FYI.

This story is over 5 years old.

Film

Oliver Stones 'Snowden' setzt auf Moral und Theatralik – und das ist gut so

"Man muss nicht einer Meinung mit Politikern sein, um Patriot zu sein."
'Snowden' (c) Constantin Film

Nachgestellte Szenen von echten Begebenheiten haben durch X-Factor, billige True Crime-Serien und Fargo nicht unbedingt den besten Ruf. Meistens zu Recht. Wenn ich an manche Re-Enactments aus drittklassigen Geschichtsdokus denke, in denen Napoleon bei Kerzenlicht über Schlachtpläne brütet oder Kleopatra in Milch badet, bleibt einem oft nur chronisches Kopfschütteln. Authentizität wird für Drama aus dem Fenster geworfen—und meistens noch dazu für schlecht gemachtes.

Anzeige

Nicht nur deshalb war ich extrem skeptisch gegenüber Oliver Stones neuem Thriller Snowden, der Schwarz auf Weiß mit der Warnung beginnt, dass es sich bei dem Film um eine dramatisierte Version der wahren Geschichten aus Edward Snowdens Leben und seiner NSA-Whistleblower-Affäre handle.

Diese Angst kommt vielleicht auch ein bisschen daher, dass Oliver Stone noch nie den Ruf hatte, es mit den Fakten besonders genau zu nehmen—weder in Nixon, noch in JFK: Tatort Dallas—und darüber hinaus langsam in die Aluhut-Ecke abgedriftet ist. Diese Angst war zum Glück unbegründet.

Ja, Snowden ist tatsächlich ein guter Film geworden—und damit meine ich auch gut im Sinne von "moralisch gut", aber mehr dazu später. Bei so einer holprigen Entstehungsgeschichte hätte man sich jedenfalls so ein Endprodukt nicht erwartet: Oliver Stone, frustriert von der Resonanz auf sein eigenes Filmschaffen seit der Jahrhundertwende (Savages war einfach nur furchtbar), wollte die Geschichte eigentlich erst gar nicht angehen.

Snowdens russischer Anwalt hat den Stein ins Rollen gebracht, indem er einfach das an seinen weltbekannten Klienten angelehnte Buch namens The Time of the Octupus Hollywood andrehen wollte.

Ja, Snowden ist ein guter Film! Gut auch im Sinne von "moralisch gut".

Nachdem aber dieser grantige Urgestein-Regisseur seine Gespräche mit dem berühmten Whistleblower—der natürlich einen akkuraten Film über sich sehen wollte—bekam, Unstimmigkeiten mit Langzeitproduzent und Laura Poitras, Regisseurin der Oscar abräumenden Snowden-Doku Citizenfour, geschlichtet waren, begannen die Dreharbeiten.

Anzeige

Viele Dinge in Snowden sind Interpretationen aus besagten Gesprächen, manche Teile sind faktisch belegt und andere wiederum pure Erfindung. Aber ich denke eben, manchmal brauchen wir als Publikum diesen fiktiven Feenstaub. Saving Private Ryan hat Weltkriegsveteranen zum Weinen gebracht, egal ob es diese Einheit von Tom Hanks jemals wirklich gab oder nicht.

Das durchschnittliche Publikum ist nicht so dumm, dass es die Tatsachen nicht von der Dramatisierung unterscheiden kann beziehungsweise ständige Reminder braucht. Aber es braucht eine Erzählung, die sie abholt. Wenn das richtig gemacht wird, dann wird sich keiner beschweren und hämisch in den Kinosaal brüllen: "Ich glaub aber kaum, dass Snowden an dem Abend Spaghetti gekocht hat!" Snowden hat es richtig gemacht.

(c) Constantin Film

Zugegeben, auch wenn Joseph Gordon-Levitt grandiose Arbeit leistet in seiner Rolle als Edward Snowden und er dessen Stimme und Aussehen unglaublich gut trifft, irritiert der eine oder andere herzensbrecherische Grinser des Schauspielers. Ich dachte mehr als einmal: "Stimmt, das ist ja der fesche Typ aus Inception und Hinterm Mond gleich links."

Es gibt auch ein paar Elemente in Snowden, die einen manchmal beinahe aus der grundsätzlich spannenden und wohl behüteten Blase der "wahren Begebenheiten" reißen: Der Rubikswürfel-Trick, die Beziehung zu ranghöchste Staatsmänner, Lügendetektoren verarschen, vernarbte böse Gesichter auf Megabildschirmen und die Beziehungsprobleme eines Spions.

Anzeige

Die Szenen mit Snowdens Freundin, gespielt von Shailene Woodley, helfen dem Film dafür, persönlich zu werden und innere Motivationen nach außen zu kehren. Die tatsächlichen Hintergründe rund um Snowdens Beziehung zu Lindsay Mills scheinen wirklich berührend tragisch (gewesen) zu sein. Hier sieht man eine bisher medial komplett asexuelle Figur wie Snowden in einer Sexszene, in der sein Mädchen auf ihm reitet; ein Moment, in dem man schon aus dem Film fallen hätte könnte, aber Snowden kriegt die Kurve, da in diesem intimen Moment seine Paranoia in Bezug auf Laptop-Kameras und Mobiltelefone herausgestrichen wird.

MOTHERBOARD: Snowdens Vorgänger, Thomas Drake, spricht über die Veränderungen, die 9/11 mit sich brachte

Und vielleicht ist das eben der große Zaubertrick des Films. Alles was wir von diesem weltpolitischen Skandal kennen, war das blasse Gesicht eines Endzwanzigers, das auf alle Zeitungen und Bildschirme gepflastert war—mehr oder weniger die klassische Repräsentation eines männlichen Tech-Millenials. Was dabei fehlte, war plakativ gesprochen die Seele. Erst mit lang getesteter Hollywood-Methodik wird der emotionale Bereich der Geschichte erschlossen, mit dem wir nie konfrontiert waren.

Vielleicht ist es ein wenig traurig, dass uns die Fakten allein nicht ausreichen, um das Ausmaß von gewissen globalen News zu verstehen—wir brauchen eben immer noch bisschen Spaß und Spannung dazu, wie bei einem verdammten Überraschungsei. Und das, obwohl Edward Snowden gigantische internationale Überwachungsverbrechen von CIA und NSA publik gemacht hat—und sich zuletzt auch Donald Trump für seine Exekution ausgesprochen hat.

Anzeige

In Snowden schafft Oliver Stone zum ersten Mal seit seiner Blütezeit, den 90ern, eine Rückkehr zur Form, die endlich auch wieder dem Inhalt angemessen wirkt und einen die Trauerspiele dazwischen vergessen lässt (hab ich schon erwähnt, wie furchtbar Savages war?).

(c) Constantin Film

Stones Farb- und Kaleidoskop-Effekte symbolisieren perfekt epileptische Anfälle; seine gute alte, körnige Camcorder-Optik umrahmt wunderbar die Szenen im chinesischen Hotelzimmer, in dem sich Snowden mit den Medien getroffen hat. Und auch Stones Lieblingsformat, die Montage-Collagen aus tatsächlichen und inszenierten Media-Clips, ist wieder ein essentielles und endlich wieder akkurat eingesetztes Stilmittel.

Entsprechend dem filmischen Thema und passend zu Stones Verschwörungsweltbild waren die Dreharbeiten zu Snowden extrem paranoid und das Set wurde ständig nach Abhörgeräten durchgesucht; ob nun aus Überzeugung oder um das richtige Mindset für den Dreh zu schaffen, überlassen wir eurer Interpretation.

Die liberale Presse wird hier jedenfalls kritisiert genauso wie die Bush-Regierung, Obama hüpft als Big Brother durchs Bild und ein Zitat des CIA-Chefs wird ihm durch Snowdens Endmoral letztlich fies im Mund verdreht: "Man muss nicht einer Meinung mit Politikern sein, um Patriot zu sein." Sogar Österreich wird kurz verarscht; in Form eines Gags darüber, dass es bei uns doch eh nichts auszuspionieren gäbe, was im Bild mit Kühen und Alpen untermalt wird.

Das wirklich Einnehmende und der eigentliche Kernpunkt des Films ist aber die Überzeugung von Snowden: Ein Typ riskiert das eigene Wohl für ein größeres, extrem patriotisches Ideal—und tut das letztlich für alle anderen Menschen, obwohl er selbst unter dem Ergebnis nur leidet.

Das ist auch das eigentlich Fantastische an seiner Geschichte: Ich weiß nicht, wie viele von uns ein Leben im Urlaubsparadies mit Geld und Surfboard direkt vor dem Haus aufgeben würden, nur um die mächtigste Sicherheitseinheit der Welt anzupissen. Auch die Ironie, dass die vielen Paranoiker am Ende zumindest im Kern recht hatten und wir tatsächlich abgehört und ausspioniert werden, kann ein Film wie Snowden gar nicht oft genug wiederholen.

Anscheinend müssen wir genau wie der Typ in Memento alle zwei Minuten an die absurden, unfassbaren Tatsachen unserer Weltpolitik erinnert werden, weil wir sie sonst nach der nächsten Folge Game of Thrones gleich wieder vergessen. Die Dramatisierung in Snowden ist gerade deshalb so angebracht. Wir sollten doppelt und dreifach hören, was der Whistleblower zu sagen hat. Wie gesagt, der Film ist auf der moralischen Seite der Weltgeschichte zuhause—und das ist gut so. Außerdem spielt Nicholas Cage mit in diesem Film. Mehr muss man dazu eigentlich auch nicht sagen.

Josef auf Twitter: @theZeffo