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Thump

Bye, bye MP3: 5 sentimentale Erinnerungen, die sie unsterblich machten

Selbst die Erfinder der MP3 glauben nicht mehr an sie und lassen jetzt alle ihre Patente auslaufen.
Foto: imago/teutopress

Was jährt sich am 14. Juli? Der Sturm auf die Bastille in Frankreich 1789? Richtig. Aber auch die Geburt der MP3. Mit 22 Jahren hat das Dateiformat 2017 allerdings deutlich weniger Jahre auf dem Buckel als der Beginn der französischen Revolution. Liest man die derzeitigen Nachrichten, könnte dieser auch der letzte Geburtstag der MP3 sein, denn selbst die Erfinder des komprimierten Audioformats, das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen in München, halten ihre Schöpfung für nicht mehr zeitgemäß. Das geht aus einer Pressemitteilung des Instituts hervor. Das Institut lässt demnach alle MP3-Patente auslaufen und sieht von einer Verlängerung der entsprechenden Lizenzen ab.

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Setz das Fraunhofer-Institut jetzt etwa auch auf Vinyl? Nein, sie bevorzugen das AAC-Format, das sie ebenfalls mitentwickelt haben. Derartige Formate zur Audiocodierung "bieten erweiterte Einstellungsmöglichkeiten und eine bessere Audioqualität bei viel geringeren Bitraten im Vergleich zum mp3-Format", so das Institut. Ist die MP3 also "offiziell tot", wie es NPR schreibt? Das Format wird es weiterhin geben, allerdings zeigen der Streaming-Trend und die Dominanz von Apple deutlich an, dass die MP3 ein Auslaufmodell ist.

Das mögliche Ende der MP3 lässt uns nostalgisch werden, sie war Teil unserer Jugend und birgt viele Erinnerungen – zum Beispiel zwei Stunden mit einem 56k-Modem auf einen Download zu warten. Aber die MP3 war noch so viel mehr. Die MP3 war eine Revolution. Wir haben für dich fünf sentimentale Erinnerungen an das digitale Audioformat zusammengetragen.

Filesharing

Ihr, die ihr gerade im vollen Saft eurer Jugend steht, werdet euch wohl kaum daran erinnern können (oder seid noch nicht mal auf der Welt gewesen), aber damals – damals, als die Freizeitgestaltung noch per Festnetztelefon organisiert wurde, SMS schreiben umständlich, Rauchen cool und Alcopops erschwinglich waren – kosteten CDs im Schnitt 30 Mark. Und ja, das war so scheiße teuer, wie es sich anhört. Viel mehr als eine CD im Monat war bei einem durchschnittlichen Taschengeld nicht drin, wenn du dir auch noch so wichtige Dinge wie Tschick, Haschisch und Dosenbier leisten wolltest. Wenn du nicht gerade ältere Geschwister, Eltern (sehr unwahrscheinlich) oder reiche Freunde mit coolem Musikgeschmack und ein Tapedeck hattest, blieb dir eigentlich nichts anderes übrig, als nach der Schule zum nächsten Saturn, Libro, Virgin Mega Store, Mediamarkt, etc. zu fahren und dich dort den ganzen Nachmittag mit einem Stapel CDs an der Hörstation zu verschanzen. Weil du vor lauter Musikhören aber dein Mittagessen vergessen hattest, wurde dir irgendwann richtig flau im Magen und du musstest unterzuckert und mit leeren Taschen den Heimweg antreten.

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In diesen finsteren Zeiten war MP3, war das Internet, waren vor allem Napster und Co eine wahre Offenbarung für den prekären Musikconnaisseur. Plötzlich stand einem eine ganz neue, wenn auch mühselige Welt offen. Ganz so bequem wie heutzutage mit Spotify war das alles nämlich nicht. So eine Wählleitung war arschlangsam und ein einziger Song in mediokrer 128 kBit/s -Qualität brauchte schon mal 30 Minuten, bis er auf deinem Rechner war. Manchmal entpuppte sich die Datei dann noch als fehlerhaft, unvollständig oder war einfach etwas ganz anderes. Das Internet wurde irgendwann schneller und mit ihm entwickelten sich auch die Filesharing-Programme weiter. Nach dem recht rudimentären Napster kamen die recht kurzlebige Audiogalaxy, das immer etwas suspekte Kazaa und schließlich SoulSeek – sorry, für IRC waren wir immer etwas zu doof. Natürlich war das alles böse, weil illegal und Musikpiraterie und Lars Ulrich, aber vor allem Audiogalaxy und SoulSeek haben unseren musikalischen Horizont unfassbar erweitert. Viel spannender, als einfach nach bekannten Sachen zu suchen, war es, sich durch die Files anderer User – oder im Fall von Audiogalaxy durch Empfehlungen – zu hören.

In Zeiten von Spotify, SoundCloud, BandCamp und YouTube ist das alles ziemlich obsolet geworden. Allein SoulSeek lohnt sich vielleicht noch aufgrund des starken Communitygedankens für Musiknerds, aber die Musikindustrie stellt mittlerweile ausreichend legale Möglichkeiten bereit. Bis dahin war es allerdings ein weiter Weg.

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Winamp

Vor iTunes war Winamp. Bevor AOL das Programm kaufte und ruinierte und der iPod nicht nur Mac-User zu iTunes zwang, spielte der versierte Konsument digitaler Musik seine MP3s mit dem Shareware-Programm ab. Winamp war nicht nur viel ressourcenschonender und einfacher zu bedienen als der Windows Media Player, sondern verfügte auch über das großartige Feature, den Player mit neuen Skins verschönern zu können. Diese oftmals in liebevoller Hand- und Clickarbeit von Fans erstellten Skins sahen rückblickend und ganz objektiv betrachtet zwar extrem beschissen aus und machten das Programm in manchen Fällen vor lauter Augenkrebs fast unbenutzbar, aber wir hatten damals ja nichts – kein MySpace, kein Instagram, Facebook oder Snapchat. Winamp Skins und der Desktop-Hintergrund waren die einzigen Möglichkeit, auf die wir unser verwirrtes, pubertierendes und hochindividuelles Ich auch virtuell ausdrücken konnten.

Dieses herrliche, 2,3 mb große Programm mit dem Lama verfügte außerdem über großartige Visualisierungs-Plug-Ins wie Milkdrop, die deinen Rechner in eine Art musikgesteuerte Lavalampe verwandelten. Wie gesagt, wir hatten ja nichts – kein YouTube, kein Netflix, keine Twitch. Also blieb uns nicht anderes übrig, als stundenlang auf den Bildschirm zu starren, während blechern klingende 96 kBit/s MP3s von Mr. Oizo, The Prodigy oder Underworld den Bildschirm in ein farbenfroh-psychedelisches Feuerwerk tauchten.

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Selbstgebrannte CDs für die Autofahrt

Wenn du nicht in einer großen Stadt oder einem Ballungszentrum mit guten Öffis aufgewachsen bist, bedeuten der Führerschein und das erste Auto eine bis dahin ungekannte Freiheit. Keine Abhängigkeit mehr von den elterlichen Launen, von nun an bist du unabhängig und sogar ein bisschen erwachsen. Niemand kann dir mehr sagen, wo du wann hingehst! Aber zu jeder guten Autofahrt gehört natürlich ein passender Soundtrack und zur neu erlangten Unabhängigkeit in Sachen Mobilität hörst du natürlich kein Radio. Diese immer gut gelaunten Moderatoren bestimmen nicht, was du zu hören hast! Dank MP3 und CD-Brenner konntest du endlich selbst über deine Playlist bestimmen und eigene Sampler zusammenstellen, ohne einen ganzen Nachmittag vor dem Tapedeck zu versauern. Welcher Track eignet sich als Intro? Wie soll der Spannungsbogen verlaufen? Welche Stimmung will ich mit meiner Mix-CD transportieren? Mix-CDs waren die SoundCloud-Sets der 00er Jahre – irgendwie.

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Während die Technologie konstante Fortschritte macht, stagniert der Rassismus:

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Digitalisierung

Um eine eigene CD fürs Auto oder deine neue Liebe zu erstellen, brauchtest du natürlich zuerst eine vorzeigbare digitale Musikbibliothek. Und dazu musstest du nicht nur massiv MP3s von Napster und Co. "saugen", sondern auch CDs "rüberziehen". Anfang der 2000er Jahre war allerdings das Problem, dass die Festplatten bezahlbarer PCs einen für heutige Verhältnisse geradezu lächerlich kleinen Festplattenspeicher hatten. Die entscheidende Frage lautete daher: In welcher Bitrate kopiere ich meine CDs auf den Rechner?

Einige vermeintlich clevere Zeitgenossen dachten sich, 96 kBit/s sei die beste Antwort. Schließlich lässt sich dadurch am meisten Musik auf der Festplatte speichern. Dass Quantität nicht Qualität bedeutet, war aber schon damals klar. Zum "Rippen" von CDs verwendeten viele neben Winamp auch den Windows Media Player, der einem aber weiß machen wollte, dass 128 oder 192 kBit/s bereits CD-Qualität seien. Wer damals, Anfang der 2000er, seine CD-Sammlung digitalisierte, um sie wenig später der Platzersparnis wegen zu entsorgen, dürfte sich später ziemlich geärgert haben – wobei ein Großteil der Musikhörer die Unterschiede vermutlich gar nicht wahrnimmt.

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MP3-Player mit 64 mb Speicherplatz

Wer heute in ein öffentliches Verkehrsmittel einsteigt, findet fast überall das gleich Bild: Leute schauen auf ihre Smartphones. Viele von ihnen hören damit auch Musik. Manche sind so nett und tragen dabei In-Ear-Kopfhörer, andere wiederum beschallen mit ihrer Musik gleich (ungefragt natürlich) den ganzen U-Bahn-Waggon. Früher – wir klingen wie deine Großeltern – war das ganz anders. In den 90er Jahren waren Walkman angesagt, die mit Batterien (!) liefen. Dann gab es die ersten tragbaren CD-Player für unterwegs. Wer richtig cool war, hatte einen mit Anti-Schock-Funktion. Ein paar Versprengte hatten Mini-Disc-Player, weil sie glaubten, das werde das nächste große Ding. Wurde es aber nicht. Stattdessen gab auf der nächsten Evolutionsstufe CD-Player mit MP3-Funktion. Auf einmal konntest du mehrere Alben auf eine 700 mb Daten-CD brennen, was besonders für lange Reisen eine neue Erfahrung ermöglichte.

Weil im Kapitalismus aber permanente Innovation überlebensnotwendig ist, gab es irgendwann die ersten coolen Leute auf dem Schulhof, die einen MP3-Player hatten. Der war viel kleiner und leichter als ein MP3-CD-Player. Neben diesen Winzlingen wirkte der tragbare CD-Player lächerlich klobig. Auf dem neuen Gerät konntest du zu Beginn allerdings nur wenig Musik speichern – 64, 128, 256 mb usw. Da musstest du schon genau überlegen, welcher Song nun unbedingt drauf sein soll. Ein Problem, dass du beim mobilen Hören mit Spotify oder 16-gb-iPods heutzutage nicht mehr wirklich hast.

Dieser Artikel ist zuerst auf THUMP erschienen.

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