Bollywood und Rape Culture: Rubaiyat Hossain im Interview

Rubaiyat Hossain ist eine der wenigen Filmemacherinnen aus Bangladesch. Ihr aktueller Film Under Construction, der im Rahmen der diesjährigen Feminist Film Week in Berlin vorgestellt wurde, behandelt die Geschichte einer 33-jährigen Theaterschauspielerin, die sich fern traditioneller Vorgaben verwirklichen möchte und ihre Karriere dem Kinderkriegen bevorzugt. Inspiriert wurde der Film durch das Unglück von Rana Plaza. Im Jahre 2013 stürzte das Gebäude in der Hauptstadt Dhaka ein und begrub über tausend Textilarbeiter mit tödlichem Ausgang, 80 Prozent davon Frauen. Das Ereignis besitzt für die Filmemacherin eine besondere Symbolik, denn viele der Textil-Unternehmen in Rana Plaza produzierten für multinationale Konzerne aus dem Westen.

Bangladesch ist eine Klassengesellschaft mit tief verwurzelten religiösen Spannungen, denen Rubaiyat in ihren Filmen mit komplexen weiblichen Charakteren entgegentreten möchte. Verdeutlicht wird der kulturelle Aspekt der Debatte auch durch Rubaiyats Entscheidung, Sex-Szenen—die nach deutschem Maßstab nicht mal im mittäglichen Fernsehprogramm als gewagt auffallen würden—aus der Version, die in Bangladesch vorgeführt wurde, herauszuschneiden. „Ich war mir bewusst, dass der Film mit diesen 3 Minuten auf keinen Fall gezeigt würde, das war es mir am Ende nicht wert.” Gleichstellung, Respekt, Entscheidungsgewalt über das eigene Leben: Was für uns selbstverständlich scheint, stellt für viele Frauen aus traditionsgeprägten Gesellschaften nach wie vor ein großes Problem dar. Wir haben uns mit der Regisseurin über Sexismus in der Filmindustrie, Frauen im Islam und den negativen Einfluss von Bollywood unterhalten.

Videos by VICE

Broadly: Kannst du mir ein bisschen von der Filmindustrie in Bangladesch erzählen? Welche Erfahrungen machst du so als weibliche Regisseurin?
Rubaiyat Hossain: Es gab in Bangladesch etwa 12 Filmemacherinnen bislang. Aktuell ist eine Frau kommerziell recht erfolgreich, die Filme aus einem weiblichem Blickwinkel macht. In einem geht es zum Beispiel um eine polygame Ehe, die in ländlichen Gebieten in Bangladesch üblich sind. Darin verbünden sich vier Frauen gegen ihren Ehemann, das fand ich sehr interessant. Allerdings waren sie und ich mal zusammen in einer Talkshow und da sagte sie ganz konkret, dass sie keine Feministin sei, weil das für sie bedeute, dass sie Männer hassen müsste und das für sie nicht ginge, weil die Männer in ihrem Leben sie sehr unterstützten. Nach der Talkshow erzählte sie uns aber, dass ihr Mann sie mal beim Drehen besuchte und dann schnell ging, weil er sich unwohl dabei fühlte, zu sehen, wie sie Anweisungen gab und in einer Machtposition war.

Es gibt auch im Westen nicht viele Filmemacherinnen. Das Doku-Projekt 4 percent: female perspective beispielsweise kritisiert, dass bloß vier in 100 Hollywood-Filmen der vergangenen Jahrzehnte von weiblichen Regisseuren gemacht wurden. Es scheint also eine globale Problematik zu geben, wenn Frauen Geschichten durch das Medium Film erzählen sollen.
Die Film-Industrie war bislang männlich dominiert. Frauen waren geschichtlich betrachtet ein Feature, das auf den Film Lust machen sollte, indem sie vor der Kamera stehen und sexy aussehen. Frauen im Film sind häufig Objekte, Menschen gehen dann ins Kino, um genau das zu sehen und so beginnt der Kreislauf. Film ist so ein einflussreiches Medium, es prägt unser Verständnis von Geschlechterrollen so unmittelbar, deshalb ist es unfassbar wichtig, dass wir mit dieser seltsamen Tradition brechen und weibliche Geschichten erzählen. Vor allem Frauen möchten solche Filme wirklich sehen.

Die Regisseurin. Foto mit freundlicher Genehmigung von Rubaiyat Hossain

Wie würdest die du Rolle der Frau in Bangladesch beschreiben?
Wir haben eine Frau als Premier in Bangladesch. Sie hat vor Kurzem eine Rede gehalten, in der es um geteilte Hausarbeit ging. Sie appellierte, dass diese auch Männer was angehe. Davor musste sie allerdings erst bestärken, wie gerne sie kocht und wie sehr es ihre Leidenschaft ist, für ihre Enkel Essen zuzubereiten. Selbst als Premier hat man als Frau traditionelle weibliche Aufgaben zu erledigen. Es ist eine grundsätzliche Erwartungshaltung gegenüber Frauen in Bangladesch. Die Rolle der Frau ändert sich zwar, sie ist im häuslichen Bereich allerdings noch sehr traditionell bedingt.

Bist du praktizierende Muslimin?
Ich bin Sufi, eine viel liberalere und mystizistischere Form des Islam. Im Sufismus gibt es ganz viele weibliche Schutzheilige und weibliche geistliche Führer. Die Tochter des Propheten ist darin eine wichtige Figur. Ich bin aber nicht sehr in dem orthodoxen Islam zu Hause.

Es gibt viele Menschen, besonders im Westen, die den Islam für eine Religion halten, die nicht besonders frauenfreundlich ist. Ist das Ignoranz?
Ein wenig vielleicht. Die Frau des Propheten zum Beispiel war 25 Jahre älter als er. Sie war eine sehr reiche Geschäftsfrau, hat im Handel gearbeitet und Mohammed mitversorgt, weil er kein Geld hatte. Sie hat ihn im Grunde zum Propheten gemacht, ihm das erst ermöglicht. Das wissen viele Kritiker vielleicht gar nicht.

Mehr Lesen: Trotz Kopftuch-Kollektion—wie H&M und Co. den Islam missverstehen

Was hältst du von dem Bollywood-Phänomen? Wie prägt es das Bild von Frauen in Bangladesch und Indien?
Ich denke, dass Bollywood schädlich für das Frauenbild ist. Es gibt ein neues Phänomen in diesen Filmen, das sich „Item Dance” nennt. Das sind Tanz-Sequenzen, in den Frauen sehr dürftig gekleidet sind und sich sexy bewegen. Auch die Lieder handeln häufig von sexuellen Themen. Es gibt viele feministische Wissenschaftler_innen und Medienleute, die sagen, dass diese Kultur Hand in Hand mit dem frequentierten Aufkommen von Massenvergewaltigungen in Indien einhergeht. Diese Tanzszenen sind häufig wie eine Einleitung für eine Massenvergewaltigung. Da tanzt eine Frau und 50 Männer tanzen um sie herum. Es gibt ein Lied, da singt die Darstellerin: „Ich bin ein Tandoori-Hähnchen, iss mich, zerleg’ mich, nimm mich.” In einer konservativen Gesellschaft, in der nicht aufgeklärt über Sex gesprochen wird, ist das eine direkte Aufforderung, sich Frauen einfach zu nehmen. Aber auch die eigentliche Industrie ist frauenfeindlich, da verdienen weibliche Schauspieler einen Bruchteil im Vergleich zu Männern. Ich finde sowohl Bollywood als auch Hollywood sind sehr gefährliche Industrien, die Frauen in bestimmte, durch Konsumverhalten geprägte Rollenbilder pressen. Im Film werden Frauen im Endeffekt bloß konsumiert.

Man hält dich in Bangladesch für eine kontroverse Filmemacherin. Wie fühlt sich das an?
Ich war schon immer ein provokanter Typ, besonders innerhalb meiner Kultur. Als ich vier Jahre alt war und meine Schwester geboren wurde, war ich richtig sauer auf meinen Vater, weil er sich darüber beschwerte, dass sie ein Mädchen war und habe mich laut und offen darüber beschwert. Ich gehe so auf die Welt zu, ich erwarte nicht, dass man mich mit offenen Armen aufnimmt. Nach meinem ersten Film wurden Vorführungen abgebrochen, Leute haben mich verbal attackiert, das war nicht einfach damals. Das hat eine Depression bei mir ausgelöst. Aber irgendwie hat mich das langfristig stärker gemacht. Irgendwie war der Ärger der anderen eine Bestärkung. Ich wusste, die Reaktion sagt, dass ich was richtig mache.