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Brasilien

Das beste Essen gibt es in den Favelas

Rio de Janeiros favelas, die lange von gewaltsamen Drogengangs beherrscht wurden, werden derzeit einer kontroversen Säuberungsaktion der Regierung unterzogen. Mittlerweile werden sie schon als sicherer betrachtet und ziehen hungrige Touristen...
Photo via Flickr user dany13

In Rio de Janeiro begeben sich immer mehr Leute auf die Suche nach einem besonderen Dinner-Erlebnis in die favelas, die Armenviertel der Stadt, und nehmen das Risiko in Kauf, einen Irrläufer abzubekommen. Rios favelas, die lange von gewalttätigen Drogenkriegen dominiert wurden, werden derzeit auf Anweisung der Regierung einer kontroversen Säuberungsaktion unterzogen, von der manche Einheimische glauben, dass sie mehr Schaden anrichtet, als Gutes bewirkt. Aber der sogenannte „Befriedungsprozess" hat die öffentliche Meinung über diese Viertel verändert und sowohl Touristen als auch wohlhabendere Einheimische kommen in Scharen, um dort einen Happen zu essen.

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Einem Artikel von The Guardian zufolge sind Rios favelas derzeit der angesagteste Ort, um essen zu gehen. Seit 2008, kurz nachdem verkündet worden war, dass die Stadt Schauplatz der Fußballweltmeisterschaften 2014 sein wird, begann die brasilianische Regierung die favelas aufzuräumen. Dieser Prozess wurde zur Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2016 noch beschleunigt, die ebenfalls in Rio stattfinden werden. Die Einwohner der favelas haben begonnen, Profit aus dem neuen Image der Viertel zu schlagen. Bis vor kurzem geprägt von fehlenden Regierungsverordnungen und forschem, gewalttätigem Drogenhandel, der seit den 1980ern boomt, öffnen heute immer mehr Restaurants ihre Türen, um auf das erhöhte Aufkommen von hungrigen Touristen und Einheimischen in den Gegenden zu reagieren.

„Sie werden schon fast zu einem Touristenziel", sagt Almir Da Fonseca, ein Einheimischer aus Rio und kulinarischer Geschichtsforscher, der am Greystone Campus des Culinary Institute of America im Napa Valley unterrichtet. „In den letzten Jahren, seit die Regierung die favelas aufräumt, sind die Leute ein bisschen mutiger geworden."

In Rios größtem favela hat man die Wahl zwischen sechs verschiedenen japanischen Restaurants.

Die Restaurantbesitzer in den favelas freuen sich über die steigende Zahl der Besucher—und über das Geld, das sie ausgeben—was daraus resultiert, dass die Leute den Eindruck haben, die Vierteln wären sicherer geworden, sagt Da Fonseca.

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Der Befriedungsprozess war jedoch sehr angespannt und von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Einwohnern der favelas und der UPP (Police Pacifying Unit) gekennzeichnet. Letztere wurden geschickt, um Waffen von Gangs und Drogen zu beschlagnahmen. Während die Stadt die Vorbereitungen für Olympia 2016 immer weiter intensiviert—durch den Bau von Sportkomplexen, Reparaturen bereits vorhandener Straßen, sowie dem Bau neuer—wurden laut Amnesty International Brasilien mehr als 19 000 Familien mit geringem Einkommen gewaltsam vertrieben, weil ihre Häuser den Neubauten im Weg standen. Die Zeit vor und während der Fußballweltmeisterschaft war durch landesweite Proteste und Demonstrationen gekennzeichnet, die sich mit großer Wahrscheinlichkeit auch pünktlich zu den Olympischen Spielen wiederholen werden.

„Es ist nicht alles komplett friedlich verlaufen, aber die Lage hat sich definitiv gebessert", sagte Da Fonseca. Egal, ob die Methoden zur Befriedung gerechtfertigt waren oder nicht, sie führten jedenfalls dazu, dass die Grenzen zu manchen favelas gelockert wurden, in denen junge Bar- und Restaurantbesitzer sich bemühen, ihr Angebot immer vielfältiger zu gestalten, um Touristen und abenteuerlustige Einheimische anzuziehen.

„Viele von ihnen erben die Bars von ihren Vätern und anstatt weiterhin nur die Stammgäste zu bedienen, wollen sie ihre Türen auch für Leute öffnen, die nicht in den favelas wohnen."

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Neben den traditionellen brasilianischen Barsnacks wie gegrillten Würstchen mit Zwiebeln und portugiesischen Salz-Kabeljau-Kroketten, sind manche Köche auch experimentierfreudiger und versuchen sich an internationalen Gerichten, sagte Da Fonseca.

Sergio Bloch, ein Filmemacher aus Rio de Janeiro, der den Gastronomic Guide to the Favelas of Rio 2013 schrieb, stimmte zu. Um die Liste der 22 besten favela-Restaurants zusammenzustellen, besuchten Block und sein Team ungefähr 100 verschiedene Bars, Restaurants und Cafés, sagte er, und sie waren sowohl von der Vielfalt als auch von der Qualität des Essens überrascht.

„In Rocinha"—Rios größter favela—„hat man die Wahl zwischen sechs verschiedenen japanischen Restaurants und in Tabajaras habe ich eine der besten Pizzas meines Lebens gegessen", sagte er.

Im Großen und Ganzen sehen die meisten Einheimischen den Befriedungsprozess positiv, sagte Peter Lucas, Professor am Center for Latin American and Caribbean Studies an der NYU und Autor von Viva Favela: Ten Years of Photojournalism, Human Rights, and Visual Inclusion in Brazil.

„Die Leute wollen nicht in einer Parallelwelt leben", sagte er. „Sie möchten kommen und gehen können und wollen auch, dass Leute von außen kommen und gehen können. Das ist auf jeden Fall einfacher, wenn die Eingänge nicht mehr von bewaffneten Drogendealern bewacht werden."

Eine Handvoll der favelas seien genug aufgeräumt worden, dass sie auch Touristen anlocken, so Lucas. „Wir sprechen hier nicht von den richtig kritischen Gegenden." Der Großteil der um die 1000 Mikronachbarschaften sind immer noch viel zu gefährlich, um dort essen zu gehen.