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Schöne Dinge, die du ab sofort mit iOS tun kannst—und was das bedeutet

iOS 10 ist das umfassendste Update in der Geschichte von Apple. Was die Neuerung über die Zukunft des Unternehmens und das Verhältnis von Mensch und Gerät verrät.
Bild: imago

Seit Dienstag, dem 13. September steht das neue mobile Apple-Betriebssystem zum Download bereit— der kurzfristige Absturz der Geräte, der den Siegeszug von iOS aufgehalten hat, war nur ein Schluckauf; längst hat iOS 10 Installationsraten erreicht, von denen Android nur träumen kann. Die meisten Nutzer sind sehr zufrieden mit dem neuen mobilen Betriebssystem, das für iPads und für iPhone-Modelle ab 5 und neuer verfügbar ist.

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Dass Apple das Update als „das größte Update, was wir je geschaffen haben" stilisiert, ist kein Wunder—schließlich muss dort jede Neuerung, sei es nun Hardware oder Software, mit einem Paukenschlag angekündigt und mit einer ordentlichen Menge „awesomes" garniert werden. Aber selbst, wer wie viele Kunden enttäuscht von der jüngsten Keynote und dem darin vorgestellten iPhone7 mit Verlier-Mich-Kopfhörerstöpseln war, wird wohl nach kurzer Umgewöhnung zugeben müssen, dass sich ein Update auf das neue Betriebssystem definitiv lohnt. Doch die Integration der neuen Features eröffnet nicht nur für den Nutzer viele neue Möglichkeiten, sondern verrät auch einiges über Apples Strategie—und ihr Geschäftsmodell.

Vorbild Snapchat: Messaging muss Spaß machen

iMessage wird zum Alleskönner und setzt durch fröhliches Zusammenklauben aus einem Best-of der Konkurrenz auf Fun, Fun, Fun—woran erinnert uns dieser Fokus auf farbenfrohe Gamification mit Zeichnungen, Konfetti, Effekten, und Super Mario-Stickern? Zum Beispiel an Snapchat. Zuletzt glänzten Google und Facebooks Messenger mit netten Sonderfunktionen in ihren Chat-Apps, die rein über den reinen Versand von Texten, Fotos und Videos hinausgingen und durch eine künstliche Intelligenz unterstützt wurden.

Doch die Tatsache, dass man durch den Komfort auch einen ganze Reihe an Inhaltsdaten (wie Suchanfragen innerhalb der Apps) an Google oder Facebook weitergab, löste bei vielen Nutzern Unbehagen aus. Apple scheint verstanden zu haben, dass die Benutzung von Nachrichten-Apps Spaß machen muss, um die Nutzer dort zu halten und scheint sich einige Funktionen, wie zum Beispiel handgezeichnete Nachrichten und eine Gif-Suche, von der Konkurrenz abgeguckt zu haben—mit dem wichtigen Unterschied, dass in iMessage alle Inhalte Ende-zu-Ende verschlüsselt gesendet werden.

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Folge Motherboard auf Facebook, Instagram und Snapchat

Ebenfalls neu sind Apps für eine App: iMessage bekommt seinen eigenen Store, in dem man Erweiterungen für die Chat-App laden kann. Darunter ist zum Beispiel eine Übersetzungs-Erweiterung, mit der man in anderen Sprachen mit seinem Gesprächspartner kommunizieren kann, oder teilweise kostenpflichtige Stickerpakete. So macht Apple erste Schritte in Richtung App-Lizensierung und erschließt eine weitere, wenn auch sehr kleine, Einnahmequelle.

Der Sperrbildschirm wird zur kleinen Schaltzentrale

Der Sperrbildschirm wurde komplett überarbeitet und sieht bei einem Wisch nach rechts nun eher wie ein vorgezogener Home-Bildschirm aus. Neue Benachrichtigungen zeigt das iOS hier als Widget an. Auch hier hat sich Apple möglicherweise ein Scheibchen von Android-Geräten abgeschnitten: Der Sperrbildschirm lässt sich viel besser personalisieren, um alles im Blick zu haben, auf Nachrichten kann direkt reagiert werden—im Umkehrschluss bedeutet das allerdings auch, dass ein gewisses Sicherheitsrisiko mit dem Komfort einhergeht: Jeder könnte theoretisch auf eine Nachricht auf dem Bildschirm direkt reagieren, ohne sich vorher per Code authentifizieren zu müssen.

Siri blickt über ihren Tellerrand

Die digitale Assistentin war zwar witzig und manchmal lebensweise, tat sich allerdings nie durch besondere Effizienz hervor. Nun aber ist sie endlich für Hersteller anderer Apps zur Erweiterung freigegeben—und dadurch gewinnen alle.

Für App-Entwickler ist die Integration eine attraktive Möglichkeit, Siris Sprachfunktionen und ihre künstliche Intelligenz zu nutzen, um die Programme von Drittanbietern um Funktionen zu erweitern. Seit dem neuesten Update können Nutzer nun mit Siris Hilfe Banking-Apps befehlen, Geld an Freunde zu überweisen oder auch eine Whatsapp-Nachricht verschicken. Ingesamt sind es allerdings nur Apps aus sechs Kategorien, die mit Siri interagieren können: Finanzen, Fitness, VoIP-Telefonie, Messaging-Dienste, Fotoverwaltung und Taxiservices. Spotify auf dem Fahrrad mit der Stimme zu steuern, wird wohl vorerst ein Traum bleiben.

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Sicherheit durch Offenheit: Mehr Daten sammeln, aber auch mehr verschlüsseln

Weiterhin setzt Apple darauf, sein System eher sicherer als geschwätziger zu machen. Updates, die über W-Lan geladen werden, werden jetzt verschlüsselt übertragen. Eine Lücke, nach der die Tastatur manchmal vertrauliche Daten als Vorschläge angezeigt hat, ist bereits repariert. Und auch die überarbeitete Fotos-App hat zwar lauter interessante Features, die nach unangenehmer Datensammelei klingen (zum Beispiel eine Gesichts- und Bildinhalts-Erkennung zum Erstellen von Kollektionen und animierten Präsentationen), verarbeitet und speichert diese aber lobenswerterweise nur lokal auf dem Gerät, anstatt die Daten auf den eigenen Cloud-Server hochzuladen.

Damit stärkt Apple seinen Markenkern: Es sind nicht die gesammelten Daten, die Apples Geschäftsmodell bilden, sondern die Hardware. Wie sehr sich Apple für die Sicherheit seiner Kunden einsetzt (und sich das als eines der wenigsten Tech-Unternehmen auch leisten kann), hat die Debatte rund um das durch einen Passcode geschützte iPhone des San Bernardino-Attentäters gezeigt: Apple legte sich über Monate mit dem FBI an, um zu verhindern, eine Hintertür für die Behörde installieren zu müssen—mit Erfolg.

Klassische Fails werden minimiert

Alles in allem hat Apple mit seinem Update viele nervige Dinge repariert, die die Nutzer in den vergangen Monaten oder sogar Jahren immer wieder moniert hatten:

System-Apps lassen sich—zumindest vom Bildschirm—entfernen, Apple Music wird endlich intuitiver benutzbar (und es gibt Texteinblendungen für Spontan-Karaoke!), und selbst die von vielen Kunden verhasste Karten-App ist so gut—insbesondere in der Interaktion mit Siri—dass sie sogar den ein oder anderen Google Maps-Fan überzeugen dürfte.

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Apple macht den Kernel auf—um sich abzusichern

All diese Neuerungen sind nicht nur freundlich, sondern wollen den Kunden natürlich fest im eigenen Ökosystem halten. Dabei ist die parallele Strategie „Nutze unsere Apps oder integriere andere in unser System" natürlich doppelt praktisch: So vergrätzt man keinen Nutzer, der Dritt-Apps bevorzugt, bietet aber als Hardware-Hersteller kaum einen Grund, sich für Android zu entscheiden.

Mit einem Fokus auf Features, die sich nur mit der Force-Touch-Funktion aktivieren lassen, stupst Apple seine Kunden zart in die Richtung eines neuen Gerätekaufs. Trotzdem wird das iPhone 5 und 5s noch weiterhin unterstützt und die iOS-Funktionen, die sich ausschließlich mit 3D Touch bedienen lassen, sind nicht essentiell für die Benutzerführung, sondern vorerst nur Extras.

Dass Apple seinen Code öffnet, hat im Juni viele Sicherheitsexperten zumindest überrascht. Wer also im normalerweise gut behüteten, verschlüsselten Kernel des neuen iOS nach Sicherheitslücken sucht, findet sie auch—doch Apple kommentierte später, dass dieser Schritt natürlich mit voller Absicht geschah. „So können wir die Performance des iOS steigern, ohne die Sicherheit aufs Spiel zu setzen", sagte ein Apple-Sprecher der MIT Technology Review. Das leuchtete auch Programmierern ein. „Wenn sie so viel Einblick wie ein professionelles und gut-ausgestattetes Forscherteam bekommen, können andere Sicherheitsforscher Bugs finden und reparieren", so der iOS-Sicherheitsexperte Jonathan Zdziarski an gleicher Stelle.

Was wiederum dazu führen könnte, dass es noch schwieriger für Strafverfolgungsbehörden würde, sich um den von Apple gezogenen Sicherheitszaun herumzuarbeiten, wie es im Streit mit dem FBI versucht wurde—wenn Apple schon vorher von den Lücken weiß und Dritte für ihre Reparatur bezahlt, könnte diese Strategie also noch weiter zur Absicherung des Systems beitragen.

Apples Nachricht an die Kunden ist nach wie vor so einfach wie effektiv und paternalistisch: Kauf unsere teure Hardware—wir erledigen den Rest.