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Eine Party ... in der Großraum-Assi-Disco

Das Q-Dorf ist Berlins Äquivalent zum Ballermann. Es ist RTL 2 im echten Leben und das Gerücht grassiert, dass man entweder kotzen muss oder eins auf die Fresse bekommt, wenn man sich dort hineinwagt.

Es ist schon etwas paradox, wenn eine alternative Musikszene wie die von Berlin weltweit so viel Aufmerksamkeit erregt, dass sie berüchtigt, aber auch „normal“ wird. Tatsächlich ist schon so viel über das „legendäre“ Clubleben der Stadt geschrieben und gesprochen worden, dass ich mich dazu hier nicht weiter äußern werde. Um die nicht ganz so glaubwürdige Logik, dass Mainstream der neue Underground ist und lahm das neue cool, zu untersuchen, beschloss ich, den größten und populärsten Club der Stadt aufzusuchen.

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Das Q-Dorf ist seit 37 Jahren die Plastikperle, die an Charlottenburgs Krone klebt, und um dem dubiosen Anspruch gerecht zu werden, der Größte zu sein, hat der Club vor Kurzem entschieden, dass das noch nicht groß genug ist. Der Bautrupp rückte also an, und wenn man der Website Glauben schenken darf, waren das lauter leichtbekleidete Mädchen mit Schmollmund. Aber Hut ab! Alle fünf Tanzflächen und 18 Bars waren rechtzeitig fertig, und der Wodka-Bull getränkten Neueröffnung des Q-Dorfs stand nichts mehr im Weg.

Irgendetwas fühlte sich sofort falsch an, als vor dem Eingang eine Schlange von Teenagern stand, die sich ihre Personalausweise vor die Brust hielten. Wie ein Tabak-Promoter, der Zigaretten an Minderjährige verteilt, veranstaltet das Q-Dorf Mittwochs eine Abi-Party, um ihre junge Klientel langfristig zu binden. Sie alle mussten einen zweifachen Test bestehen: zuerst ihr Geburtsdatum, dann die Schuhe. Um euch Qualitätsjournalismus und einen Einblick in die Türpolitik bieten zu können, habe ich das Geschehen volle vier Minuten lang beobachtet. Dabei lernte ich Folgendes: High Heels von H&M sind auf jeden Fall gut, Lackschuhe auch, ebenso die gesamte Kollektion von Foot Locker und sogar ausgelatschte Chucks. Der einzige arme Bursche, der nicht reingelassen wurde, hatte für den abendlichen Anlass Wanderstiefel gewählt. Ein klarer Fall von einem monumentalen NO-GO, was ihm sicherlich nie wieder passieren wird. Beim Hineingehen erhielt jeder einen Stempel mit Berliner-Bär-Motiv und den Worten „Made in Berlin“, was im Nachhinein betrachtet zu den unaufdringlicheren Berührungspunkten und subtileren Strategien des Abends zählte. Noch bevor du die Garderobe erreichst, musst du es an einer erbarmungslosen Schlager-Karaoke-Ecke vorbeischaffen.
Dort herrschte noch eine Gewisse Nüchternheit, im Gegensatz zum Baggermarathon der Feierwütigen ein Stockwerk tiefer.

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Der Club ist im Prinzip eine lange Aneinanderreihung von Bars und Tanzflächen mit Musik, die sich an diesem Abend irgendwo zwischen Salsa und HipHop bewegte, ich konnte da leider keine genaueren Unterschiede erkennen. Der offizielle Q-Dorf-Reopening-Song von [Heiß & Eis](http:// http://www.youtube.com/watch?v=8cLlX3V7cMc) war Programm: poppige Tanzmusik beherrscht von blechernen Computervocals und Drums aus dem Synthesizer. Die Haus-DJs, darunter DJ Fox und DJ Bat (sie hatten nicht alle Tiernamen), sahen sich einer wirklich nicht beneidenswerten Aufgabe konfrontiert: Wenn die Leute einen Song irgendwie erkannten, flippten sie aus, und wenn sie den Song tatsächlich kannten, flippten sie so richtig aus, und wenn Beyonce und Jay-Z mit „Crazy in Love“ im Duett erklangen, ein Sommerhit aus dem Jahr 2003, explodierten sie. Deshalb waren die DJs gegen ihren Willen dazu gezwungen, in einer ewigen Leier die gleichen Lieder immer und immer wieder zu spielen. Ich möchte sie mir wenigstens folgendermaßen in Erinnerung behalten: musikalische Genies, gefangen hinter Plexiglasscheiben und dem Publikumsgeschmack gnadenlos ausgeliefert.

Die Gogo-Bühne war das Zentrum des Geschehens: Typen versammelten sich darum, um Göttinnen mit getapten Nippeln zu huldigen. An den männlichen Gogos war dagegen nicht ein Millimeter nackter Haut zu sehen, und obwohl sie von Kopf bis Fuß Kunstpelz trugen, ließ man ihnen kein bisschen mehr Würde.

Wenn man bereit war, für eine große oder auch extra-große Flasche Schnaps zu blechen, konnte man so ziemlich jeden Tisch als VIP einnehmen. Ich bezweifle, dass so eine Flasche jemals das ernüchternde Loch ihn ihrem bescheidenen Selbstbewusstsein füllen kann. Diese Draufgänger bewiesen Stil: Zwei volle Tische bei 60 Euro pro Flasche.
Damit hatten sie sich den Luxus eines Sitzplatzes erworben und brachten die Wände zum Wackeln, während sie von ihrer VIP-Area—die etwa 10 cm über der Tanzfläche lag—aus auf den tanzenden Pöbel herabblickten.

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Hier sind wir in einer Lounge, in die man nur mit Reservierung kam. Das Mädchen rechts im Bild wirkte hier eher wie eine IP in einer Welt voller VIPs. Zum einen hatte sie bei der Pose völlig versagt: zur Seite drehen, Brust und Arsch raus, Bauch rein. Zweitens steht sie ausgerechnet neben so großen Frauen und hat keine hohen Schuhe an, was ihr nur einen einzigen Ausweg ließ: sich unbemerkt langsam auf die Zehenspitzen stellen, in der Hoffnung, dass der Fotograf die Füße nicht mit aufs Bild nimmt. Du warst so nah dran, Kleine, aber Freundschaftsanfragen sendet dir niemand mehr!

Man konnte in dieser Nacht auch anders Facebook-Freunde loswerden. Für ein billiges Glas Prosecco konntest du deine Freunde (und deine Integrität—falls vorhanden) verkaufen. Dafür musstest du nur deinen Facebook-Account samt Freundesliste an diese Social-Media-Zuhälterin aushändigen, die dann alle deine Freunde zu Partys einlädt, eine peinlicher als die andere. Als die Einladungen für Black Attack und Friday Bang raus waren, war ich schon wieder mit einem Gratis-Getränk in der Hand unterwegs.

Alle schienen einen wirklich wirklich guten Abend zu haben. Diese beiden Fast-Zwillinge waren so begeistert darüber, nicht mehr vor ihrem Kinderzimmer-Spiegel tanzen zu müssen, dass sie mit Moves um sich ballerten, als säße ihnen Usher  höchstpersönlich im Nacken. Ihre fünfzehn Minuten Ruhm endeten, als sie anfingen, sich Mädchen für private Showeinlagen auszusuchen.

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Es fühlte sich allmählich an, als wäre ich in einem Paralleluniversum, wo alles, was ich bisher über Berlins Nachtleben zu wissen glaubte, auf den Kopf gestellt wurde. Fotografieren war weder verboten noch verpönt. Wie ein Rudel Löwinnen in der Q-Dorf-Serengeti tauchten Herden von Mädchen aus allen Ecken des Clubs auf und lauerten der Kamera auf, um ihr dann die ganze Nacht nachzujagen und sie überfallartig aus dem Hinterhalt anzugreifen.
Die Jungs, die nicht ganz so verzweifelt schienen, hatten fast allesamt nassrassierte Gesichter, so glatt wie Babypopos, und machten den Eindruck, als würde keine Woche vergehen, in der sie nicht zum Frisör gehen, um ihren Standardschnitt nachbessern zu lassen—oben kurz und an den Seiten auch, nur noch kürzer.

Ein einfaches, dunkles, nicht identifizierbares Getränk reichte aus, damit dieser junge Vater das stolzeste Gesicht machte, das er je zuvor gemacht hatte. Eng hielt er sein eiskaltes Neugeborenes umklammert. Aus gutem Grund. Auf sein Baby schienen es den Blicken nach einige abgesehen zu haben.

Im Grunde schmeckte es wie purer Multivitaminsaft, aber die ganzen E-Nummern entfalteten alsbald ihre Wirkung und ich begab mich auf die Suche nach dem harten Kern der Q-Dorf-Gänger, die regelmäßig kamen und die Party zu dem machten, was sie war.

Beim nächsten, mit Knicklicht bewaffneten Herausforderer der Kamera gestaltete sich das Duell ähnlich heikel. Gleich von Anfang an schoss er aus vollen Rohren: In der einen Hand hatte er Bier und Kippe, mit der anderen formte er das Victory-Zeichen. Ganz klar: Wieder war ein Profi am Werk. Und obwohl diese Typen cool waren, fehlte irgendwas.

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Zwar hatte ich mit meinem karierten Hemd den Dresscode voll getroffen, war aber noch immer nicht wirklich integriert.

Als ich diese Beiden traf, malte ich uns eine Zukunft als Comedy-Trio, ähnlich den drei Stooges, nur weniger subtil, aus. Aber gerade als unsere Beziehung sich zu vertiefen schien, versetzen sie mir mit den Hasenohren einen unerwarteten Schlag. Die grausamste aller Verspottungen. Ich war schon soweit, nach Hause zu gehen und mir noch einmal Disco-Streiche für Dummies durchzulesen, als etwas Seltsames geschah. Die Stimmung schlug schlagartig um und mir war klar, dass eine bestimmte Stunde überschritten war. Ja Leute, die Knutschzeit war angebrochen und diverse Szenen von Ringelpiez-mit-Anfassen spielten sich vor meinen Augen ab.

Gleichzeitig sollte man aber nicht vergessen, dass es hier im Q-Dorf auch Momente zärtlicherer Natur gab.

Kennst du das Gefühl, so im Moment gefangen zu sein, dass nichts Anderes mehr eine Rolle spielt? Du könntest dir selbst lauwarmes Bier über die Hose gießen, während dir die Kamera permanent ins Gesicht blitzt und dir wäre es egal: Alles, was zählt, ist der Kuss. Wenn du dieses Gefühl nicht kennst, dann befürchte ich, weißt du nicht, was wahre Liebe ist.

In den beiden Eröffnungsnächten verzeichnete das Q-Dorf mehr als 4.000 Besucher, aber dieser Kerl hier war ohne Zweifel der König des Wochenendes. Regelrecht nonchalant, so als wäre es nichts Besonderes, saß er mit glühendem VIP-Bändchen am Handgelenk auf der blitzblanken weißen Ledercouch. Eine Arschbacke in seiner Linken, und eine Wodkaflasche in seiner Rechten.
Nun war es für mich endgültig an der Zeit aufzubrechen. Ich salutierte dem König vom Ku’damm und seiner Q-Dorf-Königin, bevor ich schleunigst in die U1 sprang, um dorthin zurückzufahren, wo die Welt noch in Ordnung ist.

Fotos: Grey Hutton

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