Wie mit Desserts gegen Sexismus gekämpft wird
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Wie mit Desserts gegen Sexismus gekämpft wird

In der südasiatischen Kultur wird die Geburt eines Jungen mit einer Süßigkeit, die als Laddu bekannt ist, als Segen gefeiert. Mädchen gelten auch heute noch häufig als Belastung. Die Aktivistin für Geschlechtergleichstellung Raj Khaira hofft, mit ihrer...

In südasiatischen Kulturen, in denen Hindi gesprochen wird, sagt man oft „Mere ladoo kithe ah", wenn es etwas zu feiern gibt. Das bedeutet: „Wo sind meine Süßigkeiten?"

An dem Tag, an dem ich Raj Khaira, die Gründerin der Pink Ladoo Campaign, treffe, bekomme ich eine blaue Schachtel mit indischen Süßigkeiten, die als mithai bekannt sind, zugestellt, um die Geburt eines Jungen in der Familie zu feiern.

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Traditionelle Laddu-Süßigkeiten aus Kichererbsenmehl, Grieß, Wasser und Zuckersirup. Alle Fotos von der Autorin.

Das ist Teil einer veralteten Tradition in Südasien, bei der Geburten nur gefeiert werden, wenn das Kind ein Junge ist. Freunde und Verwandte schenken feuchte, gelbe Süßigkeiten mit den Namen Laddu (oder Ladoo), mit denen ausgedrückt wird, dass das Neugeborene ein großer Segen für die Familie ist.

Die Pink Ladoo Campaign stellt diese Tradition infrage. Am 11. Oktober, dem Internationalen Mädchentag der Vereinten Nationen, wurde die Kampagne gelauncht. Sie soll gegen die Stigmatisierung von Mädchen ankämpfen und dazu anregen, weibliche Geburten auf ihre eigene Art feiern. Mit ihren eigenen Süßigkeiten.

„Das ist etwas, über das ich mir schon seit meiner Kindheit immer wieder Gedanken mache, weil die Geburt meiner jüngeren Schwester in der Gemeinschaft nicht gefeiert wurde", erklärt Khaira, die zwischen Kanada und England in einem Punjabi-Haushalt großgezogen wurde und die sich oft mit ihrer Familie über Ungleichheit diskutierte. „Die erweitere Familie war sehr verärgert, als sie geboren wurde und dann sah ich, wie die Reaktionen waren, als beim Bruder geboren wurde. Es war ein riesiger Unterschied."

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Rosarotes Laddu von der Aktivistin für Geschlechtergleichstellung Raj Khaira.

Auch heute noch wird die Geburt eines Mädchen als Enttäuschung und Last angesehen. In der südasiatischen Kultur werden männliche Nachkommen bevorzugt, weil sie den Namen der Familie weitertragen. Bei Mädchen verspüren die Eltern den finanziellen Druck der jahez (Mitgift) und manchmal fangen sie schon sofort nach der Geburt an zu sparen.

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Obwohl in Großbritannien, wo viele südasiatische Familien leben, keine so extremen Maßnahmen ergriffen werden, herrschen trotzdem negative Einstellungen gegenüber weiblichen Babys vor. Manche Leute glauben sogar, dass über Familien ein Fluch lastet und sie noch mehr Töchter bekommen, wenn mithai verteilt wird.

„Der Sinn und Zweck dieser Kampagne ist, eine Debatte in Gang zu bringen", sagt Khaira. „Wir wollen einen Dialog entfachen und wir wollen die Stimme dieser Generation sein, weil unsere Generation danach schreit, dass sie von irgendjemandem repräsentiert wird und dass jemand sagt, dass wir die Nase voll haben. Ich wünsche mir, dass wir uns zu einer Gemeinschaft zusammenschließen und vereint den Status der Frau verbessern."

Und genau da kommt Laddu ins Spiel. Insgesamt gibt es etwa 300 verschiedene Sorten dieser Süßigkeit auf dem indischen Subkontinenten, das traditionelle gelbe Laddu wird jedoch aus Kichererbsenmehl, Grieß, Wasser und Zuckersirup hergestellt. Es stammt aus dem südindischen Chola-Reich, wo es an Reisende und Kämpfer als Glücksbringer oder als Gabe an die Götter weitergegeben wurde.

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Die Gründerin des Projekts Raj Khaira.

„Laddu ist keine normale Süßigkeit", fügt Khaira hinzu. „Sie ist in unserer Kultur sehr stark mit unserem Verständnis von Zelebration verbunden. Es ist ein Symbol. All die Jahre habe ich darüber nachgedacht, mit was man die Geburt eines Mädchens feiern könnte. Dann dachte ich mir, warum nicht Laddu? Ich wollte die Kampagne zu einem Symbol des weiterreichenden Protests machen, weil das in der südasiatischen Kultur eine sehr wichtige Rolle spielt."

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Anfangs nahmen die Geschäfte, die Khaira kontaktierte, das Projekt nicht besonders gut auf. Sie kam für die Kosten der Kampagne auf, aber wollte die Süßigkeiten gespendet bekommen. Zum Glück wurde sie von Barfia, einer mithai-Kette aus London, kontaktiert, die in die dortige südasiatische Gemeinschaft eingebunden ist und ihre Unterstützung anbot. Ambala, ein weiteres Unternehmen, zog nach und viele andere Süßigkeitengeschäfte in Großbritannien haben angefangen, mit ihren eigenen Versionen von Laddu zu experimentieren.

Als ich eine Box mit rosaroten Laddu öffne, befinden wir uns in einem Geschäft in Ostlondon. Der intensive Geruch von Beeren steigt von den sauber platzierten Süßigkeiten auf. Traditionelle Aromen wurden durch Himbeere und Kokosnuss ersetzt, aber das Laddu ist trotzdem noch bröselig, genau wie das Original.

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Boxen mit Laddu, die zur Feier einer Geburt überreicht werden.

Kiran Toor, dreifache Mutter aus den Midlands, war die erste in ihrer Familie, die die Geburt ihrer Tochter während einer Zeremonie in ihrer Gurdwara mit Laddu feierte. Das stieß anfangs auf gemischte Reaktionen.

„Die Leute waren von den rosaroten Laddu ein bisschen verwirrt und sie verstanden nicht, um was es ging", sagt sie. „Sie hatten so etwas noch nie gesehen und leider verstanden sie auch nicht, wieso wir es Teil der Zeremonie war."

Nachdem das Konzept der rosaroten Laddu den Gästen jedoch erklärt worden war, wollten sie jedoch zwei Mal so viele Süßigkeiten haben.

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„Alle unsere Gäste stellten uns Fragen über die Kampagne und das Interesse war sehr groß", sagt Toor. „Die meisten Leute wussten nichts davon. Das Feedback war extrem positiv. Rosarotes Laddu sorgte auf jeden Fall für Gesprächsstoff und steigerte das Bewusstsein für die gesellschaftlichen Probleme in unseren asiatischen Kulturen."

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Toor ist der Meinung, dass Mädchen immer noch als Belastung und nicht als Segen angesehen werden. Das soll sich ändern.

„Früher und auch heute noch sagt man, sobald ein Mädchen geboren wurde, dass die Mädchen ausgeliehen sind", erzählt sie. „Ihre echten Familien sind die, in die sie einheiraten."

Toor fügt hinzu, dass konservative ältere Menschen langsam ihre Einstellung ändern und und realisieren, dass Mädchen nicht weniger Wert sind als Jungen.

„Unsere Tochter bereitet uns große Freude und hat unserem Leben so viel geschenkt", sagt sie. „Deshalb verschenkt man Laddu, wenn die Familie mit so einem wunderbaren Geschenk gesegnet wurde und sie hat für uns genau das Gleiche getan wie unsere Jungs. Darum geht es beim rosaroten Laddu. Wir wollten, dass jeder weiß, dass sie für uns etwas ganz Besonderes ist."

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Die kulturelle Bevorzugung von Männern bleibt weiterhin ein bedeutendes Problem auf dem südasiatischen Subkontinent, wo in manchen ländlichen Gegenden vier Mal so viele Jungen wie Mädchen geboren werden, laut Zahlen der UN.

Kharias Projekt wird immer bekannter. In der pakistanischen Stadt Gujrat startete eine Gruppe von Freiwilligen die Kampagne von einem Universitätskrankenhaus aus. Sie hängten Poster am gesamten Campus auf und verteilten rosarotes Laddu.

„Ich wurde mit Nachrichten von Frauen aus der ganzen Welt überhäuft, die mir alle schreiben, wie wichtig diese Kampagne ist und dass es das erste Mal ist, dass es so etwas gibt", sagt Khaira. „Die Kampagne gibt Leuten die Unterstützung, die eine gesellschaftliche Bewegung bietet, und schenkt ihnen den Mut, die Geburten ihrer Töchter zu zelebrieren. Wir möchten, dass sie zu einer Bewegung wird."

Gar nicht mal so schlecht, was mit einer Box mit rosaroten Süßigkeiten erreicht werden kann.