiele zwischen Bruder und Schwester macht, niemand mehr hinter dem Ofen hervor, doch damals führte diese laut BPjS "sexualethische Desorientierung" zur Indizierung des Liedes und des zugehörigen Albums Die Ärzte.

Spiel, Spaß und Spannung mit Schäferhunden

Im Zuge der ersten Indizierung von Die Ärzte schaute die Bundesbehörde sich auch die anderen Veröffentlichung der Band genauer an – und wurde fündig. Auch auf dem Debütalbum Debil war der Humor der Ärzte nicht mit deutschen Sitten vereinbar. Der Spaß, den die namensgebende Claudia in "Claudia hat 'nen Schäferhund" mit ihrem Haustier hat, ging zu weit. Oder um es in den Worten der Indizierungsbegründung zu sagen:

"Zwar wird in der letzten Strophe auf die Gefahr des Verharzens hingewiesen, dennoch wird der Gesamteindruck vermittelt, geschlechtliche Kontakte mit einem Schäferhund überträfen bei weitem heterosexuelle Befriedigung."

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Damit bezogen die Sittenwächter sich auf die Zeile: "Neulich musste Claudia dringend mal zum Arzt / und der riet ihr aufzuhör'n, denn sie war total verharzt." Die sollte eigentlich jeder Mensch als wirklich nicht besonders gelungenen Zweckreim erkennen. Doch nicht die BPjS, die der Band zugute hielt, dass sie immerhin vor den Gefahren der nicht heterosexuellen Befriedigung warnte.

Leider gab es keine vergleichbar spannende Begründung, was sich im Laufe der Zeit geändert hat, aber die BPjM entschied im Jahr 2004, dass ihr vermutlich doch nicht mit eurem Hund vögeln werdet, wenn ihr "Claudia hat 'nen Schäferhund" hört und strich das Lied wieder vom Index.

Ein Schlaflied zum Wachbleiben

Auch das "Schlaflied" bot der BPjS damals Grund zur Indizierung von Debil. Auf der Melodie eines klassischen Schlafliedes wird hier die Geschichte eines Monsters erzählt, das einen nach und nach bis in den Tod foltert. Was einem Kind zugegebenermaßen schlechte Träume bereiten kann, war für die BPjS noch wesentlich schlimmer, denn:

"Das Lied stellt Gewalt selbstzweckhaft dar. Es wird dominiert von den oralen, reißenden und destruktiven Kräften des Monsters. Es entlässt den Zuschauer im Zustand angespannter, latenter Aggressivität."

Vielleicht liegt es daran, dass inzwischen schon das durchschnittliche Nachmittagsprogramm eines Fernsehsenders reicht, um den Zuschauer im Zustand angespannter, latenter Aggressivität zu entlassen, denn: Auch hier wurde die Indizierung aufgehoben. Somit dürfen die beiden Lieder und auch das Album Debil wieder frei verkauft werden. Diese Situation nutzen die Ärzte und legten das Album im Jahr 2005 unter dem Namen Devil neu auf.

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Bundeskanzler und BDSM

Als Reaktion auf die Indizierung der beiden Alben brachten Die Ärzte 1987 das Mini-Album Ab 18 heraus, das alle indizierten Songs plus ein paar weiterer Provokationen enthielt. Ab 18 schaffte etwas sehr Beeindruckendes: Es landete gleich mehrfach auf dem Index für jugendgefährdende Schriften. Einmal natürlich wegen der Songs, aber auch das Booklet wurde indiziert. Denn dort waren nicht nur die Texte der Lieder abgedruckt, sondern auch die Indizierungsbegründungen für diese. Doch das war nur die Spitze des Eisbergs, was Provokation anging. Der kürzlich verstorbene Helmut Kohl war 1987 seit fünf Jahren Bundeskanzler, als die Ärzte ihm in "Helmut K." unterstellten, seine Frau zu schlagen.

Doch der wichtigste Track auf Ab 18 dürfte die BDSM-Hymne "Sweet Sweet Gwendoline" sein. Denn eine stilisierte Gwendoline, das gefesselte Skelett einer Frau, wurde auf Tourtickets gedruckt. Auch das fanden die Behörden wieder einmal nicht witzig und so wurden die Ärzte die vermutlich einzige Band überhaupt, deren Eintrittskarten indiziert wurden. Doch Zeiten ändern sich und heute ist Gwendoline ein Art Bandlogo und ein beliebtes Tattoomotiv von Fans. Trotz oder gerade wegen der Indizierung landete Ab 18 übrigens auf Platz 33 in den Charts. Bis auf "Geschwisterliebe" ist seit 2012 keines der Lieder auf dem Album mehr auf dem Index zu finden.

Misslungene Provokation und neuer Ärger

1988 ließen die Ärzte ihren Frust an der BPjS in dem Video zur BDSM-Hymne "Bitte, Bitte" raus. Es spielt in einer Zensurbehörde, deren Ästhetik durch die Banner sehr in eine NS-Richtung gerückt wird. Diese Behörde soll eine Ärzte-LP bewerten und zeigt, wie die Beamten alles daran setzen, die Platte zu zerstören. Als besondere Provokation wird das Behördenoberhaupt von Teresa Orlowski gespielt, einer der bekanntesten Pornodarstellerinnen ihrer Zeit. Doch dieses Mal bissen die Sittenwächter nicht an und "Bitte Bitte" und das zugehörige Album Das ist nicht die ganze Wahrheit … blieben frei verkäuflich.

Erst 20 Jahre nach Ab 18 bekamen die Ärzte wieder Probleme mit dem Jugendschutz. Das Video zu "Junge" durfte erst nach 22 Uhr gezeigt werden. Um diesem Problem zu entgehen, übten sich die Ärzte kurzerhand in Selbstzensur und überdeckten die beanstandeten Passagen kurzerhand mit Bildern von sich selbst als bekannte Zeichentrickfiguren. Das ist jetzt zehn Jahre her und seitdem hatten die drei Berliner keinen Ärger mehr mit der BPjM. Das dürfte vor allem daran liegen, dass die Prüfstelle inzwischen sehr viel entspannter geworden ist und inzwischen auch einen Witz als Witz erkennt. Doch wer weiß, vielleicht finden die Ärzte beim nächsten Album einen neuen Weg, die Prüfer auf den Plan zu rufen.

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