Die Falafel-Fehde von Paris

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Die Falafel-Fehde von Paris

Mitten im Pariser Stadtviertel Marais wird in aller Öffentlichkeit eine unerbittliche Falafel-Fehde darüber ausgetragen, wo es die besten Falafeln in ganz Paris—oder sogar der Welt—gibt: Beim As du Fallafel oder beim Mi-Va-Mi?

Mitten im Pariser Stadtviertel Marais wird in aller Öffentlichkeit ein unerbittlicher Falafel-Krieg darüber ausgetragen, wo es die besten Falafeln in ganz Paris—oder sogar der Welt—gibt: Beim As du Fallafel oder beim Mi-Va-Mi? Nach 20 Jahren neigt sich der Konflikt in der Rue des Rosiers dem Ende.

Das jüdische Viertel von Paris erstreckt sich von der Rue Pavée bis zur Rue Vieille du Temple über die Rue des Rosiers: Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden hier über 100.000 aschkenasische Juden Zuflucht. Und genau hier hält die jüdische Gemeinde von Paris ihre kulinarischen Traditionen am Leben.

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„Oft kopiert, doch nie erreicht" steht über dem As du Fallafel. Alle Fotos von der Autorin

Es ist eine vollkommen andere Welt: Neben religiösen Büchereien gibt es traditionelle Bäckereien wie Korcarz, die die Straße jeden Freitag mit dem Duft nach frischem Schabbat-Brot erfüllen. Atheisten treffen auf Chabad-Chassidim, die den jungen Leuten Tefillin, die traditionellen Riemen für das Morgengebet, anlegen. Und mittendrin gibt es für alle Hungrigen koschere Restaurants, die israelische, polnische oder tunesische Küche servieren. Essen mit Geschichte. Touristen aus der ganzen Welt kommen hierher, aber auch Pariser Juden, die hier ihre Stammplätze verteidigen.

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Das Falafel-Sandwich vom As du Fallafel

In der Rue des Rosiers gibt es allein vier Restaurants, die sich um die „Exklusivrechte" eines ziemlich bekannten Gerichts streiten: Falafel. An der Ecke zur Rue des Écouffes wird dieser Kampf um das beste Kichererbsenbällchen des Landes mit harten Bandagen ausgetragen. Wenn hier jemand ohne ein Falafel-Sandwich in der Hand vorbeischlendert, ist er ein potenzieller hungriger Kunde: Er war noch nicht bei Chez Hannah in der Nr. 54 und auch nicht bei King Fallafel Palace in der Nummer 26. Jetzt bleiben ihm noch zwei Möglichkeiten, seinen Magen zu füllen: das As du Fallafel oder das Mi-Va-Mi. Hungrigen Kunden bleibt keine andere Wahl, als sich von den Verkäufern der beiden Geschäften überreden zu lassen, die ihre Ware lauthals feilbieten. Sie werden quasi zu Falafel-Geiseln.

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Schawarma-Spieße drehen auf Hochtouren

Im Nahen Osten sind Falafeln ein Grundnahrungsmittel und auch das Street Food schlechthin im Libanon oder in Israel. Der Ursprung der kleinen Klopse ist umstritten, aber das Rezept ist in jedem Land fast gleich: Eine Falafel besteht aus Kichererbsen, Knoblauch, Zwiebeln und verschiedenen Gewürzen. Über die perfekte Falafel entscheidet das Frittieren: Wenn das Fett zu heiß ist, werden die Falafeln außen dunkelbraun und innen nicht richtig durch. Im Libanon isst man dazu eine Joghurtsauce, in Israel Tahina, Sesammus. Die ägyptischen Falafeln werden nicht aus Kichererbsen, sondern aus dicken Bohnen gemacht. Jede Nation behauptet von sich, die Falafel erfunden zu haben. Für die jüdische Gemeinschaft in Paris gehören die kleinen Bällchen fest zur kulinarischen Kultur.

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Im As du Fallafel

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Das As du Fallafel wurde von Isaac Peretz gegründet, einem russischen Juden, der aus Jaffa bei Tel Aviv stammt, und sich 1979 entschlossen hat, gemeinsam mit seiner französischen Frau Daisy, wegen der er nach Paris gekommen ist, ein israelisches Lebensmittelgeschäft zu eröffnen. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten und Isaac wollte die Landesspezialität importieren: Falafel. 20 Jahre lang waren Isaac und Daisy König und Königin der Kichererbsenbällchen. Sie haben peu à peu ihr Geschäft erweitert, hier und da ein paar weitere Tische aufgestellt, die ganze Familie hat mitgeholfen. 1998 brach dann der Krieg aus: ein anderer Russe, ebenfalls aus Jaffa, eröffnete ein Falafel-Bistro, das Mi-Va-Mi, direkt gegenüber—eine Konkurrenz nicht nur auf geschäftlicher, sondern damit auch auf persönlicher Ebene. Der Grundstein für den Konflikt war gelegt.

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Das Mi-Va-Mi von außen

Martine leitet das Mi-Va-Mi. Sie hasst es, dass sich die beiden Läden so öffentlich bekriegen. Bevor sie Geschäftsführerin im Mi-Va-Mi war, hatte sie ein Teebistro im 6. Arrondissement. „Es ist schlimm hier. Es gibt richtige Clans für jeden Falafel-Imbiss, wie auf dem Schulhof." Es ist ein offenes Geheimnis, dass den Leuten vom As du Fallafel ihre Konkurrenz nicht schmeckt. Um die besser loszuwerden, haben sie das Gebäude, in dem sich das Mi-Va-Mi befindet, gekauft. Früher gehörte es Jo Goldenberg, dem ein anderes Restaurant in der Straße gehörte, das durch ein Attentat 1982 zu tragischer Berühmtheit kam. „Zehn Jahre lang wollte ich es zurückzukaufen", erzählt Martine, „und dieser blöde Goldenberg hat es an das As verkauft." Sie ist sichtbar wütend. Für die Leute vom As du Fallafel steht die Entscheidung fest: „Der Pachtvertrag endet Juli 2016 und wir werden ihn nicht verlängern."

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Das Falafel-Sandwich im Mi-Va-Mi

Um die Kunden ins As du Fallafel zu locken, zeigen sie sich erfindungsreich. Auf der einen Seite nimmt einer die Bestellungen auf, die zum Mitnehmen sind, kassiert ab und verteilt die Nummern, mit denen sich die Kunden das Essen an der Theke holen. Dann gibt es zwei „Marktschreier", die die Kunden direkt von der Straße ins Geschäft locken sollen: „Esst die besten Falafeln im ganzen Viertel!" John ist seit mehreren Jahren Kellner im As und erzählt, dass das zur Geschichte des Imbisses gehört: „Eigentlich brauchen wir das nicht, aber die Leute kommen auch gerade deshalb, denn so hat Isaac damals seine ersten Kunden bekommen. Eine Tradition, die geblieben ist."

Gegenüber bei Mi-Va-Mi ist man etwas bescheidener und zurückhaltender. Es ist schwer, der Konkurrenz die Stirn zu bieten: „Ich habe einige Stammkunden hier aus dem Viertel, Juden, die nicht so streng religiös sind. Ich muss meine Ware nicht auf der Straße anpreisen, mein Laden ist auch so voll", meint Martine. Aber John, der Kellner vom As du Fallafel, besteht darauf: Das As hat niemals Werbung gemacht oder eine Anzeige geschaltet, alles läuft über Mundpropaganda. Lenny Kravitz ist ein treuer Kunde und ein Freund der Familie. An der Wand hängen Fotos des Rockstars und an der Eingangstürsteht „Recommanded by Lenny Kravitz". Im Laden sitzen ein koreanisches Pärchen, religiöse Juden, ein paar Leute aus Tahiti und ein paar Japaner, die ein Selfie mit ihrem Falafel-Sandwich machen. Kein Wunder, dass das Lokal auch in berühmten französischen Reiseführern zu finden ist.

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Der Fleischspieß im Mi-Va-Mi

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Eigentlich geht es doch nur ums Essen. Und das ist auch der Grund des Konfliktes: Beide haben die gleiche Karte und bei beiden verkauft sich das Falafel-Sandwich am besten: Pita wird mit Salat, drei oder vier Kichererbsenbällchen und gegrillten Auberginen gefüllt, darüber kommt ein ordentlicher Klecks Hummus oder Tahina. Ansonsten gibt es noch gegrilltes Fleisch, Hühnerschnitzel und Schawarma.

Beide Restaurants bieten die berühmte israelische Limonade limonana an. Aber wer macht nun die besseren Falafeln? Das ist es doch, was alle brennend interessiert. Für John vom As du Fallafel ist die Antwort ganz klar: „Sonntags verkaufen wir 10.000 Sandwiches, also sind wir offensichtlich die Besten hier in der Straße—und sogar auf der Welt." Auf der anderen Straßenseite ist die Antwort ähnlich: „Sie sind nur sauer, weil unsere besser sind und sie nichts dagegen machen können", meint Martine lachend.

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Im As du Fallafel herrscht plötzlich Aufregung: Die Frau, die für den Lieferservice zuständig ist, nimmt John kurz beiseite. „Kannst du mal kurz kommen? Irgendeine Frau erzählt den Kunden, unser Essen sei nicht koscher." Im Eingang steht tatsächlich eine 50-jährige Dame, die Beweise sehen will, woher das Fleisch kommt. Ohne es zu wissen, hat sie damit den Finger in die Wunde gelegt: Vor ein paar Jahren noch hing bei beiden Geschäften ein rotes Schild im Fenster, ein Zertifikat des Pariser Dachverbandes der jüdischen Vereinigungen, das bestätigt, dass es sich um ein koscheres Restaurant handelt. Aber ein böses Gerücht hat den Ruf des Mi-Va-Mi beschmutzt: Das As du Fallafel hat die Herkunft des Fleisches der Konkurrenz angezweifelt. Damit hat Martine ihr Zertifikat verloren und auch ihre jüdische Kundschaft—während gegenüber noch stolz das Schild im Laden hängt. Martine hat es nur schwer verkraftet, dass sich ein ganzes Viertel von ihr abgewandt hat: „Sie haben mir alle den Rücken zugekehrt, sie sagen nicht einmal mehr Hallo auf der Straße, das sind die schlimmsten Leute."

Gegenüber im As du Fallafel erwähnt niemand diese Geschichte, man weicht eher aus: „Wir haben überhaupt kein Problem mit dem Mi-Va-Mi", meint John zum Schluss mit einem Lächeln. Damit ist die Sache gegessen.

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf Französisch bei MUNCHIES France.