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Waffe des Pulse-Attentäters zeigt, was falsch läuft mit der US-Waffenkontrolle

Selbst Personen, die auf der Terror-Watchlist des FBI stehen, können sich ohne Probleme das Sturmgewehr AR-15 zulegen.
Bild: TheAlphaWolf/Wikimedia

Bei der Waffe, mit der Omar Mateen am Sonntagmorgen im Schwulen-Club „Pulse" in Orlando 50 Menschen tötete, handelt es sich um das Sturmgewehr AR-15. Das halbautomatische Gewehr gilt als eine der beliebtesten Waffen in den USA und ist in Florida sogar einfacher zu erwerben als eine Pistole—und es ist die Waffe, die wieder und wieder an den Tatorten tödlicher Massenschießereien auftaucht: 2012 starben in Colorado bei einer Kino-Premiere von „The Dark Knight Rises" 12 Menschen im Kugelhagel einer AR-15; auch beim San-Bernardino-Anschlag im Dezember vergangenen Jahres war die populäre Halbautomatik die bevorzugte Tatwaffe. Seit Anfang 2015 wurden in den USA bei Schießereien und Anschlägen insgesamt 72 Menschen durch Schüsse aus einer AR-15 getötet.

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Die AR-15 ist die „zivile" Version des vom US-Militär eingesetzten M16-Sturmgewehrs. Hersteller ist die amerikanische Traditionsfirma Colt Defense, doch werden mittlerweile auch ähnliche Modelle anderer Fabrikanten unter dem Namen AR-15 gefasst, so populär ist die Waffe geworden.

Die AR-15 ist eine halbautomatische Waffe, das heißt, sie kann bei einmaliger Betätigung des Abzuges keine kontinuierliche Patronen-Salven abfeuern—im Gegensatz zur momentan verbreiteten dpa-Meldung—sondern pro Betätigung nur einen Schuss. Da sie als Halbautomatik nach Abgabe eines Projektils sofort wieder schussbereit ist, hängt die Feuerrate davon ab, wie zügig der Schütze den Abzug betätigen kann.

Die hohe Verbreitung der Waffe sorgte in der Vergangenheit mehrfach dafür, dass die AR-15 im Mittelpunkt politischer Debatten um die Verschärfung der US-Waffengesetze stand. Kritiker des Sturmgewehrs bezeichnen sie als „Kriegsgerät" und fordern ein bundesweites Verbot. Die Waffenindustrie unterstreicht hingegen die friedfertige Nutzung der Waffe durch „Millionen gesetzestreuer Amerikaner".

In einem Blog-Beitrag aus 2013 wetterte beispielsweise der Präsident der National Rifle Association (NRA), David Keene, gegen Waffengegner, sie verstünden weder die „Wesen der Waffen, die sie verbieten wollen", noch deren „Popularität". Denn die AR 15 sei hauptsächlich ein Gerät für Sportschützen, Jäger und Menschen, die ihr Zuhause verteidigen wollen.

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Die NRA verteidigt vehement das Recht auf privaten Waffenbesitz und läuft regelmäßig Sturm gegen staatliche Versuche, die Waffenkontrolle zu verschärfen. Zum Orlando-Attentat schwieg die NRA bisher.

Seit dem Massaker vom Sonntag steht die AR-15 wieder im Zentrum der Debatte. Der US-Journalist Justin Peters vom Slate-Magazin etwa widerspricht der Darstellung der NRA und argumentiert, die Waffe eigne sich gerade nicht fürs Jagen, da sie viel zu schnell viel zu viele Schüsse abfeuere. Auch für das Vertreiben von Einbrechern im Home-Defense-Szenario sei sie wenig praktikabel, da sie als Sturmgewehr zu groß, unhandlich und sperrig für die Verwendung auf engem Raum ist.

Zwischen 1994 bis 2004 galt in den USA ein Verbot bestimmter Waffentypen, von dem unter anderem die AR-15 in bestimmten Ausfertigungen betroffen war. Paradoxerweise führte das Verbot nicht zu einer Einstellung der Produktion des Sturmgewehres, sondern zu einer Ausweitung: Indem die Waffenhersteller die verbotenen Spezifikationen—Bajonettaufsatz, pistolenähnlicher Griff—einfach wegließen, konnten sie die AR-15 als legale Alternativen der verbotenen Sturmgewehre vermarkten. Schätzungen zufolge gelangten eine Million modifizierte AR-15 in dieser Zeit aus den Waffenfabriken in die Hände von US-Bürgern—mehr als in dem Jahrzehnt vor dem Verbot. Heute soll die Zahl verkaufter AR-15 landesweit bei 3,5 Millionen Exemplaren liegen.

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Das Verbot der Sturmgewehre lief im Jahre 2004 aus und wurde seitdem nicht mehr verlängert. Versuche der Obama-Regierung im Nachgang zu dem San-Bernardino-Anschlag verhallten sang- und klanglos im Second-Amendment-Getöse der Waffenlobby und ihrer Anhänger.

Während manche Bundesstaaten wie New York und Massachusetts den Erwerb von militärähnlichen Schusswaffen erschweren, macht es Florida Waffenfreunden besonders einfach, an das tödliche Gerät zu kommen. Die Behörden des Sunshine State machen beispielsweise weder Hintergrund-Checks bei Privatverkäufen noch verlangen sie, dass man sich als Käufer irgendwo registriert oder einen Waffenschein besitzt. Auch werden Sturmgewehre von den Waffengesetzen des Staates nicht gesondert behandelt—ihre Anschaffung ist also genauso einfach wie der Erwerb einer Pistole. Auch gibt es keine rechtliche Deckelung der Anzahl, die man sich auf einen Schlag zulegen kann. Vereinfacht gesagt: Jeder, der den Behörden nicht als Straftäter oder Drogenabhängiger bekannt ist, darf sich in Florida ohne Anmeldung und Lizenz eine ganze Ladung Sturmgewehre und Munition besorgen. Tatsächlich können auch Menschen, die auf der Terror-Watchlist der FBI stehen, auf diesem Wege unbehelligt und legal ein Sturmgewehr erwerben. In den Jahren 2004 bis 2014 gelang es Bürgern, die dem FBI als Terror-Verdächtige galten, in 91 Prozent der Fälle eine Waffe zu besorgen.

Die AR-15 kam in den USA seit 2011 in zehn Massenschießereien—Massakern von Einzelpersonen mit mehr als vier Todesopfern—zum Einsatz, wie eine Datenbank des Mother-Jones-Magazins belegt.

Paradoxerweise ist sie gerade deswegen „Amerikas populärste Waffe": Nicht nur weil sie einen guten Ruf unter Attentätern genießt, sondern auch, weil die Massenschießereien anscheinend keinen unwesentlichen Einfluss auf ihre Vermarktung haben. Nach dem Amoklauf an der Sandy-Hook-Grundschule in Newtown 2012 beispielsweise, bei dem der 20-jähriger Adam Lance 27 Menschen mit einer AR-15 niederstreckte, schossen die Verkaufszahlen der Waffe landesweit durch die Decke. Auch die Preise stiegen um rund das Doppelte: Lag der Verkaufspreis vor dem Massaker bei im Schnitt 1.100 Dollar, gingen die Waffen nach dem Vorfall für über 2.000 Dollar über die Ladentheke.

Ob sich das Orlando-Massaker genauso „positiv" auf Verkaufszahlen und Preisentwicklung auswirken wird, bleibt abzuwarten. Die Verschärfung amerikanischer Waffengesetze im Hinblick auf kriegstaugliche Sturmgewehre ist auch nach diesem furchtbaren Attentat vermutlich wenig wahrscheinlich.