Die Frauen, die das Leben auf dem Wall in der Wüste überlebt haben, scheinen anfangs nur wenig zu erzählen zu haben. Sie sehen neben sich auf den Boden und sagen, sie hätten nicht viel gesehen, nachdem sie die meiste Zeit in ihren Zelten verbracht haben. Aber mit der Zeit sickern immer mehr Geschichten durch: Babys, die in der Wüste zur Welt kamen, Hochzeitsnächte, die sie im Dunkeln verbracht haben und die blinde Panik, die sie überkam, wenn sich ein lärmender Mob dem Zelt genähert hat und sie einfach nur noch die Kinder geschnappt haben und gerannt sind.Laut interner Dokumente von Nichtregierungsorganisationen, die sich auf die Angaben von Entwicklungshelfern auf der Berm beziehen, sind rund sieben Prozent der Menschen dort schwangere Frauen—das sind doppelt so viele, wie man im Durchschnitt in einer normalen Gemeinde erwarten würde. Aus denselben Daten geht auch hervor, dass im April der Großteil der Schwangeren im siebten, achten oder neunten Monat war.Viele der Frauen in Azraq, die ein Neugeborenes auf dem Arm halten, sagen, dass sie bis zum Ende der Schwangerschaft gewartet haben, bis sie nach Jordanien geflohen sind. Sie wussten jedoch nicht, dass sie dort wochen- oder monatelang in der Wüste festsitzen würden.Um Faten ist Mutter von vier Kindern und lebt mittlerweile in Azraq. Ihre ersten drei Kinder hat sie im Krankenhaus in Hama bekommen. Ihr viertes Kind, ein Mädchen namens Faten, wurde am 15. November in einem Zelt in der Wüste von einer Hebamme aus Homs zur Welt gebracht. Die Hebamme war selbst auf der Flucht und hat auf dem Sandwall auf ihre Einreiseerlaubnis nach Jordanien gewartet.Mehr lesen: „IS-Soldaten sind leichte Ziele": Die Frau, die loszog, um den IS zu bekämpfen
Der Grenzübergang Rukban, wo viele syrische Flüchtlinge in einem provisorischen Camp ausharren. Satellitenaufnahme vom 20. April 2015. Bild: © 2015 CNES/Distribution Airbus DS | Human Rights Watch
In einigen Flüchtlingslagern wie hier in der Bekaa-Ebene im Libanon erhalten syrische Flüchtlinge die notwendigen Vorsorgeuntersuchungen für ihre neugeborenen Kinder. Foto: DFID | Flickr | CC BY 2.0
Die 24-jährige Widad ist Witwe und Mutter von drei Kindern. Sie kommt aus der Gegend von Homs und hat den gesamten Februar auf der Berm verbracht, gemeinsam mit ihrer Mutter, ihrer Schwester, ihren Kindern und ihrem behinderten Vater.„Wir sind geflohen, als die Daesh in unser Dorf kamen. Wir hatten nur eine Stunde Zeit, um zu fliehen. Wir waren absolut nicht vorbereitet. Die Kinder hatten noch nicht einmal Schuhe an. Wir wollten einfach nur weg", sagt sie.Nach einer zweitägigen Reise Richtung Süden fanden Widad und ihre Familie einen Platz in der entmilitarisierten Zone nahe der Grenze und in der Nähe von ein paar Leuten, die ebenfalls aus Homs kamen. Sie haben ein Zelt gebaut, wie die meisten anderen auch: Sie haben Holzpaletten in der Nähe des Sandwalls gesammelt, um daraus zwei Pfosten zu bauen, an denen sie Tücher aufgehängt haben. Von dort befestigten sie eine große graue Filzdecke, die sie von den Entwicklungshelfern bekommen haben und fertig war ihr „Haus".Immer wenn Hilfsgüter verteilt wurden, hat sich Widad mit den anderen Frauen in einer Reihe angestellt. Doch weil die Nahrungsmittel so knapp sind, hatten sie nicht immer zu essen.Wir sind geflohen, als die Daesh in unser Dorf kamen. Wir hatten nur eine Stunde Zeit.
Ein vergrößertes Bild aus einem Video, das ein provisorisches Zeltlager ähnlich wie in Rukban zeigt. Das Video stammt aus einem Camp in Hadalat nahe der jordanischen Grenze von Ende 2014. Foto: © 2014 Private | Human Rights Watch
Laut der Angaben, die von den Entwicklungshelfern auf der Berm gemacht wurden, sind mehr als 18 Prozent der Leute in Rukban vier Jahre alt oder jünger. Weitere 23 Prozent sind zwischen fünf und elf Jahre alt. In einer Gesellschaft, die durch die traditionellen Geschlechternormen geprägt ist, sind die Frauen meist allein für die Betreuung der Kinder verantwortlich. An einem Ort wie Rukban, wo Männer—wenn sie überhaupt da sind—in der Regel mit sicherheitsrelevanten Aufgaben betraut sind, stehen Frauen einer nahezu endlosen Abfolge aus Hausarbeiten in vorzeitlichen Bedingungen gegenüber.Ich habe meine Kinder geschnappt und bin mit ihnen zurück Richtung Syrien gerannt.
„Wenn du Wasser mit ins Zelt bringst, hast du Wasser. Wenn nicht, dann nicht", sagt Um Ahmad.Sie erzählt, dass sich die Hautkrankheit Leishmaniose rasend schnell auf dem Sandwall ausgebreitet hat und dass es eine andauernde Herausforderung war, die Kinder sauber zu halten. Wenn Um Ahmad und ihre Familie Glück hatten, haben sie Seife und Windeln von den Entwicklungshelfern bekommen. Wenn die Vorräte ausgingen oder die Verteilung wegen Aufständen abgebrochen wurde, haben sie das bisschen Geld, das sie noch hatten, genommen, um Seife auf dem Schwarzmarkt zu kaufen.Um Ahmad sagt, dass sie sich darauf verlassen hat, dass ihr Mann Wasser zum Zelt schleppen würde, damit sie die Kinder in Eimern, die sie von den Hilfsorganisationen bekommen haben, waschen konnte. Anschließend hockte sie sich hin, zog sich stückweise aus und wusch sich selbst so schnell wie möglich—nur wenige Meter von zehntausenden Fremden entfernt, deren Stimmen durch die Zeltwände deutlich zu hören waren.Wie jede andere Frau, die von Broadly interviewt wurde, sagte auch Um Ahmad, dass sie sich auf der Berm nicht sicher gefühlt hat.„Nicht einen Moment lang", sagt sie. „Aber egal wie schlecht die Bedingungen in der Wüste sind, es ist noch immer besser als in Syrien."Mehr lesen: Wie die Boko Haram aus Mädchen Terroristen macht
Foto: DFID | Flickr | CC BY 2.0