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Das Mysterium von vier verschollenen Teenagern sucht gerade Watch Dogs-Spieler heim

Das kommt dabei heraus, wenn sich Videospielentwickler einen Spaß erlauben.

Vier vermisste Jugendliche, nichts allzu Aufsehenerregendes also im sonnenverwöhnten San Francisco. Die kurze Radiomeldung ist leicht zu verpassen und noch leichter zu ignorieren; die übliche Kaskade verschiedener Hiobsbotschaften in einer US-amerikanischen Großstadt eben, wie sie täglich durch den Äther rauscht. Nur wenige aufmerksame Watch-Dogs-2-Spieler nahmen von ihr Notiz – und traten damit ein Rätselraten los, das inzwischen eine ganze Community beschäftigt: Das Gaming-Mysterium der Shuffle Hunters.

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Das Mysterium der Shuffle Hunters beginnt mit einer knappen Botschaft: „Noch immer sucht die Polizei nach vier vermissten Teenagern, von denen seit 48 Stunden jede Spur fehlt. Die in solch einem Fall üblichen Ermittlungen werden jedoch durch die Verstrickung der Jugendlichen in eine virale Internetserie verkompliziert."

Mit dem Verschwinden der kleinen Gruppe hat der Watch-Dog-Entwickler Ubisoft eines der elaboriertesten Gaming-Mysterien erschaffen, das von Studio-Seite selbst befeuert wird. Gleichzeitig ist die digitale Schnitzeljagd auch ein ordentlicher PR-Stunt für die zweite Erweiterung des Open-World-Spiels mit starken Hacker-Bezügen, die am 21. Februar erschienen ist. „Menschliche Bedingungen"  („Human Conditions" im Original) heißt der DLC, und in eben jener Erweiterung des Spiels soll schließlich auch die Lösung stecken, wie die Rätsel-Community nach mehreren Tagen intensiver Suche inzwischen vermutet.

Doch so weit sind wir noch lange nicht.

Begonnen hat das Shuffle-Hunters-Mysterium damit, dass zahlreichen Gamern die Radioübertragung und das Tuscheln einiger Passanten im Spiel auffielen. Einige wurden daraufhin misstrauisch – und weihten unzählige weitere in ihre Entdeckung ein. Schnell ranken sich Spekulationen um das Thema: Binnen eines Tages schossen Diskussions-Threads wie Pilze aus dem Boden; im offiziellen Watch-Dogs-Forum debattierten Neugierige ebenso wie in einem eigens eingerichteten Discord-Chatroom oder auf Reddit.

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Das Vorspiel

Bereits vergangenes Jahr, einige Monate vor der Veröffentlichung von Watch Dogs 2, wartete Ubisoft mit einem Rätsel auf. Schon damals wählte das Studio einen geradezu subversiven Marketing-Weg, streute verschiedene Hinweise – erst in Marketing-Material während einer Spielemesse, später auf Youtube sowie auf geheimen Webseiten – und verwob diese in einem engmaschigen Mediennetz zu einem „Alternate Reality Game" (kurz ARG).

Eine Erinnerung, die sich tief ins kollektiven Gamer-Gedächtnis brannte. Sie dürfte Spieler im Allgemeinen und Watch-Dogs-Fans im Speziellen für das sensibilisiert haben, was Ubisoft jetzt mit dem eigentlich unscheinbaren Patch 1.11 heimlich auf ihre Festplatten einschleuste.

Blutrote Graffitis und blauer Cipher-Text

Seit dem 15. Februar sind in der der Spielwelt nun vier verstreute, blutrote Graffiti-Schmierereien mit diabolischem Grinsen zu finden. Schnell wird klar: Jedes verbirgt ein anderes Geheimnisse. Instinktiv zückten Gamer – Ubisoft kennt seine Pappenheimer – ihre spielinternen Fotohandys, #selfietime #picoftheday. Statt Likes führten die Fotos jedoch zu kruden Audionachrichten (etwa der einer von Wahnvorstellungen geplagten Frau, die den Stimmen in ihrem Kopf mit bis zum Anschlag in die Ohren gerammte Wattestäbchen Herr werden wollte) und den erbaulichen Hinweisfetzen „??can?", „?anyone??", ??hear?", „?me??". Halleluja. Ein weiterer Fingerzeig offenbarte sich, sobald Spieler die sogenannte „NetHack"-Sicht von Protagonist Marcus Holloway aktivierten. Zeigt diese für gewöhnlich lediglich zu hackende Objekte in der näheren Umgebung, verwandelte sich das jeweilige Graffito durch die Schwarzlicht-ähnliche Bestrahlung in blaue Ciphern.

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Bild: Youtube-User Moesaurus Als entscheidender für die tröpfchenweise Lösung dieses Mysteriums sollten sich jedoch die roten Ciphern (den jüngsten Call-of-Duty-Rätseln nicht ganz unähnlich) unterhalb der jeweiligen Graffiti erweisen. Diese zu dechiffrieren stellte die Community erstmals vor ernsthaftere Probleme und brachte diverse Lösungsansätze hervor. Lange Zeit der vielversprechendste: versteckte Hinweise im Quellcode des Hacker-Abenteuers, die dessen Spieler selbst zu Codern machte (Metaebenen, wie gesagt). Nach einer Handvoll zweideutiger Anspielungen und dem Hinweis, dass die Symbole als „Glyphen" bezeichnen werden, endete dieses Projekt jedoch schließlich in eine Sackgasse und wurde kurz darauf wieder fallengelassen. Die theoretische Lösung: Wenn aus Strahlen Zahlen werden Der tatsächliche Durchbruch gelang kurz darauf mit dem Fund eines unscheinbaren Zettels im Unterschlupf des Spielcharakters Josh (oder auch „Hawt Sauce", wie ihn seine Freunde in dieser bis zur Unkenntlichkeit überdrehten Welt nennen). Er hatte den Code geknackt und damit, wortwörtlich, das Portal in einer andere Welt aufgestoßen.

Bild: Discord-Chat

Die roten Zeichen waren entschlüsselt und gaben schließlich die Namen der Vermissten preis, womit auch die Audionachrichten endlich konkreten Personen zuzuordnen waren: Seema, Benny, Richard und Aili. Vor allem aber ergaben nun die blauen Cipher einen Sinn. Statt, wie bislang vermutet, Buchstaben entsprechen sie den Zahlen von Null bis Neun. Was die Zahlen jedoch konkret bedeuten, war damit noch nicht entschlüsselt. Es brauchte einige Theorien sowie die Kombination zweier verschiedener um zu erkennen, dass es sich hierbei um Uhrzeiten handelt. Tatsächlich ergab die Kombination der Zahlen bei allen Spielern, die es versucht haben, eine Ziffernfolge zwischen 00:00 und 23:59.

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Was ist mit dem Geheimwissen anzufangen?

Soweit zur Theorie; in der Praxis konnte die Watch-Dogs-Gemeinschaft bisher eher wenig mit den verschiedenen Uhrzeiten anfangen – und das dürfte ziemlich genau Ubisofts Plan entsprechen. Die Franzosen haben sehr genau beobachtet, welche Theorien zuletzt durchs Internet flogen. Konkreter: Seit Beginn der „Shuffler"-Falls hatten sie selbst ihre Finger innerhalb der Rätsel-Community im Spiel, haben genauso oft entscheidende Hinweise wie irreführende Pseudo-Tipps gestreut.

Als Watch-Dogs-Charakter Wrench etwa posteten Ubisoft-Mitarbeiter mehr oder minder hilfreiche Nachrichten im hauseigenen Forum, in denen sie die auf verschiedenen Plattformen geäußerten Überlegungen der Fans aufgriffen. Ungleich kryptischer: Das eigens eingerichtete Blog von Sitara, ebenfalls eine Hackerin aus dem Spiel, ebenfalls ein mit Hingabe zelebrierter Bruch der vierten Wand. Bereits frühere Einträge enthielten wertvolle Informationen, etwa die nach der Position der vier versteckten Graffiti.

Ubisoft spielt das Spiel mit

Primär aus diesen Quellen heraus speisten sich in den vergangenen Tagen dutzende halbgare Spekulationen, während Ubisoft an der Seitenlinie stand und das Spektakel genüsslich beobachtete. So haben einige Hobby-Hacker die Patch.dat-Datei des Spiels durch einen Hex-Editor gejagt und sind dabei, natürlich, auf krude Hinweise gestoßen. Öffnet sich um die aus den blauen Ciphern errechnete Uhrzeit etwa ein Portal? In eine ähnliche Richtung geht ein Hinweis, den Redditor INinja_DragonI aus Sitaras Blog entnommen haben will (und der später wiederum in einem von Wrenchs Postings aufgegriffen wurde): Er vermutet, bei der Nachricht „??can?" – ?anyone??" – ??hear?" – „?me??" handele es sich um einen Hilferuf des vermissten Shuffler-Hunter-Mitglieds Benny – aus einer anderen Dimension. Stranger Things, anyone?

Verlockende Gedankenspiele, mehr bislang allerdings nicht. Das heißt: bis heute, womit wir beim vorläufigen Ende dieser Schnitzeljagd wären.

Bild: Watch-Dogs-Spieler „Clock" und „ne0teric"

Die neueste Fährte ist nun sphärisches Rauschen; eigentlich eine wenig aufschlussreiche Spur, auf die da in einem neuen Blogeintrag verlinkt wird. Das ändert sich jedoch, sobald die Datei in einem Audioprogramm geöffnet wird: Eine Folge der bekannten Cipher erscheint, die nach kurzer Übersetzungsarbeit die Nachricht „I can't com3 back – I can't bring it through – benny" enthüllt und der Community seither einiges an Kopfzerbrechen bereitet und, so denn Ubisoft will, die Gamer auch noch eine ganze Zeitlang beschäftigen dürfte.