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Die Selfie-Stange ist die nächste Dimension der Selbstinszenierung

Die Selfie-Stange treibt jetzt auch in Österreich ihr Unwesen. Wir haben uns Gedanken über diesen selbstverherrlichenden Trend gemacht.
Foto via larry&flo | photopin | CC BY-SA 2.0

Grundsätzlich habe ich ja nichts gegen Selfies, denn eine gesunde Portion Selbstinszenierung hat noch niemandem geschadet. Im Gegenteil, die moderne Gesellschaft fordert sogar von dir, dass du immer und überall präsent bist—denn wer sich in nobler Zurückhaltung übt, wird schließlich vergessen. Auch im Privaten gilt: Ein kurzes „Hi" an Freunde mit der eigenen Fratze im Vordergrund geht immer.

Ein derartiges „in your face"-Lebenszeichen macht es einem dann auch schwer, den Ball nicht zurückzuspielen. Für mich macht es vor allen Dingen dann Sinn, wenn dieses kurze „Hi" an Auslandsbekanntschaften geht, die meine Bilder annähernd interessant finden könnten. Freunde aus Griechenland sind beeindruckt über ein Foto im Schnee, Freunden aus Amerika werden die Zeitunterschiede mal endlich klar und Freunde aus Finnland wundern sich, dass das Selfie nicht aus einer Sauna kommt.

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— Tess Rinearson (@_tessr)January 5, 2015

Kommt jetzt aber eine Selfie-Stange ins Bild, ändern sich die Spielregeln. Das kurze „Hi" wird zu einem „Sieh mich gefälligst an!" und „Schau, ich habe auch andere Freunde!". Leute bei ihrer Selfie-Stangen-Selbstbefriedigung zu beobachten, lässt hochgradigen Fremdscham in mir aufkommen, wobei ich nicht wüsste, ob ich weglaufen oder in Gelächter ausbrechen möchte. Selfie-Sticks sind die Segways der Selbstinszenierung. OK, sie mögen praktisch sein, aber sie verlängern nicht nur deinen Arm, sondern auch den Grad deiner Selbstgefälligkeit, nämlich um etwa 30 bis 130 cm, je nachdem wie stark der Inszenierungs-Boost gerade ausfallen soll.

Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass sich ein Mensch niemals eine Selfie-Stange selbst kauft, sondern immer nur von anderen geschenkt kriegt. Wahrscheinlich sogar von den eigenen Eltern, die nicht mal im Entferntesten wissen, was dieses Gehstock-ähnliche Teil eigentlich ist, aber das wundersame Ding während dem Taubenfüttern im Park bei irgendjemanden im Einsatz gesehen haben und deshalb glauben, den vermeintlich neuesten Trend entdeckt zu haben. Niemand will diese Stange und, vor allem, niemand braucht diese Stange. Wer ist zu feige, um jemand anderen um ein Foto zu bitten?

Warum möchte jemand unter allen Umständen den Eindruck vermitteln, dass man gerade nicht alleine unterwegs ist, sondern inszeniert stattdessen einen unglaublich großen Menschen, der einen von oben herab ablichtet? Auch das Weitwinkel-Argument zählt schon deshalb nicht, weil man niemals so viel Platz für sein noch so fettes Gesicht braucht. Wäre der Hintergrund relevant, fotografiere ihn gottverdammt noch mal, ohne ihn mit deiner verzerrten Fresse zu verdecken. Vielleicht dienen Selfie-Stangen wirklich nur der Belustigung anderer und dem Aufbau des eigenen Selbstbewusstseins. Denn wer mit geschwellter Brust und einer viel zu langen Armprothese stolz durch die Stadt marschiert, braucht eine gehörige Portion davon. Fotostangen als Selbsthilfemittel, verschrieben vom Psychiater deines Vertrauens.

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Eure Selfie-Süchte könnt ihr dieses Wochenende bei folgenden Veranstaltungen befriedigen. Aber bitte ohne der Armverlängerung.

Donnerstag

Da ihr euer gesamtes Geld beim Einkaufen beim MESHIT 2014 SALE schon ausgegeben habt, könnt ihr euch das Fortgehen am Abend eh nicht mehr leisten. Happy shopping!

Freitag

Heute ist die große NOWKR-Mobiparty „Wir tanzen nicht, wir eskalieren!" im EKH als Auftakt zu einer Reihe an Veranstaltungen gegen den 3. Wiener Akademikerball. Dort könnt ihr euch beim gemeinsamen Tanzen gegen Nazis der kompletten Eskalation hingeben.

Samstag

Eure restlichen Wochenend-Energien könnt ihr zum Ausklang, wie (fast) an jedem zweiten Samstag im Monat, bei Schweiß und Hitze im Werk bei GEIL&BOGEN loswerden.


Titelbild von: larry&flo | photopin | cc