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‘Blade Runner 2049’ stellt die Fragen, die wir uns alle über Künstliche Intelligenz stellen müssen

Dieser Text enthält viele Spoiler zu ‘Blade Runner 2049’.

Was ist Liebe? Werden wir durch unsere Erinnerungen definiert? Was macht den Menschen zum Menschen? Diese grundsätzlichen Fragen über den Unterschied zwischen Mensch und Maschine standen schon 1982 im Science-Fiction-Film Blade Runner im Zentrum. Die gerade erschienene Fortsetzung Blade Runner 2049 greift diese Thematik wieder auf – aber diesmal bietet sie sogar Antworten.

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Im Original von 1982 jagt die Hauptfigur Deckard in einem dystopischen Los Angeles der Zukunft abtrünnige androide Roboter, die Replikanten. Einen nach dem anderen tötet er – trotzdem beweist ihr androider Anführer am Ende seine Menschlichkeit, indem er das Leben seines Angreifers verschont. Deckard wiederum zeigt seine Menschlichkeit, indem er die Replikantin Rachael rettet.

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In Blade Runner soll der Zuschauer langsam erkennen, dass Replikanten menschlich sind – vielleicht sogar “menschlicher als der Mensch”, wie das Motto des Replikanten-Herstellers im Film lautet. Diese künstlichen Lebewesen zeigen Empathie und hängen an Erinnerungen, genau wie der Mensch. Ihre Erinnerungen sind zwar implantiert, aber deswegen nicht weniger wert als unsere. Stirbt ein Replikant, gehen diese Erinnerungen “wie Tränen im Regen” verloren, das erklärt uns der Film.

In Blade Runner 2049 wird die Frage, welche Unterschiede es zwischen biologischem und künstlichen Leben, natürlicher und künstlicher Intelligenz gibt, noch deutlicher in den Vordergrund gestellt. Schließlich sind wir heute nur noch zwei Jahre von der Zukunft, 2019, entfernt, die im Originalfilm Blade Runner dargestellt wird. Der neue Film zwingt seine Zuschauer, sich mit ethischen Fragen zu Künstlicher Intelligenz und der Versklavung von Robotern auseinandersetzen, die wir bald schon in der Realität erschaffen könnten.

Bis heute ist es offen, ob die Hauptfigur aus Blade Runner, Deckard, Mensch oder Replikant ist. Der Hauptdarsteller Harrison Ford und die Drehbuchschreiber beharren darauf, dass er kein Replikant ist. Der Regisseur Ridley Scott hingegen besteht darauf, dass Deckard selbst eine Maschine ist und hat den Film mehrfach neu geschnitten, um seinen Standpunkt durch zusätzliche Szenen zu unterstreichen.

Protagonist K wird nicht als menschlich betrachtet, obwohl er blutet, liebt und sich an Dinge erinnert – selbst wenn ihm diese Erinnerungen nur eingepflanzt wurden.

Ich persönlich finde, dass der Film an Wert verlieren würde, wenn Deckard wirklich ein Replikant wäre. Er muss ein Mensch sein, da seine Beziehung zu den Replikanten durch seine Menschlichkeit geprägt wird. Die Tatsachen, dass Replikantenanführer Roy Batty ihn am Ende rettet und Deckard sich dafür entscheidet, sein Leben für Rachaels Liebe über den Haufen zu werfen, haben für mich weniger Gewicht, wenn er ein Replikant wäre. Denn dann wäre es zu einfach, Battys Rettungsaktion und Rachaels Liebe als Solidarität innerhalb einer Art abzutun. Außerdem lenkt die Kontroverse um Deckards Status von dem Hauptthema des Films ab: Ob wir biologischen oder künstlichen Ursprungs sind, bestimmt nicht darüber, wie menschlich wir uns verhalten.

Der Protagonist aus Blade Runner 2049 kommt ganz ohne dieses Mysterium aus. Nach 15 Minuten ist für die Zuschauer völlig klar, dass Officer K, gespielt von Ryan Gosling, ein Replikant ist. Da er außerdem ein Blade Runner ist, macht er Jagd auf andere Androiden. K gehört zu einer neuen Modellreihe, die nicht lügen oder sich gegen seine Schöpfer auflehnen kann. Kurzum: Er ist der perfekte Sklave.

Es ist wichtig, dass der Zuschauer diese Informationen von Anfang an hat. Denn so müssen wir uns damit auseinandersetzen, wie diese Welt mit K, und im weiteren Sinne mit allen intelligenten Maschinen, umgeht. Er wird nicht als menschlich betrachtet, obwohl er blutet, liebt und sich an Dinge erinnert – selbst wenn ihm diese Erinnerungen nur eingepflanzt wurden. K hat Bedürfnisse und führt eine Beziehung zu einer holografischen Partnerin, besitzt aber weder einen eigenen Namen noch seine Freiheit. Doch damit hat er sich abgefunden.


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Zum Anfang des Films entdeckt K Rachaels Überreste und eine Autopsie ergibt, dass sie während einer Entbindung starb. Diese Entdeckung ist eine Sensation, denn bisher nahm man an, dass Replikanten unfruchtbar seien. Ks Vorgesetzte schicken ihn los, um das Kind zu finden und zu eliminieren. Der Replikanten-Hersteller Wallace hingegen möchte das Kind erforschen und mit ihm eine Massenproduktion unterwürfiger Sklaven starten. Eine Untergrundgruppe rebellischer Replikanten wiederum sieht das Kind als Bestätigung, dass sie auch unabhängig von ihren menschlichen Schöpfern existieren können. Denn die Existenz des Kindes würde beweisen, dass sie nicht nur künstlich geschaffen, sondern auch geboren werden können.

Am Ende von “Blade Runner 2049” gibt es keine Tränen im Regen, sondern Blut im Schnee.

Im Laufe der fast dreistündigen Suche nach dem Replikanten-Kind wird nicht ein einziger Dialogschnipsel verschwendet, um das Profil der komplexen Charaktere zu schärfen. Mit jeder beiläufigen Bemerkung, jeder noch so kleinen Szene geht es im Endeffekt um die zentrale Frage des Films: Was bedeutet es, ein Mensch zu sein? Für die Replikanten bedeutet es, sich für eine größere Sache zu opfern. Die meisten Charaktere in diesem Film – sowohl Menschen als auch Replikanten – sterben bis zum Abspann. Ihre Todesarten definieren die Menschlichkeit ihrer Charaktere jedoch viel genauer als die Frage, ob ihre Gene künstlich oder biologisch waren.

Blade Runner 2049 schafft es, die faszinierende Welt aus dem Original um komplexe Charaktere zu erweitern und dabei noch relevante ethische und moralische Fragen zu stellen.

Teilweise beantwortet das Sequel auch Fragen, die 1982 nur angeschnitten wurden. Was ist Liebe? Die Verbindung zwischen zwei Personen, selbst wenn diese Personen Replikanten oder Chatbots sind. Werden wir durch unsere Erinnerungen definiert? Ja, selbst wenn diese Erinnerungen von jemand anders stammen, gehören sie immer noch dir. Denn du kannst sie immer noch fühlen.

Am Ende von Blade Runner 2049 bleiben keine Tränen im Regen zurück, sondern Blut im Schnee – und die letzte Bestätigung, dass Replikanten eben auch nur Personen sind, die versuchen, sich in einer harten Welt zurecht zu finden.