Rap, Rave, Russland & Skimasken – Moscow Death Brigade im Interview
Alle Fotos: Jörg Kandziora

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Rap, Rave, Russland & Skimasken – Moscow Death Brigade im Interview

"Es war Taktik der Neonazis, Kids auf dem Weg zum Konzert mit Messern, Flaschen und Gummigeschossen zu attackieren." – Die Rap-Rave-Hardcore-Crew Moscow Death Brigade über harte Zeiten, eine bessere Welt und ihren guten Draht zu Feine Sahne Fischfilet.

Die russische Hauptstadt ist ihre Heimat, doch so richtig zu Hause fühlt sich die Moscow Death Brigade erst im Moshpit. Mit ihrer eklektischen Mixtur aus Hardcore-Punk, Rap und Techno versammelt die Band nicht nur Hörer aus verschiedenen Subkulturen, sondern transportiert gleichzeitig eine klare politische Message: gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie … gegen fucking Neonazis. Einen Zeigefinger sucht man dabei aber vergebens. Die MDB kommt lieber mit der ganzen Faust. "Wir schreiben einen Soundtrack zu unserem eigenen Lebensstil. Reisen, Graffiti malen, hart arbeiten und versuchen, den russischen Alltag zu überleben”, so Frontmann Ski Mask G im Interview mit Noisey. Die 2007 gegründete Band, bestehend aus den beiden Hauptakteuren Ski Mask G und Boltcutter Vlad sowie diversen Freunden und Supportern, bleibt diesem Soundtrack auch auf ihrem zweiten Album Boltcutter treu. Sie scheuen sich nicht, Missstände anzusprechen, gar laut hinaus zu schreien, und dann mit ordentlich Wumms in die Synapsen ihrer immer größer werdenden Fangemeinde zu pressen. Genug Stoff also, um sich Ski Mask G und Boltcutter Vlad für ein Interview ran zu holen.

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Noisey: Auf eurem jüngst erschienenen Album Boltcutter findet sich der Song "Anne Frank Army Part II". Dieser präsentiert eine Realität im Kriegszustand. Gibt es noch Hoffnung für die Menschheit?
Ski Mask G: Wir glauben es! Wenn man die Welt aus einer historischen Perspektive betrachtet, ist es für einen größeren Prozentsatz der Menschen viel besser als je zuvor, trotz Ungerechtigkeit, Hass und Tod. Das Problem ist, dass es angesichts der fortgeschrittenen menschlichen Zivilisation immer noch viel zu viel archaischen Bullshit gibt: Rassismus, religiöser Radikalismus, Homophobie, Sexismus – und das kommt sowohl von normalen Menschen, als auch von aggressiven Hassgruppen, politischen Parteien und extremistischen Organisationen. Im Internet- und Kommunikationszeitalter ist das absolut inakzeptabel. Die meisten Stereotypen, die Hass verursachen, werden leicht entlarvt, sobald man aufhört, ein militanter Ignorant zu sein, und anfängt, sich selbst zu bilden. Es ist eine Sache, wenn Vorfahren sich gegenseitig opferten, weil sie Angst vor Blitzen hatten, ihre Herkunft nicht erklären konnten und versuchten, den unsichtbaren Mann im Himmel zu beschwichtigen. Aber es ist was anderes, wenn moderne Menschen leugnen, dass der Holocaust stattgefunden hat, oder behaupten, dass die Erde flach ist.
Boltcutter Vlad: Die wahre Bedrohung für die ganze Zivilisation sind die niemals endenden Spiele der Weltführer, die militärische Konflikte auf der ganzen Welt auslösen, um ihren Einfluss auszuweiten und der Waffenindustrie zu gefallen. Viele glauben, dass wir kurz vor einem weiteren Weltkrieg stehen, und das ist unserer Meinung nach nicht weit von der Wahrheit entfernt. Aber wir denken auch, dass die Menschen eine Chance haben, sich gegen diese Bedrohungen zu stellen, Manipulation und Propaganda zu vermeiden. Und Musik hat sich als ein effektiver Weg erwiesen, Menschen zu vereinen und eine positive Botschaft zu verbreiten. Wir sehen so viele großartige Beispiele dafür, die uns glauben machen, dass wir auch eine Chance haben, die Welt zum Besseren zu verändern.

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Wie sähe denn die perfekte Welt für euch aus?
Boltcutter Vlad: Wir sind keine politischen Experten, sondern eher ein Haufen Kerle in Trainingsanzügen und Skimasken, die laute Musik spielen und Graffiti malen, also werden wir wahrscheinlich keine perfekten Pläne vorschlagen können, um die Gesellschaft wieder aufzubauen. Aber wir sehen eine gute Welt als einen Ort, an dem Menschen nicht hasserfüllte Stereotypen aus dem Nichts ziehen, nicht so leicht Massenmedien-Propaganda Glauben schenken und sich mehr um friedliches Zusammenleben bemühen … Eine Welt, in der Menschenleben und Freiheit unbezahlbar sind. Wir glauben, dass es keine Utopie ist und im wirklichen Leben erreicht werden kann, besonders wenn die Menschen lernen, sich mehr zu respektieren und bereit sind, sich in schwierigen Zeiten zu unterstützen. Wie wir in "Anne Frank Army Part II" rappen: "We are the Arabs, Jews, Whites, Blacks and Asians / Let's […] stand together in the face of hatred."

In Deutschland kämpfen wir mit einer neu erstarkten Rechten. Wie ist der Status Quo in Russland?
Boltcutter Vlad: Die Situation hat sich in den letzten Jahren drastisch verbessert, aber früher, vor allem von den späten 90ern bis 2011, war es ziemlich dunkel. In diesen Jahren waren die Neonazi-Banden und rechtsextremen Organisationen sehr stark und fühlten sich frei, Einwanderer, Minderheiten, Menschenrechtsaktivisten brutal anzugreifen und zu ermorden. Auch vor HipHop- und Hardcore-Punk-Kids machten sie nicht Halt , das waren aus ihrer Sicht Verfechter des Multikulturalismus. Unter solchen Bedingungen mussten sich die Leute aus der DIY-Szene organisieren und zurückschlagen, um zu überleben, aber die progressive Aktivistenszene in Russland und den GUS-Staaten war immer vergleichsweise klein und der extremen Rechten unterlegen. Gleichzeitig schien sich die Polizei nicht wirklich um die Bedrohung durch die Nazis zu kümmern und setzte lieber ihre Gegner unter Druck. Vor einigen Jahren endeten die meisten Auftritte mit einem versuchten Neonazi-Angriff oder mit einer Polizeirazzia und Verhaftungen. In den letzten Jahren ist das Ausmaß der Gewalt jedoch stark zurückgegangen und heute werden dunkelhäutige Menschen und Vertreter der Minderheiten nicht mehr auf der Straße angegriffen wie in den 90er Jahren. Zu den Shows zu gehen wird sicherer und Kids, die neu in der Szene sind, können manchmal nicht glauben, wie gefährlich es damals war. Einige sagen, dass es ein Sieg der antifaschistischen Aktivisten ist. Manche glauben, dass die Behörden das Ausmaß der Bedrohung durch dieRechten erkannt haben. Wie auch immer, diese Bedrohung war damals zu groß, um jetzt zu glauben, dass sie für immer vorbei ist. Die aktuellen Beispiele aus Europa und den USA zeigen, dass die menschenfeindlichen und diskriminierenden Ideen eine ungesunde Hartnäckigkeit haben.

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VICE-Video: "Aufstand der Rechten: Unterwegs bei Europas größtem Nationalisten-Treffen"


Was steht ihr zu dem Gedanken, "stolz auf das Land zu sein, in dem man geboren wurde"?
Boltcutter Vlad: Es scheint, dass es für Menschen selbstverständlich ist, den Ort zu lieben, an dem man geboren oder aufgewachsen ist, mit dem man sich durch Erinnerungen und Emotionen verbunden fühlt. Aber der sogenannte Stolz auf das eigene Land wird dann eigentlich nur benutzt, um die imaginäre Überlegenheit der eigenen Nation, ethnischen oder religiösen Gruppe auszudrücken. Es ist auch ein Lieblingsinstrument der militärischen Propaganda. Die Leute erwähnen gerne die "glorreiche Vergangenheit" ihres Landes, aber selbst ein kurzer Blick auf die Geschichte reicht aus, um zu sagen, dass die Vergangenheit meist Verrat, Völkermord, Unterdrückung und andere Gräueltaten beinhaltet. Normalerweise ist der Triumph einer Seite für die andere Seite eine blutige Tragödie. Die wahren Siege über das Böse – wie die Niederlage des Faschismus im Zweiten Weltkrieg – haben einfache Leuten erreicht, die in Gräben, auf dem Meer und im Himmel starben, um das Monster aufzuhalten, und nicht Regierungen, Politiker oder Fahnen schwenkende Propagandisten.

Es war schon immer unser Ziel, mit der Moscow Death Brigade Menschen aus verschiedenen Orten, Kulturen und Hintergründen zusammenzubringen, und das haben wir erreicht. Auf unseren Shows sehen wir Menschen aus vielen Teilen der Welt, aus verschiedenen Subkulturen wie HipHop, Punkrock, Graffiti und Rave. Alle moshen und tanzen zusammen zu unseren Songs. Es ist ein großartiges Gefühl, sehr unterschiedliche Menschen zu sehen, die eine gute Zeit miteinander verbringen. A real brother- and sisterhood.

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Ich habe gesehen, dass ihr mit der deutschen Band Feine Sahne Fischfilet befreundet seid, was angesichts eurer ähnlichen Einstellung ja auch nicht verwundert. Wie kam die Connection zustande?
Boltcutter Vlad: Monchi und die Band sind unsere langjährigen Freunde. Unsere Kumpels haben vor einigen Jahren einen Auftritt in Moskau für sie organisiert, seitdem stehen wir in Kontakt. Sie sind großartige Leute, die zu ihrem Wort stehen. Es ist wirklich schön, dass sie, während sie zu einer so populären Band werden, ihren Idealen treu bleiben, die antifaschistische Bewegung unterstützen und Intoleranz auf vielen Ebenen bekämpfen. Wir haben viele Shows und Festivals zusammen gespielt und Teile unserer Touren haben sich in der Vergangenheit überschnitten. Wir freuen uns sehr, dass wir auf der bevorstehenden Tour die Bühne zweimal mit den Jungs teilen werden, in München (16. Februar) und in Wiesbaden (17. Februar). Wir haben auch eine Benefiz-EP auf Audiolith Records mit ihnen gemacht. Unterstützt die Jungs und holt euch ihr neues Album Sturm & Dreck!



Wenn man sich die Welt anschaut, gibt es so viele, nennen wir es "Krankheiten", und wenn man versucht, etwas zu verändern, gibt es immer jemanden, der sagt, eine andere Sache wäre viel wichtiger. Wo sollten wir anfangen? Armut? Sexismus? Rassismus?
Boltcutter Vlad: Wie wir bereits sagten, sind wir nur ein Haufen Kids, die Musik spielen, also werden wir nicht riskieren, irgendwelche Lösungen für die Krankheiten der Welt vorzuschlagen. Aber wir versuchen zumindest, etwas zu tun, wenn wir können. Uns gegen Diskriminierung zu stellen, Benefizkonzerte zu spielen, für Bedürftige Geld zu sammeln … Wie der amerikanische Schriftsteller Ray Bradbury schrieb: "Don't look to be saved in any one thing or person (…) Do your own bit of saving, and if you drown, at least die knowing you were headed for shore."
Ski Mask G: Es gibt viele Probleme in der Welt und wir wissen nicht, welches davon gruseliger ist, also versuchen wir, etwas zu verändern, indem wir an allen Ecken anpacken. Wir spielen keine Samariter, unsere Absichten sind ziemlich rational: Wir versuchen nur die Welt ein wenig so zu verändern, wie wir es sehen wollen. Zum Beispiel war eine unserer letzten EPs ein Gemeinschaftsprojekt mit Feine Sahne Fischfilet, Los Fastidios und der russischen Hardcore-Band What We Feel, mit Unterstützung vom True Rebel Store und Lonsdale Deutschland, bei denen alle Gewinne an die Familien der Opfer von Neonazis in Russland gingen. Im Moment arbeiten wir mit True Rebel an einer Charity, um einer afrikanischen Frauenrechtsorganisationen zu helfen. Das planen wir schon, seit wir unseren Track "Rude Girl Warrior" von dem neuen Album entwickelt haben. Es gibt viele unterschiedliche Gründe, aus denen wir etwas machen. Aber wir hatten das Gefühl, wir könnten unsere kleinen Beiträge leisten, also haben wir es getan.

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Hattet ihr auf Grund der Ausrichtung eurer Texte schon Probleme mit der Staatsmacht?
Boltcutter Vlad: Nun, ich denke nicht, dass unsere Texte irgendeine illegale Botschaft enthalten. In unseren Liedern äußern wir uns oft gegen jegliche Form von Gewalt und Diskriminierung wie Rassismus, Sexismus, Homophobie und für Einheit und gegenseitige Unterstützung. Wir hatten Probleme mit der Polizei, die die Independent-Szene und die progressiven Ideen nicht so gut fand und oft Gigs abbrach, aber das war eigentlich Alltag für alle in der DIY-Szene. Wir begannen als Teil dieser Szene, als sie in Russland ziemlich klein war. Die meisten Veranstaltungsorte und Promoter wollten nicht mit Underground-Bands arbeiten, also organisierten wir oft selbst Auftritte an den verrücktesten Orten – in Kellern, verlassenen Gebäuden, Wäldern, bei Demonstrationen und einmal sogar in einem Pendlerzug. Wir und unsere Freunde sorgten früher für uns selbst. Wir patrouillierten in der Gegend und stellten sicher, dass alle Menschen heile zur Show kamen. Es war eine gängige Taktik der Neonazis, einzelne Kids oder kleine Gruppen auf dem Weg zum Konzert mit Messern, Flaschen und Gummigeschossen zu attackieren.

Es ist wichtig zu erwähnen, dass wir uns niemals als politische Band betrachten, auch nicht als Kämpfer für Gerechtigkeit, harte Kerle oder Prediger einer absoluten Wahrheit. Unser Hauptziel war und ist es, Musik zu machen. Aber seit wir die Angriffe auf dunkelhäutige Menschen gesehen haben, auf die Mitglieder der DIY-Szene, hatten wir keine andere Wahl, als uns gegen Gewalt und Diskriminierung zu äußern. Wir wurden auch von zahlreichen Bands und ihren positiven Botschaften beeinflusst, mit denen wir aufgewachsen sind: Napalm Death, Dead Kennedys, Propagandhi, Warzone, Atari Teenage Riot, Public Enemy. Wir glauben, dass humanistische, antidiskriminierende Ansichten für alle mit einem gesunden Menschenverstand natürlich sind – dazu muss man nicht Teil einer politischen Bewegung sein, die sich gegen hetzerische Propaganda und Gewalt stellt.

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Folgt Amadeus bei Twitter: @ama302

Moscow Death Brigade gehen 2018 auf Tour. Hier die Dates:

06.02 Poznan (PL) / Pod Minoga
07.02 Rostock (D) / JAZ
08.02 Dresden (D) / Chemiefabrik
09.02 Saalfeld (D) / Klubhaus
10.02 Wurzburg (D) / Immerhin
11.02 Zurich (CH) / Dynamo
12.02 Basel (CH) / Hirscheneck
13.02 Bern (CH) / ISC
14.02 Nurnberg (D) / Kunstverein
15.02 Grafing (D) / JIG
16.02 München (D) / TONHALLE*
17.02 WIESBADEN (d) / SCHLACHTHof*
18.02 Aachen (D) / AZ
19.02 Muelheim (D) / AZ
20.02 Bonn (D) / N8lounge
21.02 Osnabruck (D) / JZ
22.02 Hamburg (D) / Monkeys
23.02 Berlin (D) / SO36**
24.02 Kiel (D) / Alte Meierei**

* Mit Feine Sahne Fischefillet
** Mit With What We Feel

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