Ich wohne seit Jahren neben dem wunderbarsten Ort in ganz Wien. Schon der Name „Augarten” klingt, als ob sich halbnackte Feen und besoffene Hobbits in seinen versteckten Winkeln tummeln würden—und tatsächlich ist das gar nicht soweit weg von der Wahrheit.
Zwischen den Flanierwiesen, den verwinkelten Labyrinth-Gassen und zugewachsenen Miniwäldern habe ich die schönsten, fast magischen Beispiele für kulturelle Vielfalt, mediterrane Stimmung und menschliche Skurrilität zu sehen bekommen. Und weil der Sommer jetzt wirklich bald vorbei ist, dachte ich mir, ich schwelge für euch ein bisschen in Erinnerungen an die letzte Parksaison.
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Die großen saftig grünen Hauptwiesen scheinen manchmal ausschließlich den leopolstädtischen Bobos und ihren Familien zu gehören, die sich bei Picknicks gediegen mit Sprudel betrinken und nach dem Couscous-Salat von ihren Slacklines fallen. Neuzeitliche Hippies liefern beeindruckendes Pärchen-Yoga und verdrehen ihre vegan gestählten Körper in- und aufeinander, bis alle kopfüber „Ashtanga” schreien. Ich will nicht lügen: Das kann manchmal schon leicht erregend aussehen.
Das TBA 21 im Südosten des Parks bietet Kunst am Weg zu den Prater Puffs. Im Kino Wie Noch Nie beim Eingang Taborstraße laufen Sommerfilme. Die Bunkerei im Westen hat Eis, gute Essigwurst und vielleicht auch mal eine Wespe in der Frucade. Wenn man Glück hat, erwischt man dort auch auf einem der Upcycling-Flohmärkte die wie Vaginas geformten Stoffgeldtaschen, mit dem recht wenig verspielten Namen „Vulva”.
Das sind aber nur die Oberschicht-Gefilde zwischen den überzüchteten Blumenbeeten und den malerischen Wassersprinklern, durchsetzt von den weißen Schenkeln der Workaholic-Mädchen, die nur wenig Zeit fürs Bräunen finden, und natürlich den genauso kargen, hellen Armen männlicher Nerds und Stubenhocker, die aus ganz anderen Gründen nur einmal pro Jahreszeit in die Öffentlichkeit gehen.
An sonnigen Tagen—also besonders interessant für den professionellen Solarbeobachter Günter Reichart aus dem Titelbild des Artikels—ist der ganze Park natürlich gut besucht und wirkt wie eine multikulturelle Cola-Werbung aus den 90er-Jahren. An den schattigen Rand-Alleen werfen lautstarke armenische Herren am seit Ewigkeiten gleichen Platz Boccia-Kugeln, pakistanische Jungs und Mädchen spielen auf den Schotterkreuzungen Cricket und aus dem jüdischen Kindergarten hallen süße hebräische Lieder.
Neben dem Wasserspender steht ein klatschender Kreis Menschen, die zwei Südamerikaner und ihre Capoeira-Moves anfeuern. Ein indonesischer Entertainer steht zwischen Sträuchern und verzaubert die Zuschauer mit eleganten Hüftschwüngen.
Ein paar auftrainierte Balkanrambos spannen oben ohne und ganz zufällig an einem der Hauptwege ihre Muskeln an und performen extra langsames Tai Chi oder einfach nur unprofessionelle Luftschläge. Schmächtige Nerds schwingen auch schon einmal Schwerter oder Bo-Kampfstäbe neben türkischen Mamas, die sich an der Wasserpumpe beim Eingang den Kopf unter dem Kopftuch kühlen.
Natürlich darf das Wikingerschachspiel „Kubb” nicht fehlen, bei dem sich die Boku-Studenten und Metal-Freunde dieser Welt mit komischen Holzstöckchen im Gras amüsieren—ich habe keine Ahnung, wie das Spiel funktioniert und fühle mich von den nicht sofort augenscheinlichen Spielregeln persönlich beleidigt.
An jeder zweiten Bank bemerkt man Grasgeruch. Sowohl Alternativos als auch nach Entspannung suchende Großfamilienväter kommen auf einen Joint im Augarten vorbei und genießen starrend das kleine grüne Paradies, in dem jeder ein angenehm privates Eckchen für das Alltags-High findet.
Aber in Wahrheit gehört dieser Park weder Kiffern noch Bobos. In Wirklichkeit beherrschen vor allem die Kinder den Augarten. Wenn man beim Laufen in einer der Lichtungen abseits der Gehwege auf die Kleinen trifft, die tief versunken in ihren Fantasiewelten zwischen den Birken und riesigen Bärlauchfeldern vor sich hin spielen, wird man ziemlich schnell nostalgisch.
Ich wünsche mir dann immer, ich wäre nicht erst als Semi-Erwachsener zum Studieren aus der Pampa hierher nach Wien gekommen, sondern hätte meine Kindheit ebenfalls in diesem verrückten Sammelsurium zwischen Großstadt und Backstein auf der einen, und Naturidyllen und ganzen Star Trek-Planeten in Parkgröße auf der anderen Seite verbracht. Während man die Kinder so versunken anstarrt, bekommt man dann übrigens auch sehr schnell ziemlich apathische Blicke zugeworfen, die „Eindringling” zu schreien scheinen—und einen dran erinnern, warum Aufwachsen am Land vielleicht (zumindest bis zur Pubertät) doch cooler ist.
Wenn mich kleine Wiener Kinder böse anschauen, weil ich die Kleinen aus ihrer Fantasie-Matrix rausgerissen habe, fühlt es sich kurz an wie ein Moment bei Children of the Corn. Insgesamt hat der Augarten geschätzt drei bis vier Spielplätze und, nicht zu vergessen, auch ein Schwimmbad, in das man als Erwachsener tatsächlich nur reindarf, wenn man ein Kind dabei hat.
Außerdem gibt es da noch diese eine Sache, die Hamburg, Berlin und Wien gemeinsam haben und die natürlich auch den Augarten „schmücken”—die kolossalen Mementi des Zweiten Weltkriegs in der Form von unzerstörbaren Flaktürmen. Diese Kanonenpodeste im Mordor-Schick fungierten damals auch als Bunkeranlagen für bis zu 30.000 Menschen beziehungsweise als Schutz für irgendwelche Nazischätze.
Diese zeitgeschichtlichen Betongiganten werden noch nach zehn nuklearen Wintern stehen, umwachsen und umrankt von radioaktiven Pilzen und neonrosa Moos, während superintelligente Schabenmutanten ihre Kindergeburtstage zwischen den Silikonbäumen feiern.
Und bis es so weit ist, nehme ich gerne mit dem Augarten wie er jetzt ist Vorlieb. Sehr viel weniger schräg ist dieser Hort der alternativen Lebensentwürfe und gestörten kleinen Weltwinkel auch heute nicht.
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