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Work work work

Bernard Tomic' einzige Sünde war, ehrlich über seinen Job zu sprechen

Der Australier wurde nach seiner Pressekonferenz in Wimbledon vom Tennis-Establishment auseinandergenommen. Selbst ein Sponsorendeal brach weg. Das alles, nur weil er keine Motivation mehr in seinem Job sieht?
Jayne Kamin-Oncea-USA TODAY Sports

Stell dir mal kurz das folgende Szenario vor: Deine Firma veranstaltet nach dem Feierabend ein BBQ und du kommst mit einem Mitarbeiter – nennen wir ihn Bernie – ins Gespräch. Bernie ist ein geschätzter Kollege, der seit Jahren verlässliche Arbeit leistet. Nur in letzter Zeit wirkt er ein bisschen uninspiriert. Du fragst Bernie, was los ist, und er gesteht dir, dass er auf der Arbeit ein bisschen gelangweilt ist. Sein Heißhunger, die Unternehmenswelt zu erobern, ist ihm im Laufe der Jahre ein bisschen flöten gegangen. Er hat ja eine sichere Anstellung und verdient auch so gutes Geld. Er kann sich gut vorstellen, die letzten 15 Jahre bis zum Ruhestand in seinem gemachten Nest auszusitzen.

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Als Antwort auf so viel Ehrlichkeit wirst du:

a) verständnisvoll nicken und noch eine Runde Bier holen, denn das, was er sagt, spiegelt so ziemlich jeden Mensch wider, der über seinen langjährigen Job spricht;

b) ihm dein Bier ins Gesicht schütten und ihn anschreien, dass er mal klarkommen soll. Wie kann er wagen, so respektlos über seine Firma zu sprechen?

Du hast dich für Antwortmöglichkeit B entschieden? Herzlichen Glückwunsch, dann bist du wohl ein echter Tennisfan. Anfang der Woche verlor der Australier Bernard Tomic in der ersten Wimbledon-Runde glatt gegen den Deutschen Mischa Zverev und erzählte danach der versammelten Presse, dass er einfach nicht so richtig in Stimmung gekommen war.

"Ich stand weder mental noch physisch auf dem Platz. Ich weiß nicht warum", meinte ein zappeliger Tomic.

"Um ehrlich zu sein habe ich mich da draußen ein bisschen gelangweilt. Zum Ende hin habe ich nochmal was versucht … aber da war es schon zu spät."

Tomic hatte sich mittlerweile warmgeredet und ließ noch ein paar Statements fallen:

"Eine Trophäe in den Händen zu halten, befriedigt mich nicht mehr.

"Mir ist es völlig egal, ob ich bei den US Open bis in die vierte Runde komme oder schon in der ersten rausfliege. Ich weiß, ich werde noch zehn Jahre spielen und nach meiner Karriere nicht mehr arbeiten müssen.

"Das hat mentale Gründe", gab er außerdem noch zu Protokoll und fasste sich an den Kopf.

Die Reaktion aus der Tenniswelt kam prompt und war größtenteils vernichtend. Martina Navratilova sagt dem BBC, dass Tomic den Sport nicht achtet und sich einen anderen Job suchen sollte. Der Schlägerhersteller Head kündigte seinen Sponsorenvertrag mit Tomic auf (hielt aber der gedopten Scharapowa damals die Treue). ESPN-Experte Brad Gilbert haute raus, dass er "absolut angewidert" sei. Sports Illustrated zeigte ein bisschen mehr Verständnis—man wies daraufhin, dass Tomic' Lustlosigkeit mit seinem berüchtigten Vater zu tun haben könnte –, stellte aber gleichzeitig auch klar, dass seine halbherzigen Leistungen eine "Schande" seien.

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Moment mal.

Zugegeben, keiner will einen Profi sehen, der lustlose Auftritte zeigt. Du hast extra eingeschaltet oder das Spiel sogar live in Wimbledon verfolgt und für das Ticket ordentlich in die Tasche gegriffen? Gut, dann hast du das Recht, ein bisschen stinking zu sein. Ansonsten ist es gut möglich, dass seine mangelnde Motivation und Kommentare Anzeichen persönlicher Probleme sind. In dem Fall würde er aber unser Mitgefühl und nicht unsere Verachtung verdienen.

Aber lasst uns einfach nur mal Tomic' Aussagen nüchtern betrachten. Wenn man jeglichen Sportbezug aus der Gleichung entfernt, sagt der Australier ungefähr das hier: Ich langweile mich auf meiner Arbeit. Selbst wenn ich einen großen Deal abschließe, erfüllt mich das nicht wirklich. Ob ich jetzt Erfolg habe oder nicht, die Tage fühlen sich alle gleich an.

Ist das in irgendeiner Form eine ungewöhnliche, ja krasse Aussage? Ist das irritierend? Ein Affront? Ich bitte euch. Das sind völlig normale, fast schon klischeeartige Gefühle eines Menschen in Bezug auf seine Arbeit. Tennis ist Tomic' Job. Mehr nicht. Und wir können nicht von ihm verlangen, dass es auch sein Leben ist. Außerdem: Ist es wirklich so schockierend, dass jemand äußert, gerade keinen großen Bock zu haben?


Ebenfalls bei VICE Sports: Angewandter Unfug – Holger Geschwindners Basketball Camp


Tomic spielt auf der ATP-Tour, seit er 16 ist. Und wird wahrscheinlich nicht mehr spielen, bis er 36 ist. Klar sind sich die Experten einig, dass er sein riesiges Potential nie richtig ausgeschöpft hat. Trotzdem kann er mit seinen 24 Jahren auf drei Titel und fünf Millionen Dollar Preisgeld zurückblicken, er war mal der jüngste Wimbledon-Viertelfinalist seit Boris Becker und stand zwischenzeitlich auf Platz 17 der Weltrangliste. Aber Tomic ist eben auch smart genug, um zu dem Schluss gekommen zu sein, niemals ein Roger Federer, Rafael Nadal oder auch "nur" Pat Rafter werden zu können.

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Und jetzt? Früher oder später stellen wir uns doch alle die Sinnfrage bei unserer Arbeit. Alle starten mit XXL-Motivation in ihren neuen Job, doch schon nach einiger Zeit sinkt der anfängliche Tatendrang. Sobald wir realisieren, dass wir es wohl nie bis in die Chefetage schaffen werden, kann man auch mal in Frage stellen, inwieweit es dann sinnig ist, darauf hinzuschuften.

Und das ist völlig in Ordnung, weil wir nicht zum Arbeiten, sondern zum Leben geschaffen worden sind. Einer, der verstanden hat, was da Tennis-Establishment nicht einsehen will, ist der ehemalige "Australian Rules Football"-Star Adam Cooney:

Es ist doch komisch und unfair, an Athleten andere moralische Anforderungen zu stellen als an uns selbst. Ja, Tomic hat Motivationsprobleme. Aber die kennen wir doch auch, oder nicht? Ja, Tomic hat mit seinen Aussagen provozieren wollen. Aber tun wir das nie? Und es ist ja nicht so, dass er mit seinen Statements ein schweres moralisches Verbrechen begangen hätte. Er hat halt durchblicken lassen, dass er aktuell nicht wirklich Bock hat. Punkt. Und was soll heißen, dass er den Sport nicht genügend respektieren würde? Um auch nur in der ersten Runde bei Wimbledon mitspielen zu können, muss man jahrelang wie ein Irrer trainiert und viele Opfer gebracht haben. Tomic steht in der Weltrangliste immer noch auf Platz 59. Wenn man bedenkt, dass die Erde rund sieben Milliarden Bewohner hat, ist er also immer noch besser als 6.999.999.941 Menschen. Das kann man nicht wirklich despektierlich gegenüber dem Tennissport nennen. Das ist eine starke Leistung!

Das eigentlich Verwunderliche an Tomic' Geständnis ist nicht, dass er es abgelegt hat. Es ist verwunderlich, dass nicht viel mehr Sportler offen über Motivationsprobleme sprechen.