Wie in Niederösterreich mit Flüchtlingen Geld gemacht wird

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Wie in Niederösterreich mit Flüchtlingen Geld gemacht wird

„Es ärgert mich, dass sich der Betreiber, eine goldene Nase verdient, während wir seine Arbeit erledigen."

Früher sei der Hof einmal ein Luxushotel gewesen. Chefs sollen mit ihren Sekretärinnen übers Wochenende hierher gefahren sein, erzählt man sich im Ort. Der Hof in Niederösterreich ist 8 Kilometer vom Zentrum entfernt. Zirka eine Stunde geht man zu Fuß. Eine wenig befahrene Bundesstraße führt zu ihm—der perfekte Ort für ein heimliches Techtelmechtel im Nichts.

Schon seit den 80er-Jahren dient der Hof als Flüchtlingsunterkunft. Laut dem Bürgermeister war die Unterbringung von Flüchtlingen zu diesem Zeitpunkt noch kein Problem: „Damals war die Integration noch leichter", erinnert er sich. „30 Tschechen und Slowaken wohnten dort und die sind heute mit Österreichern verheiratet und arbeiten hier in den Firmen. Die Stimmung im Ort war gut. Das Misstrauen begann erst mit den Tschetschenen."

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Heute wohnen 67 Asylwerber in der Unterkunft—darunter viele junge Männer und auch Familien aus Syrien, Pakistan und Afghanistan. „Sie zu integrieren, das wird nichts mehr werden", sagt der Bürgermeister zur aktuellen Lage. Insgesamt gäbe es im Ort mittlerweile 100 Flüchtlinge—das sei für eine Gemeinde mit 3.700 Einwohnern einfach zu viel. Auch die Bezirksumfrage zeigt ein ähnliches Bild: 75 Prozent der Bewohner sind mit der aktuellen Flüchtlingspolitik im Bezirk nicht zufrieden.

Nicht nur die Lage des Flüchtlingsheims sei ein Problem, so der Bürgermeister, sondern auch, dass sich der Betreiber nicht um die Flüchtlinge kümmere. „Der macht schlichtweg nichts anderes, als eine fette Gage zu kassieren. Es verdienen einige Leute hier sehr viel Geld mit den Flüchtlingen. Aber sie kümmern sich nicht um sie, nein—das müssen die ehrenamtlichen Helfer tun. So ist das in Österreich und niemand schreitet ein", sagt der Bürgermeister.

Dem Betreiber Thomas K.* gehören insgesamt vier Flüchtlingsunterkünfte im Ort: zwei Asylheime und zwei Wohnungen. Die Heime werden von der Diakonie betreut, was bedeutet, dass alle zwei Wochen Sozialarbeiter von ihnen zur Beratung vorbeikommen. Alle 100 Flüchtlinge im Ort leben also unter dem Dach desselben Eigentümers.

Maria T.* ist eine von vielen ehrenamtlichen Helferinnen, die sich am Hof für die Flüchtlinge einsetzt. Sie wohnt im Nachbarort, ist selbstständig und kann sich ihre Arbeitszeit flexibel einteilen. „Das ist auch wichtig, sonst würde sich die Arbeit am Hof nicht nebenbei ausgehen", sagt sie.

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„Es verdienen einige Leute sehr viel Geld mit den Flüchtlingen. Aber sie kümmern sich nicht um sie, nein—das müssen die ehrenamtlichen Helfer tun. So ist das in Österreich und niemand schreitet ein."

Das Leben am Hof sei mittlerweile wirklich unmenschlich geworden. Dass es diese Unterkunft in der bestehenden Form überhaupt gäbe, sei eine Frechheit, findet sie. Gleichzeitig ist die Helferin aber auch zwiegespalten: Denn selbst wenn sie medialen Druck auf den Eigentümer ausüben und die Unterkunft geschlossen würde, wäre fraglich, wo die Flüchtlinge hinkommen würden. „Man weiß nie, ob es dann nicht noch schlimmer werden würde für sie", meint Maria T.

Der ehemalige Gasthof ist heute eine Selbstversorger-Unterkunft. Das heißt, dass sich die Bewohner dort alle ihre Lebensmittel selbst einkaufen und sämtliche Mahlzeiten zubereiten. Das heißt aber auch, dass der Eigentümer für eine „entsprechende Infrastruktur" zu sorgen hat. Das beinhaltet laut dem Asylwerber-Einzelvertrag für Niederösterreich Koch- und Kühlmöglichkeit außerhalb der Wohn- und Schlafzimmer sowie die Bereitstellung von Koch- und Essgeschirr. Zudem gestaltet sich schon das Einkaufen selbst für die Flüchtlinge ziemlich schwierig, da der nächste Supermarkt 8 Kilometer entfernt ist und am Wochenende keine Busse fahren.

„Es gibt im Haus zu wenige Herde für die 67 Menschen und nicht mal die funktionieren alle", sagt Maria T. Zwei davon stehen in einer kleinen Küche. Die anderen Herde und Kühlschränke stehen auf den Gängen oder in den Zimmern der Asylwerbern.

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Auch im Vertrag steht, dass der Quartiergeber für die Einnahme der Mahlzeiten—außerhalb der Schlafräume—ausreichend Platz zur Verfügung stellen muss. Einen zugänglichen Gemeinschaftsraum jeglicher Art gibt es am Hof nicht, weder für die Erwachsenen noch für die Kinder. „Die Flüchtlinge kochen am Gang und gehen dann mit ihrem Teller wieder in ihre Zimmer", erzählt Maria T. Das sei nicht nur unhygienisch, sondern auch schlecht für das Zusammenleben.

Franz Koppelstätter ist Leiter des Architekturforums Oberösterreich und beschäftigt sich unter anderem mit der Wirkung von Wohnräumen: „Aus der Soziologie wissen wir, dass Essen einen wichtigen gesellschaftlichen Aspekt im gemeinsamen Leben und Wohnen darstellt." Bedenklich ist, dass es sogar eine Gaststube mit Schank und einen weiteren Geschäftsraum im Gebäude gäbe, wo die Flüchtlinge gemeinsam essen könnten, diese aber abgesperrt sind.

Dort stehen Holztische mit Häkeltischdecken und Trockenblumen—fast wie in einem Josef Hader-Film. Mohammed S.* wohnt gemeinsam mit seinem Bruder in einem Zimmer am Hof. Er steht vor der Gaststube, die mit einem Metallgitter abgesperrt ist und erzählt: „Dieses Gitter ist immer da und ich verstehe nicht, warum. Hier könnten wir endlich gemeinsam essen oder am Abend sitzen."

Den Betreiber Thomas K. kann man leider nicht fragen, warum er die Gaststube zusperrt. Er reagiert nicht auf Anrufe. „Da brauchen Sie sich gar nicht wundern", sagt der Bürgermeister des Ortes. „Mit mir spricht er auch nicht. Er hat mich noch nie zurückgerufen. Das ist vermutlich seine Taktik". Auch Helferin Maria T. hat den Besitzer noch nie zu Gesicht bekommen. „Ich habe ihm damals im Oktober, als die Heizung nicht ging, die Mailbox vollgequatscht und habe bis heute nichts von ihm gehört."

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Als es im Oktober kalt wurde und die Heizung nicht funktionierte, beschlossen Maria T. und andere Bewohner des Nachbarortes, selbst einzuschreiten. Sie kauften Fleecedecken für die Bewohner und Wärmflaschen für die Kinder von ihrem eigenen Geld. Vorfälle dieser Art kann Maria T. viele erzählen: von fehlendem Geschirr, fehlenden Kinderwägen, fehlenden Windeln, fehlender Kleidung sowie von Schädlingen und Schimmel auf den Zimmern haben sie am Hof schon alles erlebt.

Was auf die Entdeckung folgt, läuft immer recht ähnlich ab: Die Helfer bemerken Missstände, versuchen den Betreiber zu kontaktieren, der meldet sich nicht, sie melden das Problem der Diakonie, die den Hof betreut, diese meldet es dann dem Land Niederösterreich—und anschließend passiert wieder nichts, wie Maria T. erzählt. Aus diesem Grund greife dann meist die zu diesem Zweck gegründete Bürgerinitiative ein. „Wir bekommen aber kein Geld, weil wir das ja ehrenamtlich machen. Es ärgert mich, dass sich der Betreiber, während wir seine Arbeit erledigen, eine goldene Nase verdient", so Maria T. weiter.

Der Hof sei vollgestopft mit Menschen bis hin zum Dach, erzählt der Bürgermeister. Er sehe dahinter auch egoistische Gründe, denn Thomas K. kassiere eben pro Person Geld vom Land. Für die Selbstversorgung bekommt der Betreiber mindestens 17 Euro pro Person und Tag vom Land Niederösterreich für die Grundversorgung ausbezahlt. Davon gehen täglich 5,50 an den Flüchtling und 11,50 bleiben dem Betreiber. Wenn man von 67 Asylwerbern und einem Monat mit 30 Tagen ausgeht, sind das 23.115 Euro im Monat beziehungsweise 277.380 Euro im Jahr.

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„Beim Land passiert natürlich jetzt nichts mehr, weil es ohnehin schon zu viele Flüchtlinge und zu wenige Quartiere gibt"

Patrick Jaritz, von der Plattform Baukulturpolitik, bewertet das als eine „hohe Summe". Natürlich kenne man die Fixkosten des Gebäudes nicht, aber zum Vergleich: Die Betriebskosten (Versicherung, Wasser- und Kanalkosten und so weiter) betragen für ein 1400 Quadratmeter großes Haus zirka 33.500 Euro für ein ganzes Jahr. Dazu müsse man natürlich noch die Heizkosten hinzurechnen, welche laut Jaritz ohne eine genaue Quadratmeterangabe schwer abschätzbar sind. Trotzdem denkt auch der Experte, dass am Ende dieser Rechnung genügend Geld für Sanierungen und die Erhaltung des Wohnraumes bleiben müsste.

Das Geld für die Grundversorgung müsse neben den Betriebskosten auch gesetzlich für die Erhaltung des Wohnraumes verwendet werden, erklärt die Pressesprecherin der Diakonie Roberta Rastl-Kircher. „In welchem Umfang das passiert, hängt aber leider von dem Eigenermessen des Eigentümers ab", sagt sie. „Darum gibt es sehr unterschiedliche Standards in den Unterkünften, weil es immer wieder Ausreißer gibt." Genauere Auskünfte zu den Unterbringungen darf die Diakonie wegen ihres Vertrags mit dem Land Niederösterreich nicht geben.

Bereits vor dem Sommer 2015 habe die Diakonie dem Land Niederösterreich die Missstände am Hof gemeldet. Danach kam zwar ein Diskurs zwischen Land und Diakonie in Gang—doch bevor sich etwas ändern konnte, wurde die Flüchtlingssituation in Österreich brisant. Immer mehr Menschen suchten in Österreich Schutz und das Land verstummte. Für Maria T. wurden die Probleme einfach unter den Teppich gekehrt.

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Auch der Bürgermeister des Ortes teilt diese Einschätzung: „Beim Land passiert natürlich jetzt nichts mehr, weil es ohnehin schon zu viele Flüchtlinge und zu wenige Quartiere gibt. Und manche Eigentümer nützen diese aktuelle Lage aus."

Auch für die anderen Unterkünfte im Ort erntet der Eigentümer Kritik. „In einer der Wohnungen lebt eine syrische Familie mit Baby und die haben seit Wochen Schimmel. Wir haben uns alle mehrfach beschwert und er tut einfach nichts dagegen", erzählt Maria K. Ebenso existieren ähnliche Anschuldigungen für das zweite Heim im Ort. 2010 wurde sogar ein Verein gegründet um auf die Missstände dort und die Probleme der Flüchtlinge aufmerksam zu machen. Der Verein ist heute für Gespräche leider nicht mehr auffindbar.

Überdenkt man all diese Fälle, dann symbolisieren sie für mich nicht nur das Aussetzen von Moral und Anstand, sondern auch, dass hier ein ganzes System, wenn nicht sogar die gesamte Politik versagt. Es ist klar, dass durch die vielen Menschen, die dieses Jahr nach Österreich kamen und Schutz suchten, das System erst mal stockte. „Allein in Niederösterreich wurden seit April 2014 insgesamt 8.887 neue Flüchtlinge in der Grundversorgung untergebracht", erklärt die Büroleiterin des Landes Niederösterreich Sabine Dohr.

Spätestens, wenn der Winter vorüber ist, werden mit den ersten wärmeren Tagen die Flüchtlingsströme wieder einsetzen. Dann braucht es bessere Lösungen, als die, die wir jetzt haben. Allein die Angst, eine Quote womöglich nicht mehr zu erfüllen, und nicht zu wissen, wohin sonst mit den Flüchtlingen, darf nicht der Grund dafür sein, menschenunwürdige Unterkünfte zu akzeptieren—oder Missstände zumindest zu ignorieren. Während gerade viel von einer möglichen Obergrenze für Refugees gesprochen wird, sollten wir eher über eine Untergrenze der Lebensstandards für Flüchtlinge nachdenken.

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Laut Jaritz gäbe es durchaus Alternativen und Flüchtlinge müssten nicht in „abgefuckten Unterbringungen" leben, wie er sagt. Aktuell wird etwa der Wohnungsleerstand auf 5 Prozent des Gesamtbestandes in Österreich geschätzt—und dabei geht es nur um solche Unterkünfte, die nicht renovierungsbedürftig wären. Zusätzlich zur Grundversorgung sollte man einen Fonds zur Anpassung von Wohnraum einrichten. Das würde den Flüchtlingen und den Eigentümern zugutekommen, so Jaritz: „Klar ist aber auch, dass es machen Leuten nicht taugt, wenn für Flüchtlinge neugebaut wird".

Das ist vermutlich auch der Grund, warum mit Flüchtlingen derzeit so einfach Geld verdient werden kann. Schaut man sich diese Gemeinde in Niederösterreich und die Einstellung des Bürgermeisters exemplarisch an, spiegelt sich darin ein Problem wider, das es so oder ähnlich in ganz Österreich gibt: Eigentlich wollen nur die wenigsten Gemeinde Flüchtlinge aufnehmen—entweder aus Angst vor dem Fremden oder auf die Gefahr hin, Wählerstimmen zu verlieren. Genau das macht Veränderungen in der Flüchtlingsunterbringungen und Wohnprojekte auch so schwierig.

„Leistbares Wohnen ist in Österreich generell ein Thema, ganz unabhängig von den Flüchtlingen. Hier braucht es dringend politische Konzepte, architektonische gibt es genügend", so Jaritz. In Anbetracht des absehbaren Zuzugs müsse über längerfristige Wohn-Lösungen nachgedacht und nicht immer wieder ein Notfallprogramm aktiviert werden. „Es braucht ganz einfach lebenswürdigen Wohnraum für bestehende und neue Mitbürger", betont er.

Mohammed S. steht währenddessen vor dem Hof im Schnee und erzählt zum Abschied, dass er sich mittlerweile frage, warum er eigentlich Deutsch lernt. Immerhin sei doch weit und breit niemand in der Nähe dieses Hofs, mit dem er Deutsch sprechen könnte.

Eva auf Twitter: @immerwiederEva

*Namen der Redaktion bekannt