Wie ein britischer Metallbastler die wohl neueste DIY-Hagelkanone Europas baute
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Wie ein britischer Metallbastler die wohl neueste DIY-Hagelkanone Europas baute

Im hintersten Winkel der Grafschaft Herefordshire hat ein 49-Jähriger eine Vortex-Kanone gebaut, die mit über 300 km/h Gasringe auf Wolken schießen kann.

Vor zwölf Jahren gründete Hadrian Spooner zusammen mit seinem Kumpel Mark Haile im tiefsten Hinterland der Grafschaft Herefordshire die Firma HMS Engineering. Hereford ist nicht gerade Start-up-Country, aber doch der perfekte Ort, um sich auf einem weitläufigen Bauhof als Schmied und Entwickler extravaganter Metallgerätschaften zu verdingen.

Der 49-jährige Hadrian hatte mir am Telefon bereits erzählt, was er mit Unterstützung der Anwohner so alles entwickelt und baut: Amphibien-Schneeraupen, die die Beringstraße durchqueren, selbstgebaute Lokomotiven und hagelzerstörende Vortex-Kanonen.

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Als Neurowissenschaftler in Oxford habe ich nur allzu gerne mein Labor für eine Tour in das hügelige Umland verlassen, das schon J. R. R. Tolkien zu seinem Auenland inspirierte und besuchte im Auftrag von Motherboard den Metallzauberer Hadrian.

Nach einigen Stunden Fahrt durch verwunschene Täler erreichte ich schließlich das Betriebsgelände am Rande des beschaulichen Hereford. Mir eröffnete sich eine Welt wundersamer Prototypen, die tatsächlich nur das Werk einer Reihe von Tüftelgnomen sein konnten: Auf dem Hof begrüßte mich Snowbird 6, die während der Expedition  Ice Challenger im Jahr 2002 als erste die zugefrorene Beringstraße durchquerte, und in zwei Hallen fanden sich das entkernte Chassis eines Hummer-Jeeps, ein uralter Zirkuswagen, und einige ausgediente Marschflugkörper.

Klar kannst du es als Waffe benutzen. Aber es macht viel mehr Spass, damit Löcher in den Wald zu schießen.

Eigentlich war ich jedoch wegen etwas anderem gekommen: Einer Kanone, mit der man Gas-Ringe auf Wolken schießen kann.

Die Hail-Cannon ist eine von Hadrians Lieblingsentwicklungen, denn er führt sie nicht nur mir mit stolzer Begeisterung vor, sondern präsentiert seine Entwicklung auch gerne auf der Welland Steam Valley: einem Treffen viktorianischer Dampfmaschinen-Liebhaber in Worcestershire. (Eine Grafschaft, die sonst vor allem als Ursprungsort der gleichnamigen Würzsoße bekannt ist):

Die Schüsse aus der Hagelkanone sehen recht unscheinbar aus, erst bei genauerem Hinschauen zeichnet sich ein fast schon majestätisch davon schwebender Luftring ab. Umso beeindruckender ist jedoch das Geräusch: Für deine Ohren scheint etwas, das einen Heidenlärm macht, rasant davon zu fliegen.

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Die Kanone erzeugt eine Explosion aus einer Mischung der Gase Acetylene und Sauerstoff. Das heiße Gas dehnt sich in der Röhre aus und erzeugt dabei einen Ring. Laut Hadrian erreicht es in seiner Kanone dabei Geschwindigkeiten von über 300 km/h.

Hadrian erzählte mir, dass er schon immer Tüftler und Bastler gewesen sei und außergewöhnliche Projekte einfach liebe, von Hausbooten über Spezialtransporter bis zu Vortexkanonen. Etwas anderes als Maschinenbau kam für ihn als Studium nicht in Frage. Dort lernte er auch seinen Kumpel Mark kennen, mit dem er später  sein Bastelunternehmen gründete. Hier nur einige der Entwicklungen aus 15 Jahren Metallingenieursbastelei, die mir Hadrian beim Rundgang über sein Gelände präsentierte:

Alle Bilder vom Autor (wenn nicht anders angegeben).

Die Snowbird 6 im Einsatz in der Bering-Strasse. Bild: Ice Challenger Press Kit

Auf meine Frage, warum er ausgerechnet eine Vortex-Gun gebaut habe, erwiderte er: „Wir spielen einfach gerne herum. Und als wir von der BBC gefragt wurden, ob wir so ein Ding für deren Space-Shuttle-Doku bauen könnten, haben wir keinen Moment gezögert. Als erstes haben wir mit der Kanone natürlich Wolken beschossen!"

Dass die Vortexkanone auch Hailcanon genannt wird, kommt daher, dass vor allem in den USA Bauern mit dem Apparat gerne auf Wolken schießen. Angeblich ließe sich so Hagel vermeiden, der ihre Ernte gefährdet.

Auch in Europa erfreute sich die Hagel-Vortex-Kanone einst großer Beliebtheit. Vor allem französische Weinbauern setzten sie Anfang des 20. Jahrhunderts  ein, um damit ihre Reben vor Hagel zu schützen.

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Heute findet man in Europa nur noch 2 Exemplare, die mit der selben Wucht wie seine Kanone schießen, sagt Hadrian. Beide habe er entwickelt und gebaut. Und zwar nicht weil es bei Ihm in der Gegend so viel hagelt (es nieselt eher ununterbrochen), sondern weil er von der BBC für Fernsehproduktionen beauftragt wurde.

Da ließ sich der Bastler nicht zweimal bitten und entwickelt die trichterförmige Hail Cannon. Die Konstruktion war jedoch nicht immer ganz ungefährlich: Einmal explodierte das für den Abschuss nötige Gas auf seinem Hof und richtete ein fürchterliches Chaos an, wie Hadrian mir berichtete.

Acetylene ist ein ausgesprochen explosives Gas. Ein klitzekleiner Funke, zum Beispiel von einem Reißverschluss, kann schon ausreichen, um es zur Reaktion zu bringen, erzählte mir Hadrian in etwas märchenhaft anmutender Metaphorik. Zusammen mit Sauerstoff wird das Gas in die kleine Kammer an der Basis der Kanone gefüllt und dann mit zwei Zündkerzen zum Explodieren gebracht.

Der Ring entsteht dabei auf die gleiche Art wie die Ringe, die besonders coole Raucher erzeugen, wenn grad keiner mit ihnen redet. Oder auch wie die Ringe, die aus dem Vulkan Etna schießen. Dabei wird Luft unter Druck durch eine Röhre gedrückt, an den Wänden der Röhre abgebremst und fließt deshalb in der Mitte schneller als am Rand. So entsteht der Ring.

Hier ist ein Ausschnitt einer von Hadrians Kanonen in Aktion, in dem man den Ring deutlich sehen kann und nebenbei entdecken darf, was einen BBC-Reporter wirklich in Begeisterung versetzt:

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Die Bilder zeigen tatsächlich eindrucksvoll, wie viel Kraft so ein Ring entwickeln kann.

Wie die majestätisch schwebenden Vortex-Ringe auf natürliche Weise von einem Vulkan erzeugt werden, ist in diesen seltenen Aufnahmen vom Etna zu sehen:

Für die erfolgreiche Bekämpfung von Hagel ist der Einsatz von Vortex-Kanonen bis heute wissenschaftlich fragwürdig und wurde niemals nachgewiesen. Die US-Army jedoch untersuchte bereits 1998 den potentiellen Nutzen von Vortex-Gewehren (Vortex Ring Cannons) als nicht-tödliche Waffe.

Auch das Fraunhofer Institut forschte mindestens bis zum Jahr 2003 im Auftrag des Bundesverteidigungsministeriums an Vortex-Generatoren im Rahmen eines Projekts zur Entwicklung nichtletaler Waffen. Auf unsere Anfragen zum aktuellen Stand der Vortex-Forschung in Deutschland erhielten wir vom Verteidigungsministerium keine Auskunft. Zumindest auf der Webseite des Fraunhofer Instituts für chemische Technologie ist ein Projekt zur Untersuchung Nichtletaler Wirkmittel allgemein heute noch ausgeschrieben. Auf unsere Anfrage hieß es bisher allgemein, dass man durchaus noch an Vortex-Kanone forsche, zum Beispiel auch für militärische oder zur Aggressionsabwehr im öffentlichen Raum.

In der Forschung der US-Armee zeigte sich jedoch wohl, dass, auch wenn man Ringe erzeugt, die mit der theoretischen Maximalgeschwindigkeit fliegen, der Vortex nicht stark genug sei, um Menschen in einer gewissen Entfernung damit wie erhofft beeindrucken zu können.

Hadrian und seiner Crew ist das egal. Vor seine Kanone habe sich noch keiner getraut. „Klar kann man das Ding als Waffe benutzen", trotzt er dem Konzept militärischer Vortex-Einsätze: „Aber damit Löcher in einen Wald zu schießen, macht viel mehr Spaß." Alle normalsterblichen Bastler werden wohl bis auf weiteres ohnehin mit einem gut geschossenen Rauch-Ring aus einer fetten Zigarre als einzig verfügbarem DIY-Vortex-Mechanismus vorlieb nehmen müssen.

Anmerkung: In einer älteren Version des Artikel hieß es missverständlicherweise, dass HMS Engineering die letzten Hagelkanone Europas entwickelt habe. Hadrian Spooner hat die wohl neueste DIY-Version einer extrem leistungsstarken Hagelkanone in Europa gebaut. Wir bedauern das Missverständnis und wollten damit nicht die Arbeit der Weinbauern Süddeutschlands ignorieren, die zum Teil immer noch mit alten Modellen ihre Ernte versuchen zu schützen.