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Die Krise in der Zentralafrikanischen Republik

Im Moment terrorisieren Banden, die sich meist aus muslimischen Séléka-Rebellen zusammensetzen, die mehrheitlich christliche Bevölkerung und vergewaltigen und ermorden Zivilisten. Zivilisten haben daraufhin eigene Anti-Balaka-Milizen—Balaka bedeutet...

Fotos und Video von Robert King

Als die Massaker begannen, flüchteten sie zum Flughafen.

Die Einwohner von Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, wussten, dass am Internationalen Flughafen Bangui M’Poko französische Soldaten stationiert waren. Als die Kämpfe in der letzten Woche erneut aufflammten, flüchteten sie zum Flughafen, in der Hoffnung, dass die Soldaten ihnen Schutz bieten würden. Fünf Tage später landeten wir in M’Poko.

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Die religiösen Kämpfe, die die Zentralafrikanische Republik, die zu den ärmsten Ländern der Welt zählt, beinahe zu einem Zusammenbruch geführt haben, begannen im März, als Michel Djotodia und sein loses Rebellenbündnis (bekannt unter dem Namen Séléka) Bangui stürmten und Präsident François Bozizé vertrieben. Djotodia ernannte sich selbst zum neuen Präsidenten und versuchte, die Séléka in die Armee zu integrieren, was jedoch scheiterte. Djotodia gab zu, dass selbst er keine Kontrolle über die meisten Rebellen mehr hat, von denen viele Söldner aus den Nachbarländern Tschad und Sudan stammen sollen.

Im Moment terrorisieren Banden, die sich meist aus muslimischen Séléka-Rebellen zusammensetzen, die mehrheitlich christliche Bevölkerung und vergewaltigen und ermorden Zivilisten. Letztere haben daraufhin eigene Anti-Balaka-Milizen—Balaka bedeutet Machete oder Schwert—gegründet, um sich zur Wehr zu setzen. Mittlerweile haben viele der Menschen, die sich nicht an den Kämpfen beteiligen, Zuflucht an den einzigen Orten gesucht, die sie noch als sicher betrachten: in Gotteshäusern. Auf der anderen Seite fürchtet die Minderheit der muslimischen Zivilisten nach der neunmonatigen Herrschaft der Séléka nun Vergeltungsschläge der Anti-Balaka-Milizen.

Die Vereinten Nationen und prominente NGOs befürchten, dass sich die Situation noch erheblich verschlimmern könnte.

„Ein logistischer Albtraum“ Es könnte sein, dass die Lage in den Gegenden außerhalb der Hauptstadt schon jetzt viel schlimmer ist als angenommen, da der Schutz des französischen Militärs und die medizinische Hilfe der NGOs dort weit entfernt sind. Doch das Land ist so groß und die Bevölkerung so verstreut, dass das Ausmaß der Gewalt bislang noch nicht abzuschätzen ist. Viele Dörfer sind verlassen, ihre Einwohner sind in die Wildnis geflüchtet. Malaria und Mangelernährung sind ihnen gefolgt. „Es ist ein logistischer Albtraum“, sagte Romain Gaduchon, der kürzlich einen Flug des Europäischen Amts für humanitäre Hilfe (ECHO) organisiert hat, um Hilfsgüter zu liefern. Er beschreib die Zentralafrikanische Republik aufgrund der mangelhaften Infrastruktur, der fehlenden Häfen und wegen des dichten Dschungels als eines der am schlechtesten zugänglichen Länder Afrikas. Neben den Hilfsgütern brachte der ECHO-Flug auch andernfalls aufgeschmissene Journalisten wie uns mit. Auf der Hälfte des Fluges bekamen wir eine Einweisung von einem der ECHO-Angestellten: Das Gebiet in der Nähe des Flughafens war nicht sicher. In der Nacht zuvor waren zwei französische Soldaten getötet worden. Daraufhin hatten Christen muslimische Wohngegenden geplündert und Zivilisten getötet. Beim Landeanflug konnten wir im Umkreis des Flughafens provisorische Barackensiedlungen und Lager von Vertriebenen sehen. Überall waren französische Soldaten. Flüchtlinge hielten Schilder hoch, auf denen sie Djotodia anprangerten, und skandierten dabei: „Danke, Präsident Hollande. Danke, französische Armee.“

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Am Flughafen erzählten uns französische Journalisten, dass sich Meinungen über die Medien über Nacht scheinbar geändert hatten. An diesem Tag seien die Journalisten in den muslimischen Gegenden wütend angestarrt worden und einige Zivilisten hätten mit Gesten angedroht, ihnen die Kehle durchzuschneiden. Als wir uns am nächsten Tag auf die Straßen wagten, begegnete man uns jedoch freundlich. Wir reisten zu einem Kloster, das wie viele andere Gotteshäuser zu einem provisorischen Lager für Vertriebene geworden war. Pater Yeelen Waongo erzählte uns, dass zur Zeit 15.000 Menschen auf dem Grundstück leben. Er schob die Schuld an den Kämpfen ausschließlich der Politik zu und sagte, dass religiöser Eifer von manchen Leuten manipuliert würde, um Macht zu gewinnen.
Für den Jurastudenten Emmanuel Teka, der im Kloster Schutz suchte, ist der derzeitige Präsident schuld an den Problemen. „Die französischen Truppen müssen die Séléka und die Anti-Balaka entwaffnen“, sagte er. Und was ist mit der Rache? „Sie bringt nichts, aber die Leute hier wollen sie.“
Teka sagte, dass es die Aufgabe des Präsidenten sei, für Frieden zu sorgen. Anderswo im Lager sangen Frauen und Kinder Lieder, in denen sie seinen Rücktritt forderten.

„Wir hatten immer Frieden“ Bangui steht noch immer auf der Kippe, doch die Situation scheint sich heute etwas stabilisiert zu haben. Die Geschäfte sind geschlossen, aber auf den Straßen sieht man Leute, die versuchen, wieder zu einem normalen Leben zurückzufinden. Im Vergleich zur letzten Woche ist das eine enorme Entwicklung. Wir sahen nur wenige Séléka-Kräfte. Ein paar junge Männer riefen auf der Straße: „Frieden, Frieden!“ Abgesehen davon war die Lage an einem französischen Checkpoint im gefährlichen PK 12-Viertel noch immer gespannt. Als wir ankamen, lag ein junger Mann auf einer provisorischen Bahre und blutete heftig am Bein. Seine Freunde erzählten uns, dass Séléka-Rebellen mit einer Machete auf ihn eingeschlagen hatten. Sie schrien nach Rache. Daraufhin ging Dr. Andre Gombako auf die Männer zu und erzählte ihnen, dass sein Bruder vor ein paar Tagen von den Séléka getötet worden war. Er betonte, dass es nötig sei zu vergeben und ermahnte alle, trotz des Angriffs gewaltlos zu bleiben. „Ich habe keine Wut in mir“, sagte er. „Wir hatten in diesem Land bisher immer Frieden zwischen Christen und Muslimen.“ Gombako sagte, dass das Land zwei Dinge braucht, um die Gewalt zu überwinden: eine generelle Entwaffnung und die Vertreibung jener ausländischer Kämpfer, die mit Djotodia aus dem Tschad und dem Sudan gekommen waren.

Später blieb am Checkpoint ein einzelner Pickup voller schwer bewaffneter Soldaten der multinationalen, zur Friedenssicherung entsandten FOMAC-Truppe stehen. In der Menge breitete sich ein Raunen aus, und es wurden einige wütende Worte gewechselt. Einwohner erzählten uns, dass einige Söldner aus dem Tschad, die mit den Séléka-Kräften ins Land gekommen waren, in die Reihen der FOMAC-Soldaten gewechselt seien. Sie fürchteten, dass diese sie bald angreifen würden.   Nach einer Straßenblockade fanden wir in einer muslimischen Wohngegend Einwohner, die die Behauptung verneinten, dass Mitglieder der Séléka aus dem Tschad und dem Sudan kämen. Sie sagten, dass die französischen Truppen wahllos Muslime diskriminieren, aber keine der Anti-Balaka-Milizen entwaffnen, wodurch Muslime den Vergeltungsmaßnahmen der Christen schutzlos ausgeliefert seien. „Auf die Christengemeinde haben es die französischen Truppen nicht abgesehen, nur auf die Muslime“, erzählte uns eine Person. „Wir brauchen die Vereinten Nationen.“ Die Meinungen der muslimischen Zivilisten über die Séléka waren gespalten. Doch auch hier betonten die Leute, dass zwischen Muslimen und Christen alles gut war—bis die Séléka auftauchte. „Wir wissen nicht, wie es zu diesem Problem kam“, sagte ein Mann. Muslime neigen dazu, der Anti-Balaka die Schuld am Konflikt zu geben, und sagen, dass ihre Darstellung als Schutzmacht irreführend sei. Ihnen zufolge handelt es sich bei der Anti-Balaka um Loyalisten von Bozizé, die von politischen Kräften manipuliert worden sind. „Die Christen haben ihre Macht verloren, aber sie wollen die Niederlage nicht akzeptieren“, sagte uns ein Mann namens Ali. In der ganzen Stadt sucht man die Schuld an jeweils anderer Stelle: Die Anti-Balaka hat angefangen. Die Anti-Balaka wehrt sich gegen die Séléka, die angefangen haben. Langjährige religiöse Spannungen sind übergekocht. Die religiösen Spannungen sind brandneu. Die Tschader sind schuld. Oder die Leute aus Darfur. Oder die Franzosen. In anderen Worten: Niemand hat eine richtige Erklärung dafür, warum langjährige Nachbarn plötzlich angefangen haben, sich umzubringen, oder warum sich mehr als 100.000 Menschen in Bangui zu Hause nicht mehr sicher fühlen.