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Krebs-Wunderheilung oder Leichtsinn: China testet erstmals CRISPR am Menschen

Niemand weiß ganz genau, was schiefgehen kann: Die revolutionäre und kontroverse Genschere CRISPR/Cas-9 wurde noch nie am lebenden Menschen angewendet. Bis jetzt.
T-Zelle unter dem Rastermikroskop. Bild: Wikimedia Commons

Unter den gespannten Blicken der Weltöffentlichkeit wird in China noch in diesem Monat der weltweit erste CRISPR-Test am lebenden Menschen stattfinden. Wenn alles klappt, soll das revolutionäre Gen-Editierwerkzeug besonders schwere Fälle von Lungenkrebs besiegen helfen—und das aus dem Inneren des Körpers, ohne Chemotherapie oder Bestrahlung.

Mit der erst 2012 patentieren Technik CRISPR/Cas-9 können Wissenschaftler sehr leicht und präzise kleine DNA-Stückchen zum Genmaterial einer Zelle hinzufügen oder löschen. Problematische Ausprägungen können herauseditiert werden oder Gene in ganz bestimmte Richtungen verändert werden. Die „Genschere" ist auf alle Lebewesen anwendbar.

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Hintergrund: Was ist überhaupt CRISPR und warum reden alle so aufgeregt darüber?

An der klinischen Studie werden schwerkranke Menschen teilnehmen. Bei ihnen schlagen herkömmliche Behandlungen für Lungenkrebs nicht mehr an und der Krebs hat sich aggressiv ausgebreitet; auch auf andere Körperteile. Der erste Patient soll noch in diesem August behandelt werden. Mit zehn Personen ist die Samplegröße sehr klein und soll vor allem die Sicherheit des Verfahrens bestätigen. Trotzdem passiert Aufregendes in dieser Weltpremiere:

Wie Nature berichtet, möchte ein Onkologen-Team um Lu You am West China Hospital der Sichuan University weiße Blutkörperchen (T-Zellen), die einen Teil der Immunantwort stellen, so umprogrammieren, dass sie selbst Krebszellen zerstören. Dazu muss das Team zuerst—ganz handwerklich—ein Gen beseitigen, das dem Krebs bei der schnellen Ausbreitung hilft.

Für die Probanden geht es zunächst zur Blutabnahme. Aus den T-Zellen aus dem Blut der Lungenkrebspatienten schneiden die Forscher mit CRISPR dann das Gen für ein Molekül namens PD-1 komplett heraus. PD-1 sitzt an der Zellenoberfläche und ist ein Rezeptor für Moleküle von bösartigen Tumoren. Es funktioniert wie eine Art Schleuser für Krebsgene, die dann in die T-Zelle schlüpfen können und diese wichtige Verteidigungszelle sehr effektiv abschalten—dadurch wuchert der Krebs schneller.

Das Verfahren ist so einfach, dass es schon die ersten DIY-Kits für's Heimlabor gibt, mit denen du neue Lebewesen erschaffen kannst

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Es gab schon zuvor an mehreren anderen Instituten auf der Welt Tests mit modifizierten T-Zellen, die erfolgreich verliefen. Doch noch nie hat jemand CRISPR dafür benutzt, sondern sich vielmehr auf einen Virus zur Einschleusung der Sequenzen verlassen. Mit dem Tool CRISPR können die Wissenschaftler außerdem schnell und einfach Befehle in die veränderte Gensequenz hineinschreiben, die die Zelle anweisen, Krebs zu vernichten.

Sobald die T-Zellen fertig bearbeitet sind (und die Wissenschaftler sicher sind, dass sie mit dem PD-1-Gen wirklich nur weggeschnippelt haben, was auch entfernt werden sollte), sollen sich diese in der Petrischale rapide vermehren. Dann werden Ärzte dem Patienten die veränderten T-Zellen wieder ins Blut spritzen. Sie sollten sich nun hoffentlich in eine Krebs-Bekämpfungsmaschine verwandelt haben. Sobald die Zellen wieder im Blut zirkulieren, attackieren und zerstören sie die Krebszellen, weil sie darauf programmiert sind—so zumindest der Plan.

Ein weiterer Plan wie aus einem Science-Fiction-Roman: Schweine sollen dank CRISPR-editierter Zellen zu Organbanken für Menschen werden

Beim Umgang mit der jungen und mächtigen Technologie CRISPR gibt es immer noch Vorbehalte: Niemand weiß, welche Konsequenzen das veränderte Genmaterial im Körper auslösen wird. Manche Medizinethiker fordern daher, die Versuche bei allen Zellen, die direkt für Vererbung zuständig sind, zu verbieten (also zum Beispiel Spermien, Eizellen oder frühe Embryonen auszuschließen). Die in diesem Versuch verwendeten Immunzellen gehören jedoch nicht dazu, sodass die einzigen Menschen, die den Effekt spüren dürften, die schwerkranken Patienten sind.

China gilt als Pionier in Sachen CRISPR-Versuchen: Im vergangenen Jahr bearbeiteten chinesische Forscher erstmals auch menschliche Embryonen mit der CRISPR/Cas-9-Technologie—die Embryonen waren zwar von vornherein nicht lebensfähig, nichtsdestotrotz löste allein die Ankündigung eine enorme medizinethische Kontroverse aus. Auch CRISPR-editierte Affen fristen schon ihr Dasein in chinesischen Laboren.

Es scheint, als fände das neue wissenschaftliche Wettrüsten eben nicht mehr im Weltraum statt, sondern in unseren Körpern: Denn auch in den USA hat ein klinischer Versuch mit CRISPR an der Uni Pennsylvania grünes Licht durch ein Biosicherheits-Panel bekommen. Die dortigen Wissenschaftler haben etwas ganz ähnliches vor: Auch sie möchten Krebspatienten mit CRISPR editierte Immunzellen injizieren.

Für den Weltpremieren-Status ist das jedoch zu spät—durch ein paar regulatorische Hürden, die noch dazwischen kamen, kann der US-Versuch frühestens Ende 2016 beginnen. Chinesische Wissenschaftler werden damit die ersten der Welt sein, die die revolutionäre Gen-Editier-Technolgie CRISPR/Cas-9 am Menschen testen. Und vielleicht auch die ersten Onkologen der Welt, die Sterbenskranke durch eine nicht-invasive Therapie vom Krebs befreien.