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Joe Kittinger sprang zuerst!

Ein Interview mit dem Idol und Mentor von Felix Baumgartner und dem Mann, den manche für den ersten Astronauten halten

Der gestrige Tag hat einen neuen Helden geboren, doch bereits 1960 wagte Joseph Kittinger mit seinem Sponser, der Air Force, den Sprung durch die Stratosphäre, um den Kommunismus zu besiegen.

Kittinger benötigte 1960 für den Weg aus 31km Höhe zurück auf den Boden 14 Minuten, während derer er einige Rekorde brach: die höchste bemannte Ballonfahrt in einer offenen Gondel, längster freier Fall, der längste Fallschirmspung und die höchste Geschwindigkeit, die ein Mensch je ohne besondere Schutzhülle erreichte. Gestern brach Baumgartner ein paar dieser Rekorde mit der Hilfe Kittingers, der ihm seit 2009 als Mentor zur Seite stand. Ebenfalls in diesem Jahr interviewte Mason Anderson-Sweet diesen Mann, der wie viele meinen, als erster Mensch im All war.

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VICE: Was war das Project Manhigh und wie bist du dazu gekommen?
Col. Joe Kittinger: Ich wurde bei der Air Force einer Reihe von Testflügen auf dem Holloman-Stützpunkt in New Mexico zugeteilt. Dort habe ich das erste Mal Dr. John P. Stapp getroffen. Er war der Chef der medizinischen Abteilung. Ich bin mit ihm dann besondere Projekte geflogen, wie Manhigh, Excelsior und Stargazer. Bei dem Manhigh-Programm wollten wir einen sicheren Weg finden, wie man in großer Höhe aussteigen kann, sowohl für Astronauten als auch andere, die in solchen Höhen unterwegs sind. Das System, das wir 1959/1960 entwickelten, ist noch heute in Gebrauch. Jeder Schleudersitz der Welt, in den USA, in Kanada, in Russland, wo auch immer, hat diesen kleinen integrierten Fallschirm, den wir erfunden haben. Als Dr. Stapp zu mir kam und mir von dem Projekt erzählte, meldete ich mich sofort freiwillig. Ich war schließlich auch die glückliche Person, die den Sprung machen durfte.

Ich würde gerne wissen, wie es ist, so weit oben zu sein. Hattest du Angst?
Nun, ich war ja schließlich Testpilot und war es gewohnt, selber zu fliegen. Der Umgang mit Flugzeugen war mir vertraut. Und auch ein Ballon ist schließlich ein Fluggerät. Obwohl er sehr klein und eng war, fand ich es dann doch recht gemütlich. Direkt nach dem Start hatte ich ein Problem mit dem Radio und ich konnte nichts übertragen. Ich musste Morsezeichen benutzen und das dauerte sehr lange und war recht mühsam. Deswegen verbrachte ich mehr Zeit damit, denen da unten zu übermitteln, was gerade passierte, als das ganze zu genießen. Danach bemerkte ich, dass ein Ventil falsch an mein Lebenserhaltungssystem angebracht war und ich den Sauerstoff, den ich für den Druckausgleich benötigte, abließ. Ich musste also sehr vorsichtig mit meinem Sauerstoffvorrat umgehen, um den Druck in der Kapsel konstant zu halten. Als ich endlich auf einer Höhe von 30 Kilometern war, sah ich nach oben und sah nur Schwarz. Ich war noch nie zuvor so hoch gewesen. Es war einfach nur der absolute Wahnsinn, dort hochzuschauen und den schwarzen Himmel zu sehen. Das ist ein Anblick, den man nie vergisst. Jeder Pilot und Astronaut, der sich in dieser Höhe bewegt, kennt dieses Wunder eines schwarzen Himmels. Ich war zwar ziemlich beschäftigt, aber dennoch war ich glücklich, es war einfach aufregend. Einer der Ärzte war ein wenig besorgt um mich. Ich hatte bereits eine Stunde lang versucht, den Ballon zum Absteigen zu bringen, doch die Sonne heizte ihn so auf, dass das unmöglich war. Der Typ unten am Boden brüllte also die ganze Zeit: „Du musst jetzt wieder runterkommen, sofort.“ Das ging mir nach einiger Zeit ziemlich auf die Nerven und so tippte ich im Morse-Code „K-o-m-m-d-o-c-h-u-n-d-h-o-l-m-i-c-h.“ Das brachte sie dann alle total auf und sie machten sich ernsthaft Sorgen um mich. Ich machte mir keine Sorgen, um meine Sicherheit, denn ich dachte, ich könne schon auf mich selbst aufpassen. Wir hatten ein Notfall-System eingebaut, das ich hätte benutzen können. Ich vertraute mir, ich vertraute meiner Ausrüstung und ich vertraute meinem Team.

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Was war das Project Excelsior?
Wir bereiteten den ersten Sprung anderthalb Jahre vor. Ich bin zur Vorbereitung etwa 100 Höhenkammerflüge geflogen. Ich habe mir 1000 Mal vorgestellt, was ich machen werde und wie ich es machen werde, allerdings hatte ich nur 33 tatsächliche Sprünge gemacht, bevor ich aus 31 Kilometern sprang. Als der Start kam, war ich ziemlich aufgeregt. Ich hatte mich anderthalb Jahre auf diesen Sprung vorbereitet. Ich hob ab, der Ballon stieg auf, alles lief nach Plan, es gab keine Probleme. Als ich eine Höhe von 23 Kilometern erreichte, sollte ich eigentlich springen, aber ich konnte nicht aufstehen, da sich die Wasserflasche ausgedehnt hatte und mich auf meinem Sitz hielt. Irgendwann schaffte ich es jedoch, mich zu befreien. Als ich das tat, begann eine Stoppuhr zu laufen, die eigentlich erst losgehen sollte, nachdem ich abgesprungen war. Nach meinem Sprung hätte ich erst 17 Sekunden fallen sollen, aber der kleine Stabilisierungsfallschirm öffnete sich schon nach 2,5 Sekunden und die Schnur wickelte sich um meinen Hals. Er entfaltete sich also nicht ordentlich und ich fiel noch immer frei und unkontrolliert. Mir war klar, dass das jetzt richtig aufregend wird, denn ich war dort oben, um zu demonstrieren, wie man so einen Sprung richtig macht und das setzt einen funktionierenden Bremsschirm voraus. Ich drehte mich nach links und nach rechts, um die Rotation zu stoppen, was ich auch ziemlich gut hinbekommen habe, denn ich hatte eine gute Körperbeherrschung. Dann hatte ich mit einem Mal einen fürchterlichen Schmerz in der linken Seite. Ich konnte meine Arme nicht mehr zusammenziehen, weil die Zentrifugalkraft so enorm war. Ich verlor das Bewusstsein und der Rettungsfallschirm öffnete sich. Als ich aufwachte, war ich zwar erleichtert, dass ich noch am Leben war, aber ich war enttäuscht, dass ich zuvor ein Problem damit gehabt hatte, aus der Kapsel zu kommen und das beinahe zu meinem Verhängnis geworden war. Ich wollte sofort wieder zurück und es erneut versuchen, sobald wir die Ursachen der Probleme gefunden hatten. Ich wollte beweisen, dass wir ein gutes System hatten. Einen Monat später stieg ich wieder auf und machte den Sprung aus 23 Kilometern. Die Probleme vom ersten Mal kamen nicht wieder auf und der Sprung war perfekt.

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Nach diesem kam dann der 31-Kilometer-Sprung.
Richtig. Bei den beiden vorherigen Sprüngen hatte ich immer das Gefühl, dass ich eine Überlebenschance hatte, auch wenn etwas mit dem Druckanzug oder mit dem Helm nicht stimmte. In dieser Höhe aber wusste ich, dass ich ziemlich schnell tot sein würde, sollte etwas mit meinem Anzug oder mit dem Druckausgleich nicht klappen. Psychologisch gibt es einen Unterschied zwischen dem 23-Kilometer- und dem 31-Kilometer-Sprung, wegen der Gefahr durch den Unterdruck. Aber auch diesmal lief alles nach Plan. Und als es an der Zeit war zu springen, sah ich auf die Erde, die unter mir lag. Ich hatte Vertrauen in mein Team, in meine Ausrüstung und in mich. Ich war bereit, diesen Schritt zu wagen. Ich sprach ein stilles Gebet. Ich sagte: „Lieber Gott, beschütze mich.“ Dann drückte ich den Kameraknopf und sprang. Das war der Beginn eines viereinhalbminütigen freien Falls. Wie hat sich dein erster Schritt angefühlt?
Es war bloß ein Schritt. Ich war dort, um genau das zu tun, was ich tun sollte. Ich sagte ja bereits, ich habe für das ganze anderthalb Jahre gearbeitet. Das war der kürzeste Weg, um runterzukommen.

Tom Wolfe schrieb mal etwas über „post-zyklische Reue“, eine Depression von Astronauten, die sie haben, nachdem sie ihre Erfahrungen im Weltraum gemacht haben. Hast du etwas Ähnliches nach Beendigung des Projektes durchgemacht?
Nein, das ist typisch Schriftsteller, sowas zu behaupten. Ich denke nicht, das echte Piloten so etwas durchmachen.   Warum hast du dann am Höhepunkt deiner Kariere beschlossen, nach Vietnam zu gehen?
Nun, weil wir in einem Krieg waren und ich war ja schließlich ein Kampfpilot. Als das Stargazer-Programm zu Ende war, bei dem wir ein Teleskop mit nach oben nahmen, zog ich in den Krieg und war an drei Kampfeinsätzen beteiligt. Wir schossen mehr MiGs ab als jede andere Einheit der Air Force oder der Navy. Ich selbst habe auch eine am 1. März. 1972 runtergebracht. Am 11. Mai 1972 wurde ich dann bei einem Einsatz unter Beschuss genommen. Ich konnte mich mit meinem Schleudersitz erstmal in Sicherheit bringen, aber als ich landete, wurde ich gefangen genommen und für elf Monate in Hanoi inhaftiert. Im März 1973 wurde ich dann mit den anderen Kriegsgefangenen freigelassen. Warum warst du bereit, diese Risiken einzugehen?
Weil es getan werden musste. Da draußen gab es Dinge, die wir einfach kennen und verstehen mussten. Wir wussten, dass es mit Risiken verbunden seien würde, sich daran zu beteiligen. Wir planten es richtig, wir führten es richtig aus, wir trainierten richtig und als wir es dann taten, waren wir vorbereitet. In all den menschlichen Versuchen, für die Dr. Stapp verantwortlich war, ist nie jemand durch die Belastungen, denen man in der rauen Umwelt ausgesetzt war, ums Leben gekommen.

Kittinger und Felix Baumgartner vor einem Test im November 2011. Was muss mitbringen, um bis zum Rand und wieder zurückzukommen?
Die richtige Einstellung ist alles, was man braucht. Eins kann ich dir aber sagen, leider gibt es heute kaum noch Menschen, die den nötigen Mut aufbringen, so etwas zu wagen. Ich bezweifle stark, dass ich heute von einem Air-Force-General die Erlaubnis bekommen würde, aus dieser Höhe zu springen. Die sind einfach viel zu besorgt, was ihre Karriere betrifft. Ich kenne heutzutage einfach keinen, der auch nur ansatzweise Entscheidungen wie Dr. Stapps treffen würde. Wäre ich damals dabei umgekommen, dann hätte man ihn für meinen Tod bei einem seiner Experimente nicht nur verspottet, sondern auch für den Rest seines Lebens verantwortlich gemacht. Er musste enorm viel Mut aufbringen, um diese Art der Forschung zu betreiben. Es gab viele, die das nicht konnten. Ich denke, die Einstellung heutzutage ist einfach eine andere als die vor 50 Jahren. Heute sind wir hinsichtlich unserer Karriere viel zu besorgt und auch dem gegenüber, was Andere sagen könnten. Was denkst du über die aktuelle Lage der Luftfahrt -und Weltraumforschung?
Ich denke, wir haben uns viel zu lang mit dem Space Shuttle aufgehalten. Wir hätten nach den Mondflügen viel aggressiver handeln und uns weiterentwickeln sollen. Meiner Meinung nach haben wir einfach viel zu viel Zeit mit unserem nationalen Schatz, dem Space Shuttle, verschwendet, welches aber eigentlich nicht wirklich viel zur Wissenschaft beigetragen hat. Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage sind wir nun gezwungen, einige drastische Abstriche im gesamten Raumfahrtprogramm vorzunehmen. Wahrscheinlich wird das auch noch eine Weile dauern, bis wir wieder die Initiative und Ressourcen ergreifen und uns wieder ganz auf die Eroberung des Weltraums stürzen können.