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Wie fest steht die AfD am Boden der deutschen Verfassungsordnung?

Petry will das Asylrecht aussetzen, von Storch auf Flüchtlinge schießen lassen und auch ansonsten hat sich die Partei in den letzten Jahren einiges geleistet.
Foto: Imago | Christian Thiel

Beatrix von Storch, Europaabgeordnete der AfD, erntet gerade wieder einmal einen Shitstorm. In der Vergangenheit bekam sie Gegenwind vor allem aufgrund von roboterhafter Empathielosigkeit. Diesmal ist es allerdings schlimmer: Die AfD-Politikerin spricht sich öffentlich dafür aus, an deutschen Grenzen im Zweifel auch auf Frauen und Kinder zu schießen. Dass es sich dabei um mehr als nur einen Ausrutscher oder eine gezielte Geschmacklosigkeit handelt, wird daran deutlich, dass AfD-Parteichefin Frauke Petry nur wenige Tage zuvor in anderen Worten dasselbe sagte. Das wirft die Frage auf: Steht die AfD eigentlich am Boden der deutschen Verfassungsordnung? Eine Spurensuche.

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Natürlich sind deutsche Grenzschützer—ebenso wie Polizisten—bewaffnet. Und natürlich dürfen sie zum Schutz ihres eigenen oder des Lebens anderer in allerletzter Instanz auch schießen (und töten). In fast allen anderen Fällen allerdings würde ein Polizist oder Grenzschützer, der zur Waffe greift, eine Straftat begehen—und dafür zur Rechenschaft gezogen. Die in Artikel 1 des Grundgesetzes als unantastbar beschriebene Würde des Menschen und das in Artikel 2 beschriebene Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit stehen in der Abwägung gegen andere Interessen, etwa dem Schutz der Grenze, eben immer oben.

Wenn die beiden AfD-Spitzenpolitikerinnen—eine ist Mitglied des Europaparlaments, eine Mitglied des sächsischen Landtags—diese Regel in Frage stellen, haben sie also entweder das Grundgesetz nicht verstanden. Oder es schert sie schlicht nicht. Vor dem Hintergrund, dass die Äußerung im Grundsatz nicht neu ist, sondern in der Vergangenheit schon vom mächtigen nordrhein-westfälischen Landeschef Pretzell und dem brandenburgischen Landeschef Gauland ähnlich geäußert wurden, muss man allerdings von Letzterem ausgehen.

Für diese Lesart sprechen auch weitere Äußerungen. Erst vor einigen Tagen forderte Parteichefin Petry die Aussetzung von Artikel 16a des Grundgesetzes. Dabei handelt es sich ebenso wie im Falle der schon genannten Artikel 1 und 2 um einen so genannten Grundrechtsparagrafen—die Hürde für deren Veränderung ist bewusst hoch gelegt, ein Teil ist sogar als unveränderbar festgeschrieben. Die Verfassungsväter und -mütter wussten schon, warum sie diese Entscheidung getroffen haben, mit dem Eindrücken des Nationalsozialismus im Rückspiegel. Die AfD allerdings scheint das Grundgesetz als so etwas wie einen Steinbruch zu sehen, aus denen man herausschlagen kann, was einem nicht gefällt.

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Einer der Vorreiter dieser Sichtweise ist zweifelsohne der thüringische AfD-Landesvorsitzende Björn Höcke. Der lässt nicht nur sprachlich eine Nähe zur „Identitären Bewegung", die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, erkennen, sondern relativiert deren Treiben, indem er sie eine Gruppe junger Leute nennt, die „ohne Tabus, ideologiefrei, sachlich und mit offenem Ausgang" Diskurse führen würden.

Der Verfassungsschutz sieht das ein wenig anders, attestiert der „Identitären Bewegung" einen „völkischen Nationalismus", stellt fest, dass es „Anhaltspunkte" für „verfassungsfeindliche Bestrebungen" gebe, und nennt sie überdies „islam- und fremdenfeindlich". Die geistige Nähe Höckes zu dieser Gruppierung zeigt sich auch beim Thema Religionsfreiheit—geregelt in Artikel 3 des Grundgesetzes—, wo Höcke seine Vorbehalte gegen den Bau von Moscheen deutlich macht. Und Alexander Heumann, der einen Blog mit dem vielsagenden Namen „Die letzten Tage der BRD" betreibt, erklärte, er betrachte es mit Sorge, wenn Muslime in Deutschland für dige öffentliche Sicherheit zuständig seien, etwa als Polizisten. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis ein AfD-Politiker allen Mut zusammennimmt und aus diesem Denken ein Berufsverbot für Muslime ableitet.

Aber nicht nur Muslime müssen um ihre Grundrechte bangen. Der schon erwähnte Alexander Gauland etwa warnte schon 2002 in seinem Buch Anleitung zum Konservativsein, „die Welt durch Markt und Menschenrechte zu erneuern", sei „in Wahrheit eine intellektuelle Rebarbarisierung". Was er statt der für alle gleichermaßen geltenden Menschenrechte als Leitmotiv sieht, verschweigt er. Aber man bekommt eine Idee, was gemeint sein könnte, wenn man sich in der AfD umschaut.

Thomas Hartung etwa, ehemaliger stellvertretender Landesvorsitzender von Frauke Petrys Sachsen-AfD, sprach Menschen mit Down-Syndrom ganz allgemein die Befähigung ab, an Hochschulen zu unterrichten und stellte fest, er wolle „als Nichtbehinderter von einem solchen nicht unterrichtet werden". Auch das ist keine einsame Stimme: Konrad Adam, ehemaliger Bundessprecher der AfD, hatte sich schon 2006 in einem Leitartikel der Welt abfällig über Behinderte geäußert, „die es als ihr gottgewolltes Recht betrachten, von dem zu leben, was andere für sie aufbringen müssen", und sich an anderer Stelle Gedanken über die Einschränkung des Wahlrechts bei „Inaktiven und Versorgungsempfängern" gemacht.

Auch was die Meinungsfreiheit angeht, scheint diese für viele AfD-Mitglieder nicht absolut, sondern in erster Linie in Bezug auf die eigene Meinungsfreiheit zu gelten. So versuchte die AfD-nahe Jugendorganisation Junge Alternative (JA), vor einer Veranstaltung in Köln die unabhängige Presseberichterstattung dadurch zu verhindern, dass sie Journalisten einen Vertragsentwurf vorlegte, den diese „unterschrieben, gestempelt beziehungsweise gesiegelt und getackert" mitbringen sollten. In diesem Entwurf war eine Vertragsstrafe in Höhe von 10.000 Euro vorgesehen, sollten sich Journalisten nicht an die formulierten Regeln zur Berichterstattung halten. Auch dabei dürfte es sich nicht um einen Ausrutscher gehandelt haben, wie ein Blick auf den Plakatspruch „Selbstjustiz ist die neue Polizei" der JA zeigt. Im Kontext der Forderungen von Petry und von Storch hieße diese Forderung übrigens nichts anderes, als dass dann Bürger auf geflüchtete Frauen und Kinder schießen dürften, wenn die Grenzpolizei sich weigert.

Wenn man nun noch bedenkt, dass die AfD regelmäßig Probleme damit hat, die Regeln innerparteilicher Demokratie einzuhalten und dass der ehemalige Parteivorsitzende Lucke die Partei verlassen hat, weil sie ihm zu weit rechts verortet ist, beginnt sich ein rundes Bild zu ergeben. Lucke hatte immerhin die innere Sicherheit in der DDR als besser als die heutige bezeichnet und von einer Revolution fabuliert. Um diese zu erreichen, wolle man „zunächst bei demokratischen Mitteln" bleiben. Anfang 2016, so wirkt es, scheint man sich bei der AfD diesbezüglich nicht mehr so sicher zu sein. Zumal die dokumentierten Aussagen mehrheitlich von Spitzenkräften der Rechtspartei geäußert wurden und nicht von anonymen Basismitgliedern ohne Einfluss. Es dürfte daher nicht mehr weit bis zu einer Überwachung der AfD durch den Verfassungsschutz sein. Ob es tatsächlich verfassungsfeindliche—das heißt auf einen Umsturz zielende—Bestrebungen in der AfD gibt, würde spätestens dann offensichtlich.