Wie ein Geflüchteter die syrisch-brandenburgische Küche erfindet
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Berlin

Wie ein Geflüchteter die syrisch-brandenburgische Küche erfindet

Nach seiner Flucht aus Aleppo nach Deutschland arbeitete Hadi Nsreeny zuerst in der IT-Branche. Heute serviert er „syrisch-brandenburgische“ Gerichte im Wolff & Eber in Berlin Schöneberg.

Hadi Nsreeny gibt mir einen Teller mit Rehragout, gebackenen Feigen und Kabsa-Reis, dazu Cashewnüsse, Sultaninen und Tabouleh. Sein Gericht beschreibt er als „syrisch-brandenburgische" Küche.

Hadi war allerdings nicht immer Koch und das hier ist auch nicht nur ein normales Restaurant. Im Wolff & Eber in Berlin gibt es neben Essen auch Veranstaltungen—„Salons" mit Lesungen, Diskussionen, Vorträgen, Musik und Schauspiel. In Syrien hat Hadi als Web Developer gearbeitet.

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„Syrisch-brandenburgische" Gerichte von Hadi Nsreeny im Wolff & Eber in Berlin Schöneberg. Alle Fotos von Lilly Merrick

Alles begann 2015: Hadi floh aus Aleppo nach Deutschland und ergatterte einen IT-Job in München. Aber er fand es frustrierend, den ganzen Tag auf einen Bildschirm zu starren, wo er doch gerade in ein neues Land gekommen ist, die Sprache lernen und neue Menschen kennenlernen wollte.

„Ich wollte kommunizieren, eine neue Sprache lernen, Menschen treffen", erklärt er. „Computer waren einfach nichts mehr für mich."

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Also hat er sich auf den Weg nach Berlin gemacht und dort zuerst bei Über den Tellerrand gearbeitet, einem Kochprojekt, bei dem Geflüchtete und Einheimische gemeinsam kochen lernen. Mit den Einflüssen der Küche seiner syrischen Heimat—Tahina, Chilis, eingelegtem Gemüse—verleiht er klassischen deutschen Gerichten einen neuen, eigenen Anstrich.

„Die Leute waren richtig verrückt nach meiner Kartoffelsuppe mit Kräutern", erinnert er sich.

Er hat ein Talent dafür, nahöstliche und europäische Aromen zu kombinieren, das hat auch das NENI schnell erkannt, das gefeierte Restaurant mit Blick auf den Zoologischen Garten. Hier hat er einige Zeit als Praktikant gearbeitet.

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Der Berliner Verleger und Restaurantbesitzer Robert Eberhardt zusammen mit Koch Hadi Nsreeny

Irgendwann traf er dann den Besitzer des Wolff & Eber und Verleger Robert Eberhardt, der ihn einlud, bei seinen wöchentlichen Salons zu kochen. Bei diesen Veranstaltungen lesen bekannte Autoren aus ihren neuesten Werken, ein bisschen wie ein Buchclub—nur mit besserem Essen und Wein.

„Anfangs sollte nur die Wein- und Käsekarte eine arabische Note bekommen. Daraus wurde dann schnell eine ganze Karte", erzählt Hadi. Nach sieben Jahren als Web Designer, habe ich dann mein eigenes Menü als Chefkoch kreiert und das Personal zusammengestellt."

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Das Wolff & Eber liegt mitten inSchöneberg; hier mischen sich urige deutsche Gaststätten mit orientalischen Restaurants. Als ich um sechs Uhr abends zu Hadis erstem „Salon-Dinner" ankomme, ist das Restaurant schon fast gefüllt. Heute liest Robert von Lucius aus seinem neuesten Buch August Lucius (1815–1900).

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Rotbarsch für die traditionelle deutsche Note

Bei den Gerichten mischt Hadi seinen syrischen Einfluss mit Zutaten aus Thüringen, der Heimat von Robert Eberhardt. Es gibt Baba Ganoush mit Granatapfelkernen („Die findet man überall in der syrischen Küche—überall", meint Hadi.), aber auch typisch deutsche Gerichte wie Karpfen, Rotbarsch und die ein oder andere Bratwurst oder Bouletten—wovon man in Berlin ja reichlich findet. Zum Hummus gibt es ein knuspriges arabisches Fladenbrot, gewürzt mit Kräutern und grobem Meersalz. Und viele Kartoffeln natürlich.

Seinen labneh, eine syrische Variante des Frischkäse, erfüllt ihn mit ganzem Stolz. Dazu lässt er frischen Joghurt fünf Tage lang in einem verschlossenen Glas mit Olivenöl und frischem Rosmarin stehen. Das Ergebnis ist einfach nur göttlich: frisch, cremig und zart duftend.

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Hadis Baby: Labneh, fermentierter Joghurt mit Olivenöl und Rosmarin

„Das ist mein Baby", meint er und nimmt mir vorsichtig das Glas aus der Hand und wiegt es in seinen Armen. „Es ist wie eine Droge, die Gäste können nicht genug davon bekommen. Das hat schnell die Runde gemacht, wie bei meiner Suppe damals. Am Samstag hatten wir schon früh nichts mehr übrig. Wir—also ich—müssen immer schnell neuen Labneh machen. Wenn man ihn vor dem fünften Tag isst, schmeckt er einfach nicht.

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Bei jedem Salon wird Hadi ein neues Menü konzipieren. Bei der Arbeit mit den Zulieferern—darunter auch Wildjäger aus Brandenburg, Freunde von Robert Eberhardt—helfen ihm seine Arabisch-, Englisch-, Französisch- und Deutschkenntnisse. Die Zucchini sollen etwas ganz Besonderes sein, sagt man mir.

„Harte Arbeit wie diese liebe ich einfach. Ich will meine Zukunft selbst gestalten, mein eigener Chef sein", meint Hadi.

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Hummus, Tabouleh, Joghurt und Baba Ganoush mit Granatapfelkernen

Während sich die Gäste hinsetzen, um Robert Von Lucius zu lauschen, finde ich endlich Zeit, mich mit Robert Eberhardt zu unterhalten.

„Probier mal den Augustiner Konvent", empfiehlt er mir und schenkt mir einen niederösterreischen Weißwein vom Weingut Stift Klosterneuburg ein.

„Hast du ein Laster?", frage ich Hadi, als er sich zu uns setzt. Ich frage mich, ob er auch solche Alkoholgelüste wie viele andere junge Chefköche hat. Er lacht und gibt zu, dass gern ein Glas Sekt trinkt, wenn die Küche geschlossen ist und die Gäste mit vollen Mägen und „syrisch-brandenburgischen" Eindrücken durch das nächtliche Schöneberg nach Hause gehen.