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Ungarische Roma wollen dich von ihrer guten Küche überzeugen

Gerüchten zufolge sollen die Roma in Ungarn am liebsten verbrannte oder überfahrene Tiere essen. Um diesen Quatsch aus der Welt zu schaffen, habe ich ein Roma-Restaurant in Budapest besucht.

Wenn man in Budapest lebt, fallen einem die hier lebenden Roma überall auf. Selbst wenn man sie nicht sieht, hört man zumindest von ihnen. Die Zeitungen klagen über ihre Diskriminierung, es kursieren Gerüchte, dass Roma überfahrene Tiere essen, und ungarische Freunde warnen einen, auf das Handy aufzupassen, wenn man welche sieht—es ist also sehr einfach, eine diffuse Vorstellung von dieser Minderheit zu entwickeln, ohne jemals mit ihr zu tun gehabt zu haben.

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Als ich auf einer ungarischen kulinarischen Website zufällig auf ein Roma-Restaurant stieß, wollte ich unbedingt dahin und typisches Roma-Essen probieren—trotz der Gerüchte über die überfahrenen Tiere. Ich esse gerne und habe noch nie ein Roma-Gericht gegessen oder einen Rom richtig kennengelernt. Bislang beschränkten sich meine diesbezüglichen Interaktionen auf einen kleinen Jungen in Belgrad, der mir erst den Kopf tätschelte und mich dann beleidigte, als ich ihm kein Geld geben konnte. Das wiederum erinnerte mich an eine Situation in Zagreb, als ich sah, wie ein Mann ein Mädchen das Ave Maria aufsagen ließ, bevor er ihr ein paar Kuna gab. Also beschloss ich, dass Essen wahrscheinlich der beste Weg ist, mehr über diese Bevölkerungsgruppe zu erfahren. Eine Google-Suche brachte mich auf Romani Platni, ein Restaurant, das einmal pro Woche Abendessen serviert.

Als gute Geschichtsstudentin führte mich der erste Weg in die Bibliothek, wo ich einen Schatz aus dem Jahr 1816 fand—ein Buch mit dem Titel Historischer Überblick über Bräuche, Gewohnheiten und die gegenwärtige Situation der Roma, der mich darüber informierte, dass ihr „größter Luxus“ darin besteht, „sich einen Braten aus einem Rind zu machen, das durch irgendeine Art Unfall oder Katastrophe gestorben ist, und sich daran satt zu essen.“ Darüber hinaus lernte ich Folgendes:

„Besonders gern haben sie Tiere, die durch Feuer gestorben sind. Wann immer es zu Großbränden kommt, versammeln sich Zigeuner aus allen benachbarten Vierteln und ziehen die erstickten, halbverbrannten Tiere aus der Asche; truppenweise tragen Männer, Frauen und Kinder das Fleisch freudig in ihre Wohnstätten … Wenn jemand ihren Geschmack kritisiert oder seine Verwunderung äußert, sagen sie: ,Das Fleisch eines Tieres, das von Gott getötet wurde, muss besser sein als das Fleisch eines Tieres, das von Menschen getötet wurde.‘“

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Nun war ich noch neugieriger als vorher und meldete mich per E-Mail beim Restaurant an. Ich freute mich auf das „kulturelle Verständnis durch Essen“, mit dem die Facebook-Seite von Romani Platni warb. Ich konnte nicht anders, als mir große bunte und vor Heiterkeit überströmende Tische auszumalen, wie man sie aus Emir Kusturicas Filmen kennt.

In Wirklichkeit verlief das Abendessen dann jedoch etwas anders. Im Gegensatz zu dem, was ich über die Küche der Roma gelesen hatte, gab es keine legendäre Schneckensuppe, kein Igelgericht und keine überfahrenen Tiere. Stattdessen enthüllte sich mir und den 20 Anthropologiestudenten, die an diesem Abend ebenfalls da waren, eine einfache Wahrheit: Roma essen das Gleiche wie alle anderen Ungarn.

Als ich an dem Gebäude in der Tűzoltó-Straße ankam, lief ich zuerst an dem Restaurant vorbei in den dunklen Hof, wo ich zwei Roma-Teenager um Rat fragte, die mich hilfsbereit zurück zur Straße brachten und mich persönlich ins Restaurant begleiteten—nicht, ohne mich vorher scherzhaft zu ihnen in die Wohnung einzuladen. Ich verzichtete jedoch auf diese Gelegenheit, noch tiefer in die Kultur der Roma einzutauchen, als ich eigentlich vorhatte.

Als ich den Vorraum des Ladens betrat, sah ich vor der kleinen offenen Küche eine Bar mit ein paar Stühlen, über der eine Romani-Platni-Fahne hing. Links von der Küche standen fünf Tische mit roten Tischtüchern, außerdem enthielt der einfach eingerichtete Raum zwei große Fenster, die von dunklen Vorhängen gerahmt waren.

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Ich war der erste Gast. Zuerst lernte ich Krisztina kennen, eine Sozialarbeiterin, die bei der Organisation der seit mittlerweile eineinhalb Jahren stattfindenden Abendessen mithilft. Die beiden lächelnden Köchinnen Magda und Nora begrüßten mich herzlich, während sie sich über ihre brodelnden Töpfe beugten und Musik aus den Lautsprechern schallte. Von Kristina erfuhr ich, dass Magda und Nora in einer Wohnung über dem Ladenvorraum wohnen und einmal pro Woche traditionelle Roma-Essen kochen. Außerdem erzählte sie mir, dass es drei Roma-Gruppen in Ungarn gibt und das heutige Abendmenü Gerichte von zwei dieser Gruppen kombiniert.

Als die anderen Gäste eintrafen, nahmen wir Platz. Außer den Studenten war auch ein Pärchen gekommen, das eigenen Wein dabei hatte, und eine gesprächige Sozialarbeiterin, die ihren pubertierenden Sohn mitgebracht hatte. Die Stimmung im Raum war wie bei einer Dinnerparty, die sich noch in einem so frühen Stadium befindet, dass niemand zum Smalltalk bereit ist.

Unser Kellner war der 19-jährige Krisztofer, der vor Kurzem die Schule beendet hatte, worauf die Sozialarbeiterin sichtlich stolz war. Es war das erste Mal, dass er hier kellnerte. Mit beiden Händen trug er jede Suppe einzeln auf.

Der als Kartoffelsuppe angekündigte erste Gang bestand aus einer ölig-wässrigen roten Brühe auf Tomatenbasis, gewürfelten Kartoffeln und großzügigen Mengen fettiger Schweinefleischstücke. Sie wurde mit dem berühmten ungesäuerten Brot der Roma serviert, das ich letztendlich lieber mochte als die Suppe—die nicht nach besonders viel schmeckte. Großzügig wurde uns ein Nachschlag angeboten, und Magda blickte mich enttäuscht an, als sie merkte, dass ich nicht alle Fleischstücke aufgegessen hatte.

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Als wir leise sprechend dasaßen und auf den nächsten Gang warteten, konnte ich das stereotype, aber tolle Verhalten der Leute auf der Straße beobachten. Zwei Männer in Anzügen und eine Frau in Highheels lungerten eine Weile vor ihrem großen Auto herum und bretterten dann lärmend die kleine Straße herunter. Noch mehr freute ich mich über den ersten Bissen des Hauptgerichts, das die ungarische und die Küche der Roma miteinander kombinierte: hausgemachte ungarische Spätzle mit Kohl, die mit Brathuhn gereicht wurden. Es war eine überzeugende Kombination, herzhaft und hervorragend gewürzt. Meine angelesene Information, dass Roma aus Kostengründen nicht viele Gewürze verwenden, schien falsch zu sein. Magda sagte, dass die Würze durch Salz, Pfeffer und Knoblauch entstehe, was fast schon zu einfach klang, um wahr zu sein. Der Reiz des Gerichts bestand darin, dass es eher vom großmütterlichen Herd als aus einem Budapester Restaurant zu stammen schien. Die vegetarische Alternative, ein riesiger Berg Reis, sah nicht ganz so verlockend aus.

Als ich mein Essen fotografierte, wie es sich für jeden gewissenhaften Journalisten gehört, zog ich neugierige Blicke der anderen Gäste auf mich. Vielleicht ist der Trend der Food-Blogs in Ungarn noch nicht so ausgeprägt.

Nach dem bestechenden Hauptgericht folgte ein Dessert namens Turo. Im Grunde handelte es sich dabei um Bällchen aus trockenem Hüttenkäse, die wie Eiskugeln aussahen und mit einer Maulbeerensoße abgerundet waren. Für mich war die Maulbeerensoße das Highlight, weniger die Käsebällchen. Dass ich nicht mehr davon aß, kam mir fast ein wenig unhöflich vor, so als ob ich an dem kulturellen Austausch, für den ich mich ja angemeldet hatte, nicht voll und ganz teilnehmen würde. Doch dann merkte ich, dass die Leute am Nachbartisch nicht einmal die Hälfte ihrer Teller gegessen hatten. Während ich langsam mit meiner Portion vorankam, füllte sich der Raum mit Livemusik.

Das aus einem Mädchen und einem Jungen bestehende Duo begann mit einer Interpretation der internationalen Roma-Hymne und machte dann mit der ungarischen Roma-Hymne weiter. Außerdem sangen sie eine Reihe anderer Songs, die ich nicht kannte, aber denen ich gern zuhörte. Nach dem Essen wirkten alle sichtlich entspannt. Ein Mädchen klatschte den Beat der Musik mit, eine Anthropologiestudentin versuchte, mit den Holzlöffeln, die man ihr gegeben hatte, Musik zu machen—sehr zum Vergnügen ihrer Tischgenossen. Sogar die Musiker lächelten noch ein bisschen mehr als vorher.

Als ich Magda an der Bar 2.400 Forint [8 Euro] gab (ungefähr ein Durchschnittspreis in Ungarn für ein einfaches Abendessen) und eine handschriftliche Quittung entgegennahm, schlich sich das Pärchen davon, während die Musik noch weiterspielte. Ich verließ das Lokal vor den anderen, mit dem Wissen, dass das Essen der Roma von dem Land, in dem sie leben, beeinflusst ist. Und mit dem Gedanken, dass ich zu einem anderen Abendessen wiederkommen und dann Freunde und Wein mitbringen würde. Vielleicht sitzen dann ja auch ein paar Roma mit am Tisch.